„Ich werde mich dafür einsetzen, dass in Deutschland gelagerte Atomwaffen aus unserem Lande abgezogen werden“, kündigte Martin Schulz im Wahlkampf an. Versprechungen des SPD-Vorsitzenden haben keinen hohen Stellenwert, umso bemerkenswerter erscheint, dass es die Nachrichtenagentur dpa für nötig hielt, am 4. Februar diesen Satz zu den Atombomben in Büchel zu zitieren.
Faz.net stellte den Text unter die Überschrift „Nuklearwaffen bleiben in Deutschland“, denn Schulz hatte sich selbstverständlich in den Koalitionsverhandlungen nicht an sein Geschwätz von gestern gehalten: „Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD wird sich das (Abzug der Atomwaffen aus Büchel, A. S.) allerdings voraussichtlich nicht niederschlagen.“ dpa weiter: „Ein Abzug der Bomben in Büchel wird von den Koalitionsexperten nur als Ergebnis von Abrüstungsverhandlungen für möglich gehalten: ‚Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.’“
Wir sind also wieder beim „Totrüsten“. Etwas anderes bedeuten Abrüstungsgespräche für imperialistische Staaten nicht. Das festzustellen bedeutet nicht, Reduzierung oder Verbot von Waffen abzulehnen, es bedeutet lediglich: Wie es imperialistische Kriege gibt, gibt es auch imperialistischen Frieden. Ein Musterfall war der Friedensvertrag vom 3. März 1918 zwischen dem revolutionären Russland und den Mittelmächten. In der Sowjetunion und der DDR wurde er zu Recht als „Raubfrieden“ bezeichnet.
USA und NATO, die Sieger im Kalten Krieg gegen Sowjetunion und die sozialistischen Länder Europas, verwandelten den „Friedensvertrag“, den Michail Gorbatschow insbesondere mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990 zur „Regelung in Bezug auf Deutschland“ ausgehandelt hatte, ebenfalls in eine Art Raubfrieden: Diesmal wurde nicht russisches Territorium annektiert, der Westen machte sich einfach dort breit, wo sich die Sowjetunion zurückzog. Ost- und Südosteuropa wurden wirtschaftlicher Hinterhof der Bundesrepublik. Die NATO steht an der russischen Grenze und hat afghanische Basen, sie erreicht jeden Punkt im größten Land der Erde mit konventionellen Waffen. Russland ist entgegen den berechtigten Hoffnungen, die sich der Westen in den 1990er Jahren machte, nicht zerfallen – im Gegenteil. Es bleibt aber mit seiner gigantischen Ausdehnung und mit seinen mehr als 80 Nationen und Nationalitäten ein aus Sicht des Westens wackliges Konstrukt. Das macht Appetit.
Ein konzentrierter Ausdruck dieses Hungers auf mehr ist die am 2. Februar offiziell in Washington vorgestellte atomare Strategie der USA mit ihrer Ankündigung, neue taktische Atomwaffen zum Gebrauch vor allem gegen Russland zu entwickeln. Bisher veranschlagt: Mehr als eine Billion US-Dollar in 30 Jahren. Sie zeigt, erklärte Sigmar Gabriel am 4. Februar ausnahmsweise richtig, „dass die Spirale eines neuen atomaren Wettrüstens bereits in Gang gesetzt ist“. Er vergaß hinzuzufügen: Den entscheidenden Schub erhielt das Aufrüsten auf dem NATO-Gipfel 2016 in Warschau, vorher konnte von Wettrüsten keine Rede sein.
Jetzt so zu tun, als sei die Koalition a) überrascht und b) ein wenig dagegen, ist pure Heuchelei.
Auf einem anderen Blatt steht: So etwas hat sich für die SPD jedes Mal – von der Wiederbewaffnung nach 1945, dem NATO-Beitritt bis zum Doppelbeschluss, dem Irak-Krieg 2003 bis zu Martin Schulz’ oben zitiertem Wahlkampfversprechen immer ausgezahlt. Neues Wettrüsten, neues SPD-Glück. Da erhält die Partei stets eine echte Funktion: Die Wut der Bevölkerung im Zaum halten, z. B. durch zeitweilige Übernahme der Führung des Protests und rechtzeitiges Wegtreten. Im übrigen sagen die Think-Tanks: Ist der Putin einmal weg, kracht es im russischen Gebälk. Prognose: Die SPD wird nichts dagegen haben, für die Situation das atomare Pulver aufzustocken.