Wie Vietnam begann, Kaffee zu exportieren und was das für die Stellung in der kapitalistischen Weltwirtschaft bedeutet

Von Solidarität zum Schweinezyklus

Von Stefan Kühner

Der RGW:

Gemeinsam geplant

Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) war ein internationales Wirtschaftsbündnis der sozialistischen Staaten, er existierte von 1949 bis 1991. Mit dem RGW waren neben den Mitgliedern zahlreiche Länder aus Afrika, Südamerika und Asien assoziiert. China beteiligte sich ab 1961 wegen des Bruchs mit der Sowjetunion nicht mehr.

Die Länder des RGW waren eine riesige Zone des Warenaustausches außerhalb der kapitalistischen Ökonomie. Neben dem Handel verständigten sich die RGW-Mitglieder auch darauf, ihre Wirtschaftsplanung aufeinander abzustimmen und teilweise eine geplante internationale Arbeitsteilung umzusetzen.

Das Bündnis beruhte auf den Prinzipien der Solidarität und der Nutzung von Synergien für eine effiziente Herstellung von lebensnotwendigen Gütern. In Gegensatz zu den kapitalistischen Freihandelsverträgen war es nicht auf die Sicherung der Vorteile einer kleinen Gruppe zulasten einer Mehrheit ausgelegt. Der gemeinsame Handel und die verteilte Produktion wurden durch multilaterale Verträge geregelt – unter der Bedingung, dass die wirtschaftlich starken Länder (Sowjetunion, DDR, Tschechoslowakei, Ungarn) die schwächeren (Bulgarien, Rumänien, Kuba, Mongolei und Vietnam) wirtschaftlich unterstützten. Ohne die Hilfe der UdSSR und der DDR hätte Vietnam die ersten Jahre nach dem Krieg nicht überleben können. Vor allem in den Bereichen Bildung und Gesundheit leistete die DDR große Bruderhilfe.

Schuld war die DDR: Als Vietnam begann, Kaffee für den Export anzubauen, richtete sich das Land auf die solidarische Arbeitsteilung zwischen sozialistischen Ländern aus. Mit der Konterrevolution in Osteuropa war es damit vorbei: Die Geschichte des Kaffees in Vietnam ist ein einzigartiges Beispiel für die solidarische Hilfe unter Bruderstaaten – und ein Beispiel für Erfolg und Elend der Agrarproduktion in den Ländern des Südens.

Statistisch gesehen trinkt jeder von uns rund 170 Liter Kaffee im Jahr. Was wissen die, die den Kaffee trinken, über die, die ihn pflanzen und ernten? Was wissen sie über die Preiskämpfe, in denen Konzerne über das Leben der Produzenten entscheiden?

Den Markt umgehen

Der größte Teil des Kaffees, den wir hier trinken, stammt aus Vietnam. Vietnam ist nach Brasilien der zweitgrößte Kaffeeproduzent der Welt. 2018 exportierte das Land 1,8 Millionen Tonnen Kaffee, die größten Abnehmer sind die EU-Staaten und die Schweiz.

Erst nach der Kaffeekrise Ende der 1970er, als der Weltmarktpreis stark stieg, ging Vietnam die ersten Schritte, um Kaffee in großem Maßstab anzubauen. Heute ist das Land der Teetrinker einer der Marktführer im Kaffeegeschäft. Französische Missionare, Vorreiter des Kolonialismus, brachten um 1860 die ersten Kaffeebäume nach Vietnam. In Vietnam spricht man seitdem von Cà phê. Der Kaffeeanbau blieb unbedeutend, bis 1980 die DDR und Vietnam ein erstes Abkommen schlossen, um beim Kaffeeanbau zusammenzuarbeiten. Vietnam hatte gerade den Krieg gegen die USA gewonnen und litt unter den Zerstörungen. Die DDR-Bevölkerung war unzufrieden, weil die Regierung, um Devisen zu sparen, nur noch Mischkaffee anbieten ließ (siehe Kasten). Die beiden Länder vereinbarten, langfristig und auf solidarischer Grundlage zusammenzuarbeiten – sozialistische Arbeitsteilung statt Abhängigkeit vom Weltmarkt.

Die DDR verpflichtete sich, Maschinen und Ausrüstungen zu liefern, um die nötigen Flächen für den Kaffeeanbau zu erschließen – LKW, Geräte, Bewässerungssysteme. Außerdem bildete sie vietnamesische Kader aus. Die DDR gab Vietnam Kredite von 25 Millionen Transferrubel, der Währung, in der die sozialistischen Länder im RGW (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe) ihre Zahlungen miteinander verrechneten. Für die Kredite wurden Zinsen von 2 Prozent pro Jahr vereinbart – allerdings sollten sie nicht mit Geld, sondern mit Kaffee zurückgezahlt werden. Für die Verrechnung legte das Abkommen einen Preis zu Grunde, der über dem Weltmarktpreis für Kaffee lag. Beide Länder hofften darauf, so die Probleme zu umgehen, vor die sie der kapitalistische Weltmarkt stellte: Ein langfristig geplanter Austausch zu fest vereinbarten Bedingungen, ohne auf die Gunst oder die Währung kapitalistischer Anbieter angewiesen zu sein.

Umfassende Entwicklung

Der Kaffeestrauch ist eine Pflanze, die in Bezug auf Klima, Bewässerung und geographische Lage sehr anspruchsvoll ist. Im mittelvietnamesischen Hochland nahe der Stadt Buon Me Thuot fanden sich durchaus geeignete Flächen und Bedingungen, doch es fehlte an Wasser für die kontinuierliche Bewässerung. Um diese sicherzustellen, beschloss die Regierung Vietnams, ein bestehendes sanierungsbedürftiges Wasserkraftwerk auszubauen. Es sollte Wasser und Strom für den Betrieb von Pumpen zur Verfügung stellen. Auch hier traten Vietnam Staaten des RGW zur Seite – im konkreten Fall die CSSR. Der Ausbau des Wasserkraftwerks war nicht allein auf den Kaffeeanbau ausgerichtet, sondern eine generelle Maßnahme zur Verbesserung der Lebensbedingungen des vietnamesischen Volkes.

Zu spät für die DDR

Es sollte bis 1990 dauern, bis auf den ersten 10 000 Hektar Anbaufläche neu gepflanzter vietnamesischer Kaffee geerntet werden konnte. Die DDR wurde annektiert, bevor sie die Früchte der internationalen Zusammenarbeit mit Vietnam feiern und nutzen konnte. Vietnam aber stellte nun ein Produkt her, das nicht nur im sozialistischen Austausch, sondern auch auf dem kapitalistischen Weltmarkt begehrt war. Die Flächen, Kaffeestauden und Anbaumethoden waren so gut gewählt worden, dass Vietnam innerhalb von wenigen Jahren große Mengen Rohkaffee auf den Weltmarkt bringen konnte. Es vergrößerte seine Anbaufläche weiter und nutzte sie intensiv.

Schweinezyklen

Vietnam erlebte ziemlich schnell das, was man in der kapitalistischen Welt Schweinezyklus nennt: Überproduktion lässt die Preise verfallen, die Anbieter produzieren weniger – wenn die Nachfrage aber über dem Angebot liegt, dauert es eine gewisse Zeit, bis die Produktion wieder gesteigert werden kann: Das Schwein muss aufgezogen werden, die Kaffeepflanze wachsen. Überproduktion, Abbau und neuer Aufbau bilden den Kreislauf der Krise.

In den Hauptanbaugebieten Dac Lac und Lam Dong in der Provinz Tay Nguyen hatte Vietnam sich darauf konzentriert, die günstiger zu produzierende Kaffeesorte Robusta anzubauen. Die großen und schnell steigenden Exporte aus Vietnam brachten die Preise im internationalen Kaffeehandel durcheinander. Ab 2001 brach der Kaffeepreis ein. Gleichzeitig stand der Dollarkurs relativ hoch, auch dadurch verschlechterten sich für den vietnamesischen Export die Preise. In Laufe eines Jahres fiel der Preis, den die Bauern für ihren Kaffee erhielten, um 40 Prozent. Für ein Kilo Rohkaffee bekam der Produzent nur noch 36 bis 38 US-Cent. So tief hatten die Preise seit 30 Jahren nicht gestanden, die Bauern machten Verluste. Für Millionen Menschen in Afrika und Lateinamerika bedeutete die Kaffeekrise Arbeitslosigkeit und Hunger.

Wettbewerbsfähig

Die Regierung Vietnams versuchte mit verzweifelten Maßnahmen, den Bankrott der mühsam und mit viel Geld aufgebauten Kaffeebauern zu vermeiden. Sie ließ einen Teil der Robusta-Kaffeebäume ausreißen, um die Mengen zu reduzieren. Außerdem empfahl sie den Bauern, von Robusta auf die hochwertigere Kaffeesorte Arabica umzustellen und die Effizienz ihrer Betriebe zu erhöhen. Die Vietnam-Kaffee-und-Kakao-Gesellschaft (VCCA) und das Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung stellten für diese Maßnahmen Kredite über mehrere Millionen US-Dollar bereit, um die Wettbewerbsfähigkeit des vietnamesischen Kaffees zu verbessern. Einen weiteren Schwerpunkt legte die Regierung auf die Aus- und Weiterbildung der Pflanzer, um die Qualität des Kaffees zu verbessern.

Krise und Chance

In diesem Auf und Ab steckt Vietnam bis heute. Derzeit befindet sich der Kaffeeanbau Vietnams in einem dreifachen Dilemma. Mal wieder ist der Kaffeepreis auf dem Weltmarkt im Keller. Von 2017 auf 2018 ging er um 15 Prozent nach unten. Zusätzlich machen Unwetter und der Klimawandel den Kaffeebauern zu schaffen. Da die Kaffeebäume in der Regel 25 Jahre Erträge bringen, muss derzeit außerdem die erste Generation der Plantagen aus den 90er Jahren ersetzt werden. Die Internetausgabe der Zeitung „Vietnam News“ berichtete im Februar 2019: „Auf einer Fläche von 15000 Hektar sollen alte Robusta-Sträucher durch Arabica-Sträucher ersetzt werden, um die Erträge zu verbessern.“ Dies wird die Mengen erst einmal reduzieren. Das könnte allerdings eine Chance sein, dass andere Sorten und Anbaumethoden zum Einsatz kommen. In der Provinz Lam Dong läuft derzeit ein entsprechendes Pilotprojekt. Pham Trung Dung, Direktor des Projektvorstands, sagte, dass man sich auf lokale Bauern konzentriere. Bislang erfolgen der Anbau und die Ernte nämlich noch weitgehend familiär und durch menschliche Arbeitskraft. 10000 Bauernhaushalte wurden in nachhaltigen und wassersparenden Anbaumethoden geschult. Ein besonderes Augenmerk wurde auch auf die Entwicklung von Genossenschaften gelegt.

Hilflos gegen Spekulation

Ob Vietnam damit erfolgreich ist, hängt nicht in erster Linie von den vietnamesischen Kaffeebauern oder der vietnamesischen Regierung ab – genauso wenig wie von den Kaffeebauern in Peru, Kolumbien oder Äthiopien. Wie sich am Markt die Preise entwickeln, wer seine Existenz verliert und wer verdient, lässt sich kaum voraussagen. Der Kaffeepreis hängt nicht nur vom Klima und den Erntemengen ab. Was die Verbraucher zahlen und die Erzeuger erhalten ergibt sich vor allem aus den Spekulationen auf dem Weltmarkt.

Die Internetseite „Entwicklungspolitik“ berichtete im Oktober 2018: „Der Weltmarktpreis für Kaffee hat einen dramatischen Tiefpunkt erreicht. Der Preis für ein Pfund Arabica-Kaffee ist im September unter die kritische Grenze von einem US-Dollar gefallen. Die Gründe für den starken Preisverfall sind vielfältig: Neuartige Wetten und Spekulationen an der New-Yorker Börse, eine Rekordernte in Brasilien sowie ungünstige Wechselkurse bewirkten das Dauertief. Die Kaffeebauern weltweit sind dem starken Preisabsturz hilflos ausgesetzt.“

Das Leben von Millionen Kaffeebauern wird von der Wall Street bestimmt. Dort befindet sich die Warenterminbörse für Arabica-Kaffee – Robusta-Kaffee wird in London gehandelt. Kaffee ist heute der zweitwichtigste Export-Rohstoff der „Entwicklungsländer“ – nur Erdöl exportieren diese Länder in noch größerem Wert. Weltweit leben etwa 100 Millionen Menschen vom Kaffeeanbau und dem Handel damit.

Auch dies ist kein Spezifikum des Kaffees, sondern gilt für alle Lebensmittel. Der Kaffeepreis verhält sich nicht anders als der Preis für andere Lebensmittel, die irgendwo auf der Welt angebaut und zum Konsumenten gebracht werden.

Diktat der Monopole

Dass Überproduktion und Spekulation die Preise so schwanken lassen, dass in regelmäßigen Krisen die Existenz der Produzenten bedroht ist, gilt für Kaffee wie für alle anderen Lebensmittel, die für den kapitalistischen Markt produziert werden. Es sind die weltweit agierenden Supermarktketten, deren Einkäufer die Preise diktieren. „Sie schreiben die Produktions-, Preis- und Lieferbedingungen vor und werden so zum ‚Gatekeeper‘ im Lebensmittelhandel“, schätzte Oxfam im vergangenen Jahr in einer Studie ein. Und: „In der EU wird der Einzelhandel zunehmend dominiert von einer immer kleiner werdenden Anzahl von Supermarktketten.“ In Deutschland teilen sich vier große Ketten 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels, nämlich die Edeka-Gruppe, die Rewe-Gruppe, die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland sowie die Aldi-Gruppe. Eine ebenfalls von Oxfam publizierte Studie weist nach, dass deutsche Supermarktketten bei bestimmten Produkten über 50 Prozent des Verbraucherpreises bekommen, während der Anteil der Bäuerinnen und Bauern bei weniger als 8 Prozent liegt. Bei Garnelen aus Vietnam bekommen deutsche Supermärkte beispielsweise 36,5 Prozent vom Verbraucherpreis. Kleinbäuerinnen und -bauern im Mekong Delta werden mit 1,5 Prozent abgespeist.


Gegen Hunger und Mischkaffee

Die DDR schickte Siegfried Kaulfuß 1981 nach Vietnam, um die Zusammenarbeit beim Kaffeeanbau zu organisieren. Im Rückblick erklärt er, welche Bedingungen die DDR und Vietnam zur Kooperation brachten:

„Die Situation in Vietnam war nach dem Kriegsende im Jahr 1975 äußerst schwierig. Die Städte und wichtigsten Industriegebiete waren zerstört; Anbauflächen für Agrarprodukte verseucht und vermint. Die Bevölkerung litt Hunger und große Not. Es war also eine vordringliche Aufgabe, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Neben der Eigenproduktion von Nahrungsmitteln sollten Möglichkeiten für den Export von Gütern geschaffen werden, um Importe von lebensnotwendigen Gütern zu ermöglichen. Als Exportgüter kamen damals nur Produkte der tropischen Land- und Forstwirtschaft in Frage. In der DDR gab es ebenfalls eine schwierige Situation. Die Bevölkerung war unzufrieden mit der Versorgung mit verschiedenen Gütern, darunter Kaffee. Kaffeeimporte konnten nur gegen Bezahlung in Dollar getätigt werden und diese waren in der DDR außerordentlich knapp. Das hatte zur Folge, dass die importierten Rohkaffeebohnen mit verschiedenen Ersatzstoffen ‚gestreckt‘ wurden, was zu einer Verschlechterung der Qualität und zu noch mehr Verärgerung der Bevölkerung führte. Vietnam wollte Kaffee exportieren, der aber erst noch angebaut und produziert werden musste; die DDR wollte und musste Kaffee importieren, ohne dafür Devisen auszugeben.“

Siegfried Kaulfuß: Die Entwicklung des Kaffeeanbaus in Vietnam, in: Ilona Schleicher (Hrsg.): Die DDR und Vietnam. Berichte – Erinnerungen – Fakten, Berlin: Verband für Politik und Völkerrecht, 2011.

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"Von Solidarität zum Schweinezyklus", UZ vom 21. Juni 2019



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