Laos’ langer Weg in Richtung Sozialismus · 2. Bericht der Reisen nach Vietnam und Laos

Von der Monarchie in die Moderne

Der 1. Teil des Reiseberichts war abgedruckt in der UZ vom 25. 11.

Die Demokratische Volksrepublik Laos ist ein Staat, der mit 237 000 qkm in der Fläche etwa zwei Drittel der BR Deutschland ausmacht, aber kaum 6,5 Millionen Menschen bevölkern dieses Land, das als einziges in der Region Südostasien keinen Meereszugang hat und zwei lange Grenzen mit Vietnam und Thailand und drei kurze mit China, Myanmar und Kambodscha teilt. Mit der Volksrepublik China, der Sozialistischen Republik Vietnam und der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik zählt die DVR Laos zu den vier Staaten in Asien, die gemeinhin zu den verbliebenen „sozialistischen“ gezählt werden – neben Kuba. Wie viel Sozialismus steckt in diesem Land, dessen jüngere Geschichte viel mit der Vietnams gemein hat?

Eine Angehörige der Streitkräfte bei der Andacht.

Eine Angehörige der Streitkräfte bei der Andacht.

( Manfred Idler)

Dennoch sind Laos und Vietnam in kultureller Hinsicht recht unterschiedlich: Pflegt man in Vietnam vorwiegend den Ahnenkult, so hängen in Laos geschätzt 85 Prozent dem Buddhismus an. Unsere kleine Delegation wird in der Hauptstadt Vientiane mit Ehrenbezeigungen empfangen, wir nehmen in einer schwarzen Limousine auf den Rücksitzen Platz. Vorne sitzen der Fahrer und ein freundlicher, kräftiger, junger Mann, der während unseres Aufenthalts in der laotischen Hauptstadt unser Schatten sein wird – immer lächelnd, zuvorkommend und wachsam.

Ob uns überhaupt eine Gefahr droht? Alle, die schon einmal in Laos gewesen waren, sagten vorher: wunderschön und ruhig. Und nach sechs Tagen Hanoi bemerken wir schnell den Unterschied zum Nachbarland: die Regeln des Straßenverkehrs werden tatsächlich beachtet. Womöglich ist Vientiane eine der phonärmsten Hauptstädte der Welt; und Eile scheint höchstens Sache der Touristinnen und Touristen.

Wie mag Barack Obama diese Ruhe empfunden haben, als er vor einigen Monaten in Laos war? Immerhin stellte er fest, dass die USA zwischen 1964 und 1973 einen „geheimen Bombenkrieg“ gegen Laos geführt haben, als sie Vietnam zerpflügten und irgendwann bemerkten, dass der Ho-Chi-Minh-Pfad größtenteils durch Laos verlief. Wenig bekannt ist, dass auch in Laos Menschen mit Agent Orange vergiftet wurden. Obwohl es nie eine Kriegserklärung der USA gab, war dabei neben den vietnamesischen Patrioten auch die laotische Befreiungsbewegung das Ziel: der kommunistisch orientierte Pathet Lao, der 1975 die Macht erkämpfte.

Drei Millionen Tonnen Bomben auf damals drei Millionen laotische Menschen – tausend Kilo pro Person; insgesamt mehr als im Zweiten Weltkrieg auf Deutschland und Japan zusammen abgeworfen wurden. 250 Millionen Bomben – was bedeutet, dass jede B-52 alle acht Minuten, 24 Stunden täglich, neun Jahre lang, ihre Fracht über Laos abwarf. Klägliche 98 Millionen US-Dollar ließ Obama dort; für ein dreijähriges Programm zur Entsorgung der seit über vier Jahrzehnten dort lagernden Blindgänger, von denen viele erst jetzt explodieren und immer noch töten. Hundert Jahre, so sagt die Regierung, werde es allerdings noch dauern, alle Bomben zu finden und zu beseitigen.

Seit dem Krieg sind die Elefanten, das Symboltier des Landes, fast gänzlich Richtung Thailand verschwunden – dauernde Bombenexplosionen machten sie zu Vertriebenen; nur etwa dreihundert gibt es noch in Laos. Die Menschen blieben und sahen zu, wie sie mit den Überbleibseln des Krieges klarkamen. Ein PeaceBomb-Projekt bietet Tourist/inn/en aus Bombensplittern gefertigtes Kunsthandwerk an: „Buy back the bombs“.

Eine verrostete Maschinenkanone erinnert an den Luftkrieg der USA gegen Laos.

Eine verrostete Maschinenkanone erinnert an den Luftkrieg der USA gegen Laos.

( Manfred Idler)

Laos hat eine gut tausendjährige Geschichte, im 14. Jahrhundert wurde das Gebiet zum Königreich Laos vereinigt. In Luang Prabang, einer Provinz, in der zahlreiche Tempel und Gebäude zum Welterbe der Menschheit erklärt wurden, hatten wir Gelegenheit den ehemaligen Königspalast zu besichtigen. Reichlich Stolz auf die Monarchie – auch Angehörige der königlichen Familie kämpften gegen koloniale Unterdrückung – ist allenthalben zu spüren. Auch die buddhistischen Tempel sind nicht nur sehenswert, sondern zeigen, dass auch Mitglieder der regierenden „Laotischen Revolutionären Volkspartei“ unter den 85 Prozent Gläubigen gehören. Eine Nähe auch zu den religiösen Gepflogenheiten des Volkes – in der Übergangsphase zum Sozialismus vermutlich unumgänglich und z. B. auch in Kuba gebräuchlich – muss also keineswegs künstlich hergestellt werden. Etwa 100 000 Mönche gibt es in Laos, die von der LRVP ideologisch genutzt werden. In den Religionsschulen der Bettelmönche, die von Spenden der Bevölkerung leben, werden auch die politischen Richtlinien der laotischen Revolution gelehrt.

Sounthone Xayachack, Leiterin der Abteilung für Außenbeziehungen der LRVP, führt uns bei einem informativen Empfang in der Abteilung für internationale Beziehungen des Zen­tralkomitees durch die Geschichte des Landes. Immer habe es Widerstand gegen ausländische Einmischung geben müssen, zunächst im 18. Jahrhundert gegen die durch Siam (entspricht in etwa dem heutigen Thailand), und dann gegen die französische Okkupation mit dem Jahr 1893. Mit der KP Indochinas und der Anleitung des Unabhängigkeitskampfes durch Ho Chi Minh wurde der Kampf dann auch ideologisch geführt. Japan löste Frankreich im Zweiten Weltkrieg als Unterdrücker ab. Laos erklärte seine Unabhängigkeit, doch am 12.10.1945 kamen die alten Okkupanten zurück. Der zweite Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich war 1954 entschieden, aber wie im Falle Vietnams ersetzten die USA in der Folge Frankreich. Weitere zwanzig Jahre waren unter hohem Blutzoll nötig, die US-Truppen aus zehn von ihnen besetzten Provinzen zu vertreiben. Drei nationale Koalitionsregierungen (1957, 1962 und 1973) mit Rechten, Linken und Zentristen ging die 1955 gegründete, damals noch „Partei des Laotischen Volkes“ (LPP) genannte, den Pathet Lao als ihren bewaffneten Arm führende Widerstandskraft dabei ein.

1975 war unter Führung von Kaysone Phomvihane der Sieg parallel zu dem des vietnamesischen Volkes errungen. In den folgenden Monaten wurde die Monarchie gestürzt und die sozialistische Gesellschaft ausgerufen. Genosse Phomvihane war Generalsekretär der LPP seit 1955 und von 1975 bis 1991 Premierminister, dann bis zu seinem Tod 1992 Präsident der DVR Laos. Vor dem Gebäude, in dem uns das Politbüromitglied Chansy Phosikham empfängt, ist eine mächtige Statue von Kaysone Phomvihane errichtet worden, der das enge Bündnis mit Vietnam bis zu seinem Tod fortführte.

1975 bis 1985 war die schwierigste Zeit für Laos, erklärt Genossin Sounthone Xayachack. Einerseits hieß es die Kriegsschäden zu beseitigen, die die Entwicklung hemmten. Andererseits erwies sich das Sozialismusmodell der Sowjetunion als nicht geeignet, die Bedürfnisse der laotischen Gesellschaft zu stillen. Seit 1979 hatte man eine wirtschaftliche Öffnung vor, zu der es dann jedoch erst ab dem 4. Parteitag 1986, parallel zum „Doi Moi“ Vietnams und unabhängig von der Perestroika der UdSSR, kam. Der so genannte Neue Ökonomische Mechanismus (NEM) als Grundlage für eine „sozialistische marktorientierte Wirtschaft“ brachte Privatisierungen in der Landwirtschaft und steigerte das Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet jährlich 114 US-Dollar (1985) auf 2 027 US-Dollar im Jahr 2016. Das Wachstum betrug zwischen 2011 und 2015 7,9 Prozent; die Lebensbedingungen haben sich dadurch verbessert. Heute liegt die Lebenserwartung bei 65 Jahren, und nur noch 6,6 Prozent der Haushaltungen werden als arm bezeichnet. Das heutige Motto der Wirtschaftspolitik heißt „Marktwirtschaft unter Führung der Partei und der Regierung“. Dabei stehen Staatssektor und kleine und mittlere Privatunternehmen im Fokus.

Sechs Prinzipien bilden die Basis für die Wirtschaftspolitik: 1. Sozialismus als Leitlinie, 2. Marxismus-Leninismus im Rahmen der Realitäten von Laos, 3. Demokratischer Zentralismus bei Führerschaft der LPRP und Beachtung der inneren Solidarität; 4. Demokratie für das Volk, 5. Macht der Administration und Effektivierung der Volksmacht, 6. Unabhängigkeit und freundschaftliche Beziehungen zu anderen Ländern. Der 10. Parteitag im Januar 2016 hat in drei Etappen Entwicklungspläne für einen Zeitraum bis 2030 beschlossen. 685 Delegierte, die 268 000 Mitglieder vertraten und ein Zentralkomitee von 77 Mitgliedern wählten, legten für den Zeitraum bis 2020 als Ziel fest, Laos aus dem Staus eines niedrigstentwickelten Landes herauszuführen (angepeilt sind umgerechnet 3 190 US-Dollar pro Kopf und Jahr). Der achte nationale sozioökonomische Fünf-Jahres-Entwicklungsplan wird sein Augenmerk auf das Wirtschaftswachstum legen, das über Industrialisierung, Modernisierung und Nachhaltigkeit erreicht werden soll. Die ländliche Entwicklung wird dabei als wichtig angesehen.

Für 2025 ist der Status eines Mittel­einkommenslandes die Marke für die Entwicklungsstrategie. Dazu soll die Mehrheit des Volkes in die Lage versetzt werden sich selbst zu versorgen, und die Millenniumsziele werden erreicht. Für 2030 wurde eine vorläufige Vision beschlossen, wonach das BIP gegenüber 2015 vervierfacht und der Status eines Landes mit „oberem mittlerem Einkommen“ erreicht werden soll.

Ausländische Direktinvestitionen (ADI) sind für Laos von großer Wichtigkeit. Vierzehn Sonderwirtschaftszonen, vorwiegend im Zentrum und Süden des Landes, wurden geschaffen. Damit ist Laos Teil des „Südkorridors“ der Region, der von Myanmar über Thailand, Laos nach Vietnam reicht. Mit Abstand die meisten der insgesamt 55 Investoren kommen aus den politisch eng verbundenen Nachbarstaaten China und Vietnam, gefolgt von Thailand und Südkorea. In der Landwirtschaft ist die private ausländische Beteiligung auf 49 Prozent begrenzt, betont Genossin Xayachack, aber im Hotelbereich sind bis zu 100 Prozent möglich. Vorrangige Ziele der ADI sind Industrie und Infrastruktur. Aus Deutschland ist vor allem der Bosch-Konzern aktiv.

Die Gewerkschaften sind mit 200000 Mitgliedern die wichtigste Massenorganisation des Landes, die Hälfte davon sind Frauen. Bei deren stellvertretendem Vorsitzenden Yang Yong Xeng Tong Ye erfuhr die DKP-Delegation, dass die wöchentlichen Arbeitszeiten variabel gehandhabt werden, aber auch in den Sonderwirtschaftszonen den Gesetzen unterliegen. 48 Stunden pro Woche heißt die Regel. Im Bergbau können es auch 60 Stunden sein, wobei nach vier Wochen jeweils zwei komplette freie Wochen folgen, sodass sich das Mittel auf 40 Stunden wöchentlich einpendelt. Der mittlere Lohn eines/er Arbeiter/in beträgt umgerechnet 150 bis 180 US-Dollar. Der Urlaub beträgt 15 Arbeitstage, also drei Wochen. Das Renteneintrittsalter liegt für Frauen bei 55, bei Männern bei 60 Jahren. Der Mutterschutz beträgt drei Monate im öffentlichen Dienst, in der Privatwirtschaft fünf Monate.

Die DKP-Delegation und ihre Gastgeber im Vorzeigebetrieb „Lao Brewery Company“

Die DKP-Delegation und ihre Gastgeber im Vorzeigebetrieb „Lao Brewery Company“

( Manfred Idler)

Bei der „Lao Brewery Company“ gehen die Uhren etwas anders. Nicht nur, dass uns der Braumeister des „BeerLao“, Sitthixay Ketthavong, in exzellentem Deutsch begrüßt, weil er seine Ausbildung in Dresden gemacht hat, sondern die Entlohnung der 800 Beschäftigten im größten Industriebetrieb ist mit etwa 300 US-Dollar monatlich fast doppelt so hoch wie anderswo im Land. Die Wochenarbeitszeit ist mit 44 Stunden zudem etwas geringer, kein Wunder, so der Braumeister, dass eine Anstellung hier begehrt ist. Man hat auf dem riesigen Gelände modernste Brauereianlagen vor sich, die vorwiegend aus deutscher Produktion sind; Arbeitsschutz und Nachhaltigkeit werden groß geschrieben. Das Unternehmen ist zu 50 Prozent im Besitz der dänischen „Carlsberg AG“. 98 Prozent des in Laos konsumierten Bieres werden hier hergestellt; der kleine Rest ist Importware. Inzwischen sucht die Lao Brewery Company ausländische Absatzmärkte. Die Qualität des auf Reisbasis gebrauten Bieres rechtfertigt die Idee.

Sind Vietnam und Laos sozialistisch? Was sind dafür die Kriterien? Wie in China und Kuba ist die Kommunistische Partei an der Macht, sind Militär und Hauptpfeiler der Wirtschaft in staatlicher Hand. Die Einordnung ist dennoch schwierig, denn private Banken sind kein Tabu, auch nicht privater Landbesitz oder Eigentum an Produktionsmitteln. Von den vier genannten Ländern nennt sich keines mehr offen „sozialistisch“, sondern in verschiedenen sprachlichen Abwandlungen als „auf dem Weg zum Sozialismus“. Ganz anders als im fernen Deutschland wird die Debatte mit den Gesprächspartnern dort sehr konkret, wenn über die Bedürfnisse von 91 Millionen Menschen in Vietnam oder 6 Millionen in Laos gesprochen wird und über die Notwendigkeit, sie täglich zu ernähren, mit Energie, Kleidung und Wohnraum zu versorgen. Von der schneller werdenden Entwicklung nicht nur der Produktivkräfte, sondern auch des menschlichen Individualismus ganz abgesehen.

Die Wege zum Sozialismus sind demnach unterschiedlich.

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"Von der Monarchie in die Moderne", UZ vom 16. Dezember 2016



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