Die Zeichen stehen auf Sturm. Die Richtung ist unbekannt“. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zeigte sich bei der Eröffnung des 19. Symposium des Inlandsgeheimdienstes am 22. Mai 2023 tief besorgt. Dem kapitalistischen System sind seine Werte abhandengekommen. Und das in einer Zeit, die durch „Feindschaft gegenüber dem Staat, seinen Repräsentanten und dem Demokratieprinzip“ gekennzeichnet ist. Nicht nur in Deutschland, auch international geht dem Westen durch die „tektonischen Verschiebungen zugunsten einer multipolaren Weltordnung“ langsam aber sicher die Wertebasis aus. Innen und außen von Feinden umgeben, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als „aufmerksam auf unsere Schwächen“ zu lauern.
Das Symposium unter dem Titel „Wertvoll und wehrhaft“ sollte Abhilfe schaffen. Das Ziel war, einen Weg aus der Legitimationskrise zu weisen. Haldenwang setzte dabei vor allem auf die Expertise talkshowbewährter Mitstreiter aus den Kreisen verlässlich regierungstreuer Think-Tanks. Raphael Bossong, ausgewiesener Fachmann für „hybride Bedrohungen“, ihm zur Seite die „China-Expertin“ Angela Stanzel von der durch das Bundeskanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und der „Experte“ für Osteuropa und Zentralasien, Stefan Meister, entsandt von der durch das Außenministerium gesponserten Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), zeichneten in der Podiumsdiskussion ein düsteres Bild von der internationalen Isolation der NATO und der EU und den untauglichen Versuchen, die Länder des Südens für die „regelbasierte Weltordnung“ zu interessieren. Es herrschte Ratlosigkeit angesichts des Scherbenhaufens einer von den USA dominierten unipolaren Welt.
Auch in der zweiten Podiumsdiskussion („Konjunktur autoritärer Ideen“) zur innenpolitischen Situation lief es nicht gerade gut für die Sinnsuche. Immerhin verhalfen die Diskutanten, darunter der Grüne-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz („Diktaturen wie China engagieren sich nicht einfach wirtschaftlich, sie verfolgen strategische Ziele“) und der „Totalitarismusexperte“ Steffen Kailitz dem handverlesenen Publikum zu überraschend neuen Erkenntnissen wie jener, dass die Widerstandsfähigkeit unserer Staatsform gegen Krisen verlustig gehe, wenn die breite Akzeptanz in der Bevölkerung nicht mehr gesichert werden könne. Etwas deplatziert in der Runde wirkte der Persönlichkeitspsychologe Mitja Back, der gerade sein neues Buch „Ich! Die Kraft des Narzissmus“ herausgebracht hat. Er dürfte die Konferenz mit neuem Material für seine Fallstudien verlassen haben.
Bleibt noch zu erwähnen, dass diesmal – aus Erfahrung wird auch der Verfassungsschutz klug – nicht etwa ein Moderator aus dem öffentlich-rechtlichen Funk durch das Programm führte, sondern Ferdos Forudastan, die Geschäftsführerin der CIVIS Medienstiftung GmbH (Mehrheitsgesellschafter: Westdeutscher Rundfunk). Als frühere Pressesprecherin des Ex-Bundespräsidenten Joachim Gauck („Es gibt Situationen, da ist es geboten, die Waffe in die Hand zu nehmen“) darf auch sie als Fachfrau für Wehrhaftigkeit gelten. Außer der ermüdenden Aneinanderreihung altbekannter Stereotypen wie der „Warnung vor dem hohen Radikalisierungsniveau im Linksextremismus“ oder der herbeigeredeten Gefahr durch „Pekings Spionageoperationen“ (Haldenwang) brachten die „Expertenpanels“ inhaltlich nichts zuwege. Wo es keine Inhalte gibt, kann man nur auf die Wiederholung setzen.
Einzig bemerkenswert an Haldenwangs Symposion war die neue Positionsbestimmung des Verfassungsschutzes. Ist im Verfassungsschutzgesetz der Aufgabenbereich streng eingegrenzt auf die „Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen“, schwingt sich der VS nun zum institutionellen Ideengeber in Sachen „Werte“ auf. Das Vokabular zur Feindbeschreibung hat Haldenwang schon parat: „geistige Brandstifter“, „verschwörungsaffine Wirrköpfe“, „Agenten“, „Gefechtsfeld“. Ein Pfeifen im Walde zwar, aber in seiner Aggressivität nicht ungefährlich.