Eine Ausstellung in Eisenhüttenstadt zeigt Plastikmöbel aus der DDR

Von „Garten-Ei“ und „Känguruh-Stuhl“

Frank Schumann

Anderthalb Autostunden von Berlin entfernt liegt Eisenhüttenstadt. Natürlich kann man auch die Bahn benutzen – vorausgesetzt, sie fährt. An jenem Sonntag Anfang März, an dem Klara Nemečkova von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zum Rundgang durch die von ihr kuratierte Ausstellung „PURe Visionen“ einlud, fuhr jedenfalls keine. Eisenhüttenstadt wurde in den fünfziger Jahren auf märkischem Sand neben einem Stahlwerk errichtet. Die erste sozialistische Stadt der DDR ist heute „das größte zusammenhängende Flächendenkmal Deutschlands“, heißt es. Die Einwohnerschaft von Eisenhüttenstadt hat sich seit dem Ende der DDR mehr als halbiert, liegt jetzt unter fünfundzwanzigtausend, folglich gibt es auch kaum noch Kinder. Der einstige Kindergarten in der Erich-Weinert-Allee, genutzt bis 1990, ist da-rum ein Museum. Wie symbolisch! Doch immerhin: Als Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR – zu dem auch das Kunstarchiv Beeskow gehört, nur dreißig Kilometer von hier – verfügt die Einrichtung über 170.000 Objekte und 18.500 Werke der bildenden und angewandten Kunst. Wahrlich ein beachtlicher und ansehenswerter Fundus der Kulturgeschichte der DDR.

In diesem ehemaligen Kindergarten gibt es eine Dauerausstellung und temporäre Sonderausstellungen, aktuell eine, die „Kunststoffmöbel zwischen Ost und West“ zeigt. Die DDR produzierte mehr Möbel aus Polyurethan (PUR) als jedes andere Land der Welt, bis es der Markt richtete: Anfang der 1980 Jahre kaufte kaum ein DDR-Bürger noch Möbel aus Kunststoff, die Produktion wurde 1982 darum eingestellt. Ausgangspunkt der Kunststoffmöbel war das einzigartige Wohnungsbauprogramm der DDR und die Frage, was sich die Mieter in ihre neuen Quartiere stellen sollten. So kam man denn auf die Idee, sie mit Kunststoffmöbeln zu bestücken. Diese waren schnell und in großen Mengen herzustellen. Einfacher und schneller jedenfalls, als Bäume wachsen und in langwierigen Produktionsprozessen zu Stühlen, Tischen und Schrankwänden werden. Dann aber wurden das Erdöl immer teurer und die Devisen immer knapper. Auch schwand das Bedürfnis der Mieter, sich Massenware aus Plaste und Elaste ins Heim zu holen.

Die Exposition im Obergeschoss des Hauses zeigt deren Entwicklung und Produktion, Verbreitung und Verwendung. Man steigt die Treppe hinauf, vorbei an einem dreiflügeligen Bleiglasfenster von Walter Womacka. Es gehört zu den über hundert Kunstwerken im öffentlichen Raum, die noch heute in Eisenhüttenstadt zu sehen sind, sofern sie nicht Opfer von Vandalen oder Buntmetalldieben wurden. Von Womacka stammt auch das Fenster im einstigen Staatsratsgebäude, der Brunnen auf dem Berliner Alexanderplatz und die Bauchbinde im Haus des Lehrers daneben. Alle seine Figuren gleichen sich, natürlich, und auch die Friedenstaube fehlt hier nicht. Farben und Fortschrittsglauben in jedem Fenster.

Die Sonderausstellung wird gesponsert von der „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ und einem Chemiekonzern in Ludwigshafen, der BASF. Wie das? Die Erklärung findet sich bald. Die einen reklamieren gewissermaßen die Vaterschaft für die Ikonen des DDR-Designs – das Garten-Ei und den Z- oder Känguruh-Stuhl. Die anderen möchten den Nachweis führen, dass alles nur geklaut wurde. Die „DDR-Außenhandelsagentur ‚Kommerzielle Koordinierung‘ unter Alexander Schalck-Golodkowski“ habe die Sache „eingefädelt“, liest man auf einer Tafel. „Gestützt auf inoffizielle Wirtschaftskontakte, bezog die DDR von französischen und vor allem westdeutschen Unternehmen Maschinen, technisches Wissen, Schäumformen und Lizenzen für Entwürfe.“

Es ist richtig, dass der I.G.-Farben-Konzern nicht nur in Auschwitz tätig war, sondern damals auch den Schaumstoff Polyurethan entwickelte. In den sechziger Jahren brachte das Nachfolgeunternehmen Bayer Konsumgüter aus diesem Kunststoff auf den Markt. In der DDR verfolgte man seit 1958 ein eigenes Chemieprogramm („Chemie gibt Brot, Wohlstand, Schönheit“). Plasteprodukte und Kunstfasern zogen fortan in den Alltag der DDR-Bürger, die „Plastifizierung“ erreichte bald jeden Lebensbereich. Trotz Embargos und Kalten Kriegs, trotz CoCom-Liste im Westen und Störfreimachung im Osten gab es Austausch und Handel auch im Chemiebereich zwischen der DDR und der BRD. So bezog man anfänglich chemische Grundstoffe von der Bayer AG und anderen Unternehmen, besorgte sich legal Lizenzen und Maschinen aus der Bundesrepublik. Und damit produzierte man im Petrolchemischen Kombinat (PCK) Schwedt und im VEB Synthesewerk Schwarzheide Möbel „aus einem Guss“.

„Das Sortiment von Möbeln aus Schwedt wurde ursprünglich für die Firma Horn im baden-württembergischen Rudersberg entworfen.“ Und diese Möbel „hatten ihren Ursprung im niedersächsischen Lemförde, im ‚Design-Center‘ des Unternehmers Gottfried Reuter. Nach dem Konkurs der Firma 1973 (Elastogran GmbH) wurden sie vermehrt innerhalb der DDR zum Kauf angeboten.“ Mag ja sein, dass das „Garten-Ei“ 1971 von Peter Ghyczy im Westen zum Patent angemeldet wurde, doch die Produktion erwies sich in der BRD als zu teuer, weshalb die Firma Elastogran das aufklappbare Sitzmöbel und andere von ihr entworfene PUR-Möbel-Modelle in der DDR produzieren ließ. Doch die produzierte und entwickelte sie kreativ weiter. Legal und legitim. Nix da mit KoKo und Stasi.

Auch wenn das Garten-Ei und der Z- oder Känguruh-Stuhl also keine genuinen DDR-Erfindungen waren: Dass die beiden Sitzmöbel als Design-Ikonen der DDR berühmt wurden und heute als überzeugendes Beispiel der Ostmoderne gefeiert werden, wäre ohne die Massenproduktion in den siebziger Jahren undenkbar. Der Versuch, mit der Historisierung dieses Vorgangs die DDR um ihre Urheberschaft zu bringen, gelingt mit der Ausstellung eigentlich nicht so richtig. Nehmen wir mal zur Entschuldigung der Kuratorin an: Sie hatte das vielleicht auch nicht vorgehabt.

PURe Visionen. Kunststoffmöbel zwischen Ost und West
Museum Utopie und Alltag, Eisenhüttenstadt
Bis 30. März

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"Von „Garten-Ei“ und „Känguruh-Stuhl“", UZ vom 21. März 2025



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