Aktion, Reaktion, Frustration: In Halle traf sich „Die Linke“ zum Parteitag

Von Frieden, Krieg und Superstars

Vincent Cziesla und Melina Deymann

Kurz vor Schluss herrschte für einen Moment angespannte Erregung in der Messehalle in Halle. Die Lichter waren ausgeschaltet, nur noch ein einzelner Scheinwerfer strahlte das Rednerpult an. Mit dem Einsetzen der dröhnenden Musik brach tobender Jubel aus. Der galt keinem der alten Heroen, nicht Gregor Gysi oder Dietmar Bartsch, sondern dem neuen Superstar der Partei „Die Linke“. Energiegeladen sprang Nam Duy Nguyen auf die Bühne. Bei der Landtagswahl hatte er mit einem beachtlichen Aufwand das Direktmandat für Leipzig geholt, das seiner Partei den Einzug in den sächsischen Landtag sicherte. Nun war es ihm überlassen, die Delegierten das Halleschen Parteitags auf die kommenden Bundestagswahlen einzustimmen. Doch Nguyen, Kind von Vertragsarbeitern aus Vietnam, war nicht nur der Spaßmacher am Parteitagsende, sondern für viele der Prototyp des erneuerten Linksparteilers. Nahbar, authentisch, Haltung und Teamgeist betonend, gab er sich so, wie „Die Linke“ gerne immer und überall wäre. Dann, so die Überzeugung, könnte die Partei die krachenden Niederlagen bei den zurückliegenden Wahlen überwinden.

In Halle sollte geklärt werden, mit welchen politischen Inhalten und welchem Personal die Wiederauferstehung gelingen kann. Die streitenden Lager in der „Linken“ zeigten dabei durchaus Gespür für die bedrohliche Situation, in der sich die Partei befindet. Identitätspolitische Albernheiten, die in der Vergangenheit ganze Diskussionsblöcke dominieren konnten, blieben ein Rauschen im Hintergrund. Auch das als eines der Hauptthemen angekündigte „Bedingungslose Grundeinkommen“ wurde zügig abgehandelt und mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Nach vorne drängte ein heißes Eisen: die Haltung der „Linken“ zum Krieg.

Das lag auch daran, dass die Linken in der „Linken“ spürbar enger zusammengerückt waren. Aus ihren Reihen kamen die Anträge, die offensiv für eine klare Friedenspolitik und Widerstand gegen den Kriegskurs von NATO und Bundesregierung warben.

„Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik!“ forderte die Kommunistische Plattform (KPF) zusammen mit Cuba Sí und der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstbestimmte Behindertenpolitik. Mehrere Bezirksorganisationen und 202 Parteimitglieder hatten den Antrag unterzeichnet. In der Beschlussvorlage wurde die Gegnerschaft zum deutschen Militarismus erklärt, auf die Millionen durch Militarismus und Faschismus Ermordeten hingewiesen, um daraus eine Politik für die heutige Zeit abzuleiten. Der Parteivorstand wollte den Antrag vollständig entkernen, Verweise auf den deutschen Militarismus ebenso streichen wie auf die 27 Millionen Toten der So­wjet­union. Nur 41 Prozent der Delegierten stimmten für diese Entkernung, die dadurch abgelehnt wurde. Aber auch der Antrag „Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik!“ fand keine Mehrheit. Nur 40 Prozent stimmten zu. „Dieses Abstimmungsergebnis ist für uns formal eine Niederlage. Aber die Tatsache, dass nur die Hälfte des Parteitages dem alten Parteivorstand folgte, ist ein politischer Erfolg“, erklärte die KPF am Montag.

Bewegung und ­Gegenbewegung

Das Abstimmungsergebnis zeigt beispielhaft, dass es in der „Linken“ keine gemeinsame Haltung zum deutschen Imperialismus gibt. Es zeigt aber auch die Ambivalenz des gesamten Parteitags. Das linke Lager organisiert sich und erreicht dabei Punktsiege, ohne eine verlässliche Mehrheit hinter sich zu wissen. Kurz vor Parteitagsende konnte per Geschäftsordnungsantrag ein Beschluss zur Unterstützung des Berliner Appells durchgesetzt werden. Auch gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland bezog „Die Linke“ Stellung.

Währenddessen kippt der bisher kursbestimmende Teil der Partei immer stärker ins Lager der NATO-Befürworter. Besonders deutlich wurde dies bei den Diskussionen um den Leitantrag des Parteivorstands. Dort wurde die Hauptherausforderung in der Friedensfrage nicht im Kampf gegen den deutschen Imperialismus oder die NATO verortet, sondern: „Insbesondere der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat ‚Die Linke‘ vor neue Herausforderungen als Partei für Frieden, Entspannung und Abrüstung gestellt.“ Zwar würden auch USA und NATO „eigene geopolitische und strategische Inte­ressen“ verfolgen, aber es wäre „ein Fehler, den Ukraine-Krieg auf seine – unbestreitbare – geopolitische Dimension und damit auf eine rein innerimperiale Auseinandersetzung (…) zu reduzieren.“ Solche Aussagen verlassen das äquidistante Niemandsland, in dem sich die Linkspartei seit Jahren tummelt, in eine bedrückende Richtung. Das gilt auch, wenn der NATO-Krieg gegen Russland zum nationalen Befreiungskampf verklärt wird. „Die ukrainische Bevölkerung kämpft um ihr Recht auf nationale Selbstbestimmung und nimmt das in der UN-Charta verbriefte Recht auf Selbstverteidigung wahr. Die Linke unterstützt dieses Recht“, hatte der alte Parteivorstand formuliert – das hätte Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) selbst nicht anders aufgeschrieben.

Trotz umfangreicher Bemühungen gelang es den linken Kräften nicht, grundsätzliche Verbesserungen im Leitantrag durchzusetzen. Mit großem Eifer bemühte sich vor allem Wulf Gallert als Vertreter des Parteivorstands darum, fortschrittliche Änderungen zu verhindern. Den Delegierten schleuderte er dazu Sätze entgegen, wie: „Die russische Aggression ist real!“ Unterstützt wurde er von einer teils rigorosen Parteitagsregie, die bei kritischen Themen nur wenig Inte­resse an ernsthaften demokratischen Auseinandersetzungen zeigte.

Gallert, der in Zwischenrufen als „Kriegstreiber“ bezeichnet wurde, wurde erneut in den Parteivorstand gewählt – mit dem besten Stimmergebnis in seinem Wahlgang. Aber auch hier gab es eine Gegenbewegung. Mit klaren Statements gegen den Kriegs- und Aufrüstungskurs schafften Naisan Raji, Ulrike Eifler und einige andere linke „Linke“ ebenfalls den Einzug in den Parteivorstand. Sie werden unter schwierigen Bedingungen für eine klare Friedenspolitik kämpfen müssen.

Hauptfeind im Irgendwo

Unklar bleibt nach diesem Parteitag, wie sich die beiden neuen Bundesvorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken verhalten werden. Schwerd­tner sprach sich nach ihrer Wahl gegen das „Bedingungslose Grundeinkommen“ aus, blieb ansonsten aber überraschend dünn in ihren Aussagen. Van Aken bezeichnet sich auf X selbst als „Cheffriedenstaube“, setzt sich aber auch für Sanktionen und damit für Wirtschaftskrieg gegen Russland ein. In Halle blieb er allgemein. Seine erste Rede als Parteivorsitzender widmete er einer Kampagne der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „10 Prozent für alle!“. Würden alle Staaten auf der Welt ihre Militärausgaben um 10 Prozent reduzieren, wäre die Welt ein sichererer Ort.

Dem Voluntarismus, der es erlaubt, auf eine konkrete Auseinandersetzung mit der deutschen Kriegspolitik zu verzichten, wird eine moralisierende Analyselosigkeit beiseitegestellt. Denn, hier waren sich Bundesvorsitzende und Parteitagsmehrheit einig: Schuld am Krieg ist der Russe. Der Hauptfeind im eigenen Land? Das war einmal: „In der Vergangenheit konnten Linke und Friedensbewegte mit einer klaren Haltung gegen die Politik der NATO und der militärischen Konfrontation des Westens gesellschaftlich wirksam sein. Heute gilt es jedoch, darüber hinaus glaubwürdige Antworten auf Aggressionen und Bestrebungen nicht-westlicher Akteure zu finden (…)“, heißt es im Leitantrag.

Da wundert es dann auch nicht, dass „Die Linke“ sich nicht deutlich zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk durchringen konnte und es mit einem „Kompromissantrag“ vermied, den Völkermord in Gaza beim Namen zu nennen.

(siehe Artikel Solidarität blieb draußen)

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"Von Frieden, Krieg und Superstars", UZ vom 25. Oktober 2024



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