Die Demokratie der antiken Polisbürger in Athen oder Rom war beschränkt auf Männer, die Eigentümer von Grund und Boden waren. Das Privatleben der Polisbürger war identisch mit dem Sein als Gemeindemitglied, wo demokratisch Entscheidungen gefällt wurden.
Der Staat, das waren die Polisbürger als Gemeinschaft. Eine Trennung von Staat und Gesellschaft, von Staat und Polisbürger, gab es nicht. Die ökonomische Basis der Polisdemokratie war die Sklaverei. Die Sklaven waren in dieser Demokratie nur Objekte ihrer Eigentümer, der Polisbürger. Die Tötung eines Sklaven galt als Sachbeschädigung. Die Freiheit und Gleichheit existierte weder für Sklaven noch für Frauen.
Im Feudalismus entschied die Geburt eines Menschen, ob er Leibeigener wurde oder adliger Grundbesitzer. Der Schutz des Eigentums und die Abgabepflicht der Leibeigenen an den Grundherren war eine politische Zwangsmaßnahme des Staates, der ein Staat der Aristokratie war. Der Mensch, anders als in der Polis, wurde nach Marx zum „wirklichen Prinzip des Staats, aber der unfreie Mensch.“
Der feudale Staat war deshalb die „Demokratie der Unfreiheit, die durchgeführte Entfremdung.“ Volk und Staat bildeten eine substanzielle Einheit.
Erst die bürgerlichen Revolutionen gegen diese „Demokratie der Unfreiheit“ brachten formale Gleichheit der Menschen. Alle hatten das gleiche Recht, Eigentum zu erwerben und anzuhäufen. Doch nur wenigen gelang dies. Sie bildeten die neue herrschende Eigentümerklasse, die Bourgeoisie. Sie musste fortan „notgedrungen heucheln und die (bürgerliche) Demokratische Republik, die in Wirklichkeit eine Diktatur der Bourgeoisie, eine Diktatur der Ausbeuter über die schaffenden Massen ist, als ‚Volksmacht‘ oder als Demokratie überhaupt oder als reine Demokratie hinstellen.“ (Lenin)
Das Verhältnis von Bürger und Staat wurde erstmals ein rein gesellschaftliches. In Folge der Französischen Revolution wurde der Staat idealisiert als neutrales Steuerinstrument der Gesellschaft, das der Citoyen (der ideelle Staatsbürger) unabhängig vom ökonomisch-sozialen Dasein der Gesellschaft, mit klugen Ideen und Festlegungen von Rahmenrichtlinien in seinen Händen halten sollte. Der Gegensatz dazu ist der ganz alltägliche, frei arbeitende und agierende „Mensch“, der ganz eigennützig materiellen Fortschritt im praktischen Austausch von Tauschwerten sucht. Der „Mensch“ bringt mit seiner privaten Produktions- und Austauschweise mit immer effektiveren Produktionsmitteln einen allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritt in Gang. Da der Citoyen, der scheinbar über diesen „Menschen“ schwebt, aber immer auch gleichzeitig „Mensch“ sein muss, also am Austausch von Waren selbst als Person beteiligt ist, um leben zu können, ist es nicht die Idee der Unabhängigkeit, die ihn als Staatsbürger leitet, sondern es sind die materiellen Interessen, denen er in seinen staatlichen Entscheidungen dient. Er ist Diener und Schützer der „Menschenrechte“, durch deren Einhaltung der freie Austausch der Tauschwerte aller Art auf immer höherer Stufenleiter (Maschinen, Rohstoffe, menschliche Arbeitskraft und so weiter) erst möglich wird. Der Citoyen wird schließlich der direkte Diener der „Menschen“, die in der Konkurrenz der Warenproduzenten eine Monopolstellung einnehmen. Der freie, ungezügelte Austausch von Tauschwerten schafft einen globalen Markt, auf dem das Gesetz der internationalen brutalen Konkurrenz herrscht. Ein Monopolkapital schlägt das andere tot oder schluckt es. Ganz unverhohlen lässt sich der Citoyen im höchsten Stadium des Kapitalismus, im staatsmonopolistischen Imperialismus, von Lobbyisten Gesetze schreiben oder Gutachten erstellen, die militärische Aufrüstung, soziale Entrechtung, Privatisierungen et cetera vorbereiten. Deshalb gedeiht in der bürgerlichen Demokratie, mit ihrem idealisierten Citoyen am Staatsruder, der egoistische, weil ausschließlich partikular für sich denkende und handelnde Mensch, der das reale Gattungsleben der Menschen als „Gegensatz zu seinem materiellen Leben“ begreift.
Wenn der Citoyen und seine Medien-experten die Presse- und Versammlungsfreiheit loben, dann ist dieses Recht, wie das bürgerlich-demokratische Recht überhaupt, ein Recht, das formal jedem Menschen zur Verfügung steht. Aber nur die Klasse der Monopolisten, die Fernseh-, Verlags-, Wissenschaftsanstalten in großem Stil ihr Eigentum nennt, kann dieses formale Recht zur Verbreitung ihrer Herrschaftsideologie nutzen.