An der Person des Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus scheiden sich die Meinungen. Vordergründig ist es die Niederlage Hitlerdeutschlands in Stalingrad, die in erster Linie Paulus zugeschrieben wird. Nur zu gern beschäftigen sich Journalisten und selbsternannte „Kenner“ mit dem Schlachtenverlauf und damit, ob und wie das schließliche Desaster zu vermeiden gewesen wäre, hätte Paulus andere Befehle gegeben. Im Grunde geht es bei den Vorwürfen gegen Paulus aber um dessen Wandlung vom Wehrmachtsoffizier zum Mahner für den Frieden und zum Bürger der DDR.
War er „Hitlers feiger Feldherr“, wie „Der Spiegel“ 2013 meinte? Und war er der feige General, der angesichts der drohenden Niederlage „sich im Kaufhauskeller“ verkroch, wie „Die Welt“ 2018 schrieb? Vielleicht hätte die deutsche Qualitätspresse ihm dies nachsehen können, aber es kam ja aus ihrer Sicht alles viel schlimmer. Denn Paulus ließ sich 1953 nach sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Dresden in der Deutschen Demokratischen Republik nieder. Und noch schlimmer: Er hatte sich zum Mahner gegen einen neuen Krieg gewandelt und sich für die Freundschaft mit der Sowjetunion ausgesprochen.
Der Reihe nach: Friedrich Paulus wurde am 23. September 1890 geboren und starb vor 65 Jahren – am 1. Februar 1957 – in Dresden. 1910 trat er in die preußische Armee ein; seine militärische Laufbahn dort und später in der Reichswehr führte stetig nach oben. Paulus war in die Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs eingebunden, nahm am Überfall auf Polen teil, war am Feldzug gegen Belgien und Frankreich beteiligt und arbeitete mit an der Planung des Angriffs auf die Sowjetunion.
Im Januar 1942 übernahm Paulus den Oberbefehl über die 6. Armee, die schließlich den Angriff auf Stalingrad führte, dort eingeschlossen und vernichtet wurde. Am 8. Januar 1943 lehnte Paulus das Kapitulationsangebot der Roten Armee ab, musste aber am 31. Januar schließlich doch im Südkessel von Stalingrad mit 90.000 Mann kapitulieren. Paulus kam in sowjetische Gefangenschaft. Tags zuvor hatte Hitler ihn zum Generalfeldmarschall ernannt.
1946 trat Paulus bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen als Zeuge der Anklage auf und zog damit den Trennungsstrich zu den „alten Kameraden“. Das war es, was ihn von da an bei den Revanchisten im Westen so unbeliebt machte – wie auch seine spätere Einbürgerung in die DDR und sein Engagement gegen die Spaltung Deutschlands und die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik.
Einen Eindruck der tiefen Wandlung von Friedrich Paulus vermittelt Wilhelm Adam, der ehemalige 1. Adjutant der 6. Armee, der sich ebenfalls von den Faschisten abwandte und in der DDR heimisch wurde. Adam gibt in seinem Erinnerungsbuch ein Schriftstück von Paulus wieder: „Die Lehre aus dieser meiner eigenen Erfahrung sowie aus dem Ablauf des ganzen Zweiten Weltkrieges hat mich zu der Erkenntnis geführt, dass das Schicksal des deutschen Volkes nicht auf dem Machtgedanken aufgebaut werden kann, sondern nur auf einer dauerhaften Freundschaft mit der Sowjetunion ebenso wie mit allen anderen friedliebenden Völkern (…) Ich möchte die Sowjetunion nicht verlassen, ohne den Sowjetmenschen zu sagen, dass ich einst in blindem Gehorsam als Feind in ihr Land kam, nunmehr aber aus ihm scheide als Freund ihres Landes.“ Die deutsche Katastrophe bei Stalingrad, so Paulus, liege in „der verhängnisvollen Unterschätzung der Sowjetunion durch das deutsche OKW (Oberkommando der Wehrmacht) und in der Überschätzung der eigenen Möglichkeiten. Die deutsche Kriegführung verfolgte abenteuerliche und räuberische Ziele.“
Der einstige „Nur-Soldat“, resümiert Adam über Paulus, habe gelernt, das Weltgeschehen aus politischer Sicht zu betrachten. „Aus dem Manne, der sich früher im Konflikt zwischen Befehl und Gehorsam für den Gehorsam gegenüber sinnlosen Befehlen entschieden hatte, war ein politischer Mensch geworden, der gewillt war, seine Kraft und sein Wissen für die Verhinderung neuer Kriege und für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands einzusetzen.“
Für das Gegenteil stehe zum Beispiel Erich von Manstein, der damalige Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Don, der sich nachträglich als „unpolitischer Soldat“ darstelle. Paulus sagte dazu: „Jetzt lügt er (Manstein – PS) sich mit all den anderen, die drüben wieder den alten Kurs segeln, darüber hinweg, dass sie mitschuldig sind am Untergang der 6. Armee, mitschuldig am Krieg und seinem bitteren Ende.“
Die gesamte Thematik wurde auf einer Pressekonferenz am 2. Juli 1954 in Berlin, Hauptstadt der DDR, behandelt. Der „Ausschuss für Deutsche Einheit“ hatte eingeladen und auch die Westpresse war in großer Zahl vertreten. Professor Albert Norden, Staatssekretär der DDR, erklärte bei dieser Gelegenheit: „Die Diskussion (über die Situation in Stalingrad – PS) in bestimmten westdeutschen Organen, auf die der Kollege vom ‚Spiegel‘ anspielte, wurde und wird in Wahrheit nicht darum entfaltet, weil es hier um irgendwelche taktischen, militärischen, strategischen oder was weiß ich für Fehler der Vergangenheit geht, sondern weil man den Mann diskreditieren will, der die richtige Erkenntnis aus der Vergangenheit gezogen hat und sich heute einem neuen Krieg gegen den Osten wie gegen den Westen entgegenstellt. (…) Hier steht das neue Stalingrad zur Diskussion, dem Adenauer und seine Politiker und einige westdeutsche Journalisten das deutsche Volk entgegenführen wollen.“
Paulus führte aus: „Militärische Einzelfragen wurden oft sehr gründlich behandelt, es wurden allgemeine Fragen des Kriegsverlaufes untersucht und Erörterungen darüber angestellt, was die einen gewusst haben und was die anderen hätten besser machen sollen. Nach meiner Auffassung ist die Mehrzahl der Veröffentlichungen am Wesentlichen vorbeigegangen, nämlich an den tieferen Ursachen des Krieges und an den historischen Zusammenhängen.“
Paulus weiter: „Wenn ich sage, dass wir Deutsche uns zuerst auf Deutschlands Einheit und Unabhängigkeit, auf die Wahrung der nationalen Lebensrechte unseres deutschen Volkes orientieren müssen, so weiß ich, dass wir damit am besten der Sache des Friedens, der internationalen Entspannung sowie der Verständigung der Völker dienen. Wir wollen ein gutes Verhältnis des deutschen Volkes zu allen Völkern, die unsere nationalen Rechte respektieren. Das ist die Vorbedingung für die gemeinsame Sicherheit in Europa und damit auch für eine glückliche Zukunft unsres eigenen Volkes.“
Zum Verhältnis zur Sowjetunion äußerte er schließlich Folgendes: „Und erst recht brauchen und wollen wir gutnachbarliche Beziehungen zu unserem großen Nachbarn im Osten, zur Sowjetunion, und zwar aus Gründen ihrer Bedeutung für die europäische Sicherheit sowie zur Förderung einer fruchtbaren wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit im Interesse ganz Deutschlands (…) Als ehemaliger militärischer Befehlshaber in einem großen Verantwortungsbereich bin ich angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse und im Rückblick auf meine Erfahrungen zu dem Ergebnis gekommen, dass jeder Weg, der in irgendeiner Form zu Verbindungen zwischen Ost und West führt, beschritten werden muss.“