Eine Legende über das Bundesverfassungsgericht

Vom Partei- zum Berufsverbot

Von Georg Fülberth

Falls es noch Leute gäbe, die sich für derlei interessieren, müsste ein 2017 erschienenes Buch sie aufregen, in dem der Historiker Josef Foschepoth eine Legende zerstört, die sich bis in die allerjüngste Gegenwart hinein gehalten hat. Ihr zufolge hat das Bundesverfassungsgericht 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) nur mit allerschwerstem Bauchweh verboten. Es sei von der Bundesregierung unter Druck gesetzt worden, habe gezögert, sich gewehrt und unter großen Bedenken sein Urteil gefällt. In diesem Beharren auf der Einhaltung rechtsstaatlicher Normen seien noch Spuren einer Distanz zur inzwischen durchgesetzten gesellschaftlichen und politischen Restauration im Kalten Krieg bemerkbar. Die Richter wollten den Antifaschismus der ersten Nachkriegsjahre nicht völlig vergessen und hätten nur seufzend eine Partei verboten, die im Widerstand gegen Hitler in Deutschland die größten Opfer brachte.

Foschepoth zeigt nun, dass dies alles Hokuspokus gewesen ist. Zwar habe die Bundesregierung tatsächlich massiv in das Verfahren eingegriffen, aber dies sei gar nicht nötig gewesen: die Richter waren ohnehin von vornherein zum Verbot entschlossen gewesen. Einer von ihnen, Erwin Stein, habe sogar ein Protokoll manipuliert. Der Autor fasst seinen Befund schon im Titel des Buchs zusammen: „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg.“

Wie passt das mit der Behauptung zusammen, dass die erste Karlsruher Richtergeneration weniger als andere Teile der Justiz NS-belastet war?

Erstens: Stubenrein war sie auch nicht. Im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts saß Willi Geiger, NSDAP-Mitglied seit 1937 und 1940 Verfasser einer Doktorarbeit, in der er Berufsverbote für jüdische Journalist(inn)en rechtfertigte. Als Staatsanwalt in Bamberg 1941–1943 erwirkte er u. a. ein Todesurteil für einen Zwangsarbeiter, der gegen sechs bis acht Jugendliche, die ihn überfielen, ein Messer gezogen hatte. 1975 war er noch an einem Spruch des Bundesverfassungsgerichts zugunsten des so genannten Extremistenerlasses beteiligt.

Man mag einwenden, dass Geiger im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts saß, während das KPD-Verbot vom Ersten beschlossen wurde.

Ihm gehörte Josef Wintrich, zugleich Präsident des Bundesverfassungsgerichts, an. Er war, anders als Geiger, kein Nazi gewesen und wurde 1937 als Staatsanwalt in München ab- und als Amtsrichter in einen kleinen Ort versetzt, weil ungewöhnlich häufige Todesfälle im Konzentrationslager Dachau seine Aufmerksamkeit geweckt hatten. Erwin Stein ist 1933 wegen seiner jüdischen Ehefrau aus dem Staatsdienst entlassen worden. Sie nahm sich 1943 das Leben, als ihr Deportation drohte. Der Sozialdemokrat Martin Drath wurde 1963 nicht mehr zum Verfassungsrichter gewählt, weil er als zu links galt.

1956 aber haben auch Drath, Stein und Wintrich beim KPD-Verbot mitgemacht. Soweit sie gegen den Faschismus waren, geschah dies im Rahmen der so genannten Totalitarismustheorie, wonach Rot gleich Braun und ebenso zu bekämpfen war.

Also dekretierte das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956: „Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst.“

Die illegale Partei

Dies allerdings war leichter gesagt als getan. Die KPD existierte weiter, wenngleich in der Illegalität. Ab 1960 gewann sie neue Mitglieder. Die Angaben über ihre Stärke 1956–1968 schwanken zwischen 6 000 und – unwahrscheinlicher – 15 000. Sie waren zum Teil gut an der Basis der Gewerkschaften, im Ostermarsch, in den Bewegungen gegen die Notstandsgesetzgebung und den Vietnam-Krieg sowie in Organisationen der Arbeiterkultur (z. B. in der Naturfreunde-Jugend) verankert. Die Effektivität der illegalen Partei wird unterschiedlich beurteilt. Mehrheitlich herrschte zuletzt wohl unter ihren Genossinnen und Genossen die Ansicht vor, bei noch längerer Dauer des Verbots wäre sie ausgestorben. Vereinzelt wurde aber auch die Ansicht vertreten, die Wirkungsbedingungen seien in der Illegalität in einer Hinsicht besser gewesen als vorher und auch nach 1968: das individuelle Mitglied habe nun, wenn es in Bündnissen tätig war, mehr „Peripherie“ gehabt als in den Zeiten, in denen es ausschließlich in parteiförmiger offizieller Funktion auftrat.

Ostpolitische Opportunität

Seit Frühjahr 1964 war die politische Zweckmäßigkeit einer Aufhebung des KPD-Verbots Gegenstand lebhafter Debatten auch in der nichtkommunistischen Öffentlichkeit. 1963 hatte der SPD-Politiker Egon Bahr vorgeschlagen, die DDR langfristig dadurch zu liquidieren, dass ihr „Wandel durch Annäherung“ erfolge. Das hatte ein Arrangement mit der Sowjetunion über die Anerkennung der nach 1945 in Europa entstandenen neuen Grenzen zur Voraussetzung. Die UdSSR hatte ein Interesse vielleicht nicht am letztendlichen Zweck des Manövers (Beseitigung des sozialistischen deutschen Staates), wohl aber an der Neuordnung der außenpolitischen Beziehungen. Das Fortbestehen des KPD-Verbots wäre dabei zwar nicht ein unübersteigbares Hindernis, aber doch ein Schönheitsfehler gewesen. Vielleicht störte sich die SPD, die seit 1966 mit Brandt den Außenminister stellte, sogar mehr daran als Breschnew. Für sie war die von ihr angestrebte so genannte Neue Ostpolitik in erster Linie Wiedervereinigungs-Strategie. Im Verbots­prozess hatten die Anwälte der KPD geltend gemacht, dass ihre Illegalisierung diesem Ziel im Wege stand, da sie ja dann keine Gelegenheit mehr haben werde, an Wahlen für eine gesamtdeutsche verfassunggebende Versammlung teilzunehmen. Das Gericht hatte dieses Argument zurückgewiesen, aber die Herstellung eines Rechtszustandes vor der Wiedervereinigung, der „allen politischen Parteien die Teilnahme an den gesamtdeutschen Wahlen ermöglicht“ (so war es in der Urteilsbegründung formuliert), als Teil des Wiedervereinigungsprozesses durchaus akzeptiert.

70er Jahre: Ein Berufsverbotsopfer informiert

70er Jahre: Ein Berufsverbotsopfer informiert

( UZ-Archiv)

Die Kuh musste vom Eis.

Aber wie?

Helmut Ridder, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Gießen, ein bürgerlicher Mann, Radikaldemokrat ohne Scheuklappen und Berührungsängste, machte 1966 in einem Gutachten einen Vorschlag:

Selbst wenn man das Urteil von 1956 nicht in Zweifel ziehe, stelle sich die Frage, ob die von ihm konstatierte Verfassungswidrigkeit der KPD noch bestehe. Die Partei existiere ja im Untergrund zweifelsohne fort, und nun sei zu prüfen, ob sie sich dort gewandelt habe und grundgesetzkonform geworden sei. Immerhin gab es inzwischen von ihr mehrere konzeptionelle Äußerungen, die in diese Richtung wiesen. Die Entscheidung darüber, ob sie jetzt verfassungstreu sei, könne nur das Bundesverfassungsgericht treffen, also müsse ein Weg gefunden werden, ihm den Fall neu vorzulegen.

Am 8. Februar 1968 handelte die illegale KPD: Sie stellte auf einer Pressekonferenz in Frankfurt/Main den Entwurf eines Parteiprogramms vor und ließ diesen durch Funktionäre auf den Straßen verteilen. Der Text entsprach so demonstrativ dem Grundgesetz und war so weit weg von irgendwelchen aktuellen Umsturzvorstellungen, dass die damalige Außerparlamentarische Opposition flott mit dem Vorwurf des Revisionismus antworten konnte.

Die Behörden hatten keine Lust auf solche Feinheiten: die Pressekonferenz ist verboten, die Verteiler des Programms, darunter Herbert Mies, sind festgenommen worden.

Daraufhin wurde ein anderer Weg beschritten: am 4. Juli 1968 fand in Bonn ein Gespräch des Bundesjustizministers Gustav Heinemann mit Grete Thiele und Max Schäfer von der KPD statt. Heinemann ließ keinen Zweifel daran, dass ein Wiederauftauchen der Kommunistischen Partei Deutschlands aus der Illegalität verhindert werde. Er und sein Staatssekretär Horst Ehmke empfahlen stattdessen die Neugründung einer KP.

So geschah es: Am 26. September 1968 gab auf einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main Kurt Bachmann, ein ehemaliger Widerstandskämpfer und langjähriger Funktionär der KPD, bekannt, dass am Vortag eine „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) konstituiert worden war. Der letzte Buchstabe des alten Kürzels war nach vorn gerückt worden.

Helmut Ridder war befremdet – ähnlich auch andere Menschen, die bislang für eine saubere Re-Legalisierung der Partei eingetreten waren, zum Beispiel der katholische Sozialdemokrat und Linkssozialist Arno Klönne.

Das KPD-Verbot blieb in Kraft, damit auch seine ausdrückliche Festlegung, dass Nachfolge- oder Ersatzorganisationen ebenfalls von ihm betroffen seien. Es lag im Belieben der Innenministerien, die DKP als eine solche zu behandeln. Bei den hessischen Kommunalwahlen 1960 hatten weit geringere Indizien ausgereicht, überparteiliche Wählervereinigungen, an denen Kommunist(inn)en beteiligt waren, zu verbieten, und Bürgermeister, die der nunmehr illegalen KPD angehört hatten, abzusetzen. Aus Gründen der ostpolitischen Opportunität sah man diesmal davon ab.

Als ab 1968 zunehmend junge Intellektuelle in die DKP strömten, wurde eine andere Waffe gegen die DKP eingesetzt: die Abweisung dieser ihrer Genossinnen und Genossen aus dem Öffentlichen Dienst. Die Partei blieb bis auf Widerruf erlaubt, die Mitgliedschaft in ihr sollte für Lehrer(innen) und Briefträger(innen) verboten sein. Darüber, ob die DKP etwa verfassungswidrig sei, schwieg man sich vorerst aus. Auf die Behauptung, sie sei verfassungsfeindlich, legte man fortan den allergrößten Wert.

Das verdruckste Wort „Neukonstituierung“ zeigte schon die verquere Stellung der Partei: Um eine „Wiedergründung“ durfte es sich nicht handeln, denn sie wäre ja dann eine unzulässige Ersatzorganisation gewesen. Als einfache „Gründung“ hätte man auf die Kontinuität verzichtet, auf die man Wert legen musste.

Die gleichsam amtlich konzessionierte „Konstituierung“ von 1968 und die vom Kanzler Brandt und den Ministerpräsidenten am 28. Januar 1972 verkündeten „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im Öffentlichen Dienst“ waren also zwei Seiten derselben Medaille. Sie waren vom selben Kanzleramtsminister Ehmke entworfen worden, der als Heinemanns Staatsekretär knapp vier Jahre zuvor ein Geburtshelfer der DKP gewesen war.

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"Vom Partei- zum Berufsverbot", UZ vom 22. Dezember 2017



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