Der Maler und Zeichner Guido Zingerl ist am 23. Februar im Alter von 90 Jahren in Oberbayern gestorben. Zingerl, mit bürgerlichem Namen Heinrich Scholz, war 1968 Mitbegründer der DKP. Mit seinem künstlerischen Talent und Wirken stand er sein Leben lang an der Seite der Arbeiterklasse – gegen Kapitalismus und Faschismus, für Frieden.
In der UZ vom 20. Januar 2023 hat Hermann Kopp Guido Zingerls Schaffen anlässlich dessen 90. Geburtstags gewürdigt.
Da steht der Maler vor seiner Staffelei
100 mal 120 cm, Höhe vor Breite
Ordentlich weiß grundiert
Um ihn herum: Farben auf einem Tisch
5 mal 5 mal 3 Kubikmeter umbauter
Raum
Ein Fenster im elfenbeinernen Turm
Er will ein Gleichnis konstruieren
von dieser Welt
Ein Abbild der Schrecknisse
Den Alptraum der Wirklichkeit
Den Schrei der Angst
Und inmitten dieser neun Kreise
der Hölle
Der Lügen und Verfluchungen
Sucht er die Erkenntnis
Den winzigen Granit der Hoffnung
Das Ebenbild jenes freundlichen
Greises im Hemd vielleicht
Oder besser die Mechanik
unserer Kugel
Genauer: Das Geflecht der Geschichte, den Brunnen der Zeit
Die Wasser der Veränderung
Möchte er da nicht zweifeln mit sich
Im Spiegel seiner Bilder
Verzweifeln und verstummen zugleich
Sich abwenden von dieser Welt und verdorren
Da reißt er die Tür auf
Und lässt die Welt ein
Lässt sich ein mit ihr
Und ist schon verstrickt
In Gut und Böse
In Tun und Nichtstun
In Gelingen und Nichtgelingen
Und fasst den winzigen Granit der Hoffnung plötzlich an
Mit seinen Händen
Spürt ihn an seiner Haut
Verliert sofort den Überblick, den Blick von der hohen Warte
Erblickt das Nahe, das Neue
Begreifbar der Tag
Fassbar die Rätsel
Veränderbar das Geschick
der Verdammten
Sie drängen herein
Die anderen, die nahen, die nächsten
Menschen, die er nicht mehr los wird
Die ihn bedrängen mit Ideen
Die ihn fordern mit Taten
Die ihn stoßen und streicheln
Die ihn stürzen und aufstellen
Menschen, die ihn nicht mehr
los werden
Geflecht der Geschichte:
die arbeitende Klasse
Die Klasse, die auf sein Bild wartet
Auf seine 100 Zentimeter mal 120
Und die auch nicht wartet
Ihn fortreißt, ihn mitreißt als einen
der ihren
Als einem der ihren an der Wolga,
am Mekong, auch an der Isar
Wenn nicht wir, wer sonst!
Da malt er sein Bild
Das Gleichnis von dieser Welt
Das Abbild der Schrecknisse und
Auch den Schrei der Angst
Das Bild aber von den vielen anderen
Den winzigen Granit der Hoffnung
In die Mitte
Wie Grünwalds Bauer am Kreuz
Wie Kraliks Kämpfer
Oder Scherkamps Rufer – presente
Da steht der Maler vor seiner Staffelei
Malt sein Bild auf den weißen Grund
Wie er es wollte
Trägt es hinaus zu den Genossen
Und auf ihm diesen winzigen Granit der Hoffnung