Eine Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast

Von der Kunst, Gas zu geben

Von Dietmar Spengler

Die großen Ausstellungssäle des Düsseldorfer „Kunstpalasts“ sind Austragungsort einer Technoparade von Edelkarossen. „Vollgas geben am Rheinufer!“, heißt die Devise in der kulturaffinen Landeshauptstadt. Cranach, Raffael, Rubens, Caspar David Friedrich, Achenbach, Jawlensky, Beckmann – passé? Überholt!

Vor einer geraumen Weile fanden die „Traum-Flitzer“ Eingang in die hehren Hallen des Museums. Unter dem Titel „PS: Ich liebe Dich“ holte man 29 extravagante Sportwagen aus der Zeit der 1950er bis 1970er Jahre in den Ehrenhof. Möglich gemacht wurde die Auto-Show im „bedeutendsten städtischen Museum“ (Rheinische Post) durch die Übernahme der Generaldirektion von Felix Krämer, der vorher Sammlungsleiter der Kunst der Moderne am Städel Museum in Frankfurt am Main war. Kuratiert wurde die Ausstellung von Barbara Til, Leiterin der Skulpturensammlung des Museums, sowie dem Werbeguru und Rallyefahrer Dieter Castenow. Glaubt man den Verkaufszahlen der Auto-Produzenten, dann liegt Krämer mit seiner Ausstellung voll im Trend.

 „Die Ausstellung ist die erste ihrer Art, in der das Auto als Kunstwerk aus Form, Technik, Design und Emotionen im Mittelpunkt stehen wird“, verlautet die Website des Museums. Ein Hype? Das Presse- und Rundfunkecho jedenfalls feiert im Hockenheim-Modus, plappert alles nach, was der/die Kurator/in suggeriert. Da wird von „einem Requiem auf die kunstvollen Objekte“ geschwafelt und das Museum zum „Mausoleum einer stürmischen Mobilität“ hochstilisiert (Welt). Adjektive wie „magisch“, „himmlisch“, „elegant“ und „anmutig“ rauschen durch den Blätterwald. ARD, WDR, BR, Facebook und Youtube stimmen unisono Lobeshymnen an.

Vom Kunstwerk ist die Rede! Krämer geht mit der Ausstellung neue Wege und tritt an, „Kulturbegriffe zu entstauben“. Mainstreaming ist angesagt. Ob’s ein Auto ist oder eine Skulptur: Das Jaguar-E-Type-Coupé von 1961 wird ausgestellt wie ein großes Gemälde. Automobile seien, so Krämer, ästhetische Gesamtkunstwerke aus Karosserie und Maschine. Der „Chevalier dans l’Ordre des Arts et des Lettres“ (Wikipedia) will im „Cross-Over“ verschiedene Gattungen und Genres verbinden und fegt mit eisernem Besen eingespielte Traditionen hinweg. Dass dabei das mit Kunstwerken reich bestückte Museum unter die Räder gerät, wird nicht bedacht.

Auch die Kuratorin versteigt sich im WDR zu der Behauptung, dass es sich bei den Ausstellungsobjekten um Skulpturen mit 12 Zylindern und 349 PS, somit um Kunst handle. Wahr ist, dass das Studium der Kunstgeschichte auch nicht mehr das ist, was es sein sollte.

Höhepunkt der Apologie auf das Prestigevehikel ist die Definition von dessen „Kunstwerkcharakter“. Er findet seine, mit Verlaub, abstruse Begründung in der „ungeheuren Wertsteigerung“, die das „hochkarätige Artefakt des Marktes“ in der Vergangenheit erfuhr. Ein „Marktartefakt“ der „wertstabilen Anlage für High-end-Klientel“ mit Kunstwerkcharakter? Liegt da eine Verwechslung vor? „Pecunia non olet“, hieß es bei den alten Römern, wenn sie Geschäfte mit zweifelhaften Waren tätigten. Da kommt auch ein Kurator ins Träumen, wenn die Auktionsspitzen für Kunstware die 100-Millionen-Grenze durchbrechen. Gnadenlos okkupiert der Kunstmarkt die Werke und verfügt bedenkenlos über das, was Kunst sei. Konsequenz: Der Preis bestimmt, was Kunst ist. Und umgekehrt definiert sich Kunst durch den Preis, den sie erzielt. Gewiss lässt sich argumentieren, die Veränderung der Kunst und ihres Begriffs sei ein Resultat der Rationalisierung und Modernisierung der Gesellschaft, wie es zum Beispiel der Kubismus als Reaktion auf die Industrialisierung war. Keineswegs aber dürfen sie sich der Geschichte gegenüber affirmativ oder gleichgültig verhalten. Sie wären nur bekräftigender Spiegel eines Status quo. Vielmehr ist es Aufgabe der Kunst, sich aus der Umklammerung der Warenwelt zu lösen und gegen deren Zweckdienlichkeit zu opponieren. „Produkte, die nur mit dem Zeitgeist schwimmen“ (Adorno), ermangelt spezifisch ästhetischer Qualität und der Resistenz gegen das Hier und Jetzt.

Ästhetischer Luxus aber, wie er in der Düsseldorfer Schau propagiert wird, haftet an der Oberfläche. Er reflektiert den „faulen Zauber der Kulturindustrie“, so Adornos Worte, ist Camouflage im Schafspelz. Hier wird ein Kultus zelebriert, der die niedersten Instinkte der Gattung Mensch anspricht und ein Produkt verherrlicht, das in seiner gegenwärtigen Konzentration viel Unheil verbreitet.

Die Düsseldorfer Ausstellung depraviert Kunst zum Fun-Artikel. Wenn man so fahrlässig mit dem Begriff der Kunst umgeht, wie die Kuratoren, die im Einklang mit der „communis opinio“ Produkte der Warenwelt zu Kunstwerken erklären, dann sei die Frage erlaubt, ob sich die falschen Leute am richtigen Ort befinden. Hier wird Kunst mit Kult verwechselt und der Wertschöpfung subsummiert. Dass der Kunstbegriff flottiert wie ein Fähnchen im Sturm, seine Definition seit seiner Ablösung von konkreten Kriterien in die Beliebigkeit des Akklamators fällt, ist Fakt. Hic et nunc, Hinz und Kunz bestimmen, was Kunst sei. Gefällt ein Werk dem Galeristen oder dem Kurator, sei es technisches Artefakt oder Gebrauchsgegenstand, setzt er es auf die Liste ausstellenswerter Dinge. Einmal in der Galerie oder im Museum, wird das Ding zum Kunstwerk nobilitiert. Einfacher lässt sich eine gewinnbringende Investition nicht tätigen. Marktideologie ersetzt die Aura, die ehemals erfinderischer Geist und manuelle Fertigkeit hervorbrachte. So geht die „Entkunstung“ von Kunst.

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"Von der Kunst, Gas zu geben", UZ vom 30. August 2019



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