Corona deckt Bruchstellen auf

Vom Nutzen des Keynesianismus

Keynesianische Konjunkturprogramme sind die einzige Methode, wie kapitalistische Krisen gelöst werden können. Die Methode ist denkbar einfach: Da es an kaufkräftiger Nachfrage fehlt, sorgt der Staat für ein Plus in der effektiven Nachfrage. Er kann entweder selber Güter nachfragen oder dadurch, dass er anderen Geld gibt, diese in die Lage versetzen und sie dazu veranlassen, mehr Güter nachzufragen. Anders ausgedrückt: Der Staat schließt die Nachfragelücke. Wir sind Zeugen, wie das derzeit von der Bundesregierung mal wieder ausprobiert wird.

Lucas Zeise
Lucas Zeise

Frau Merkel und ihre Wirtschafts- und Finanzminister Altmaier und Scholz nehmen den Namen Keynes und Keynesianismus nicht gern in den Mund. Denn sie haben in ihrem Politikerdasein oft und immer wieder betont, dass sie von „keynesianischen Strohfeuern“ nichts halten. Der offizielle Grund für diese Haltung ist die Doktrin, dass der Markt besser weiß, wie Wirtschaft geht, und dass es Krisen entweder nicht gibt, wenn aber doch, dass sie nicht von Staatsfunktionären gelöst werden sollen. Der wahre Grund besteht darin, dass die Kapitalisten oft nicht begeistert sind, wenn staatliche Konjunkturprogramme aufgelegt werden. Zwar fallen manche für das einzelne Kapital angenehme Subventionen an und generell verbessern sich durch diese Programme die Absatzchancen und demzufolge auch die Gewinne. Gleichzeitig besteht aus ihrer Sicht die Gefahr, dass die keynesianischen Eingriffe des Staates die Arbeitslosigkeit senken, die Verhandlungsposition der Arbeitskräfte und ihrer Gewerkschaften stärken und die Löhne tendenziell eher steigen. Nicht genug damit. Mit den höheren Löhnen verschlechtert sich die Wettbewerbssituation der heimischen Kapitalisten gegenüber jenen im Ausland.

Keynes und diejenigen, die seine Rezepte anwenden, wollten den Kapitalismus nicht überwinden, sondern im Gegenteil sein Fortbestehen sichern. Dennoch sind keynesianische Programme im Allgemeinen von Vorteil für die Lohnabhängigen. Sie setzen zwar nicht an der Ursache der Ungleichverteilung (dem System der Mehrwertproduktion) an, sondern mildern die Ungleichverteilung, indem sie die Endnachfrage stützen, die Arbeitslosigkeit senken und die Löhne tendenziell anheben. Wichtig dabei ist allerdings, dass das viele Geld, welches der Staat in Umlauf bringt, tatsächlich frisches, sozusagen neu gedrucktes Geld (der Zentralbank) ist oder – was in der volkswirtschaftlichen Wirkung auf dasselbe hinausläuft – geliehen ist.

Es ist selbstverständlich nicht egal, welche Ausgaben der Staat im Rahmen des Konjunkturprogramms tätigt. Rüstung oder Kindergärten, das ist auch hier die Frage. Wichtig ist aber zunächst, dass wir über das blanke Erstaunen darüber hinauskommen, dass plötzlich so viel Geld da ist, während vorher keines da war, dass kürzlich heiliggesprochene Verfassungsgrundsätze einfach „ausgesetzt“ werden. Jetzt ist vielmehr die Zeit, wo die offensichtlichsten Mängel des Staatswesens auch mit einem Schwung Investitionen behoben werden könnten.

Die Coronakrise hat schließlich einige „Bruchstellen“ des Imperialismus mit solcher Wucht ans Tageslicht befördert, dass sie sogar in den „Alles-ist-gut“-Medien auftauchen: 1. Nach Tönnies muss das System der Werkverträge und der Leiharbeit generell und nicht nur in der Fleischindustrie verschwinden. 2. Das Gesundheitssystem muss vom Pseudomarktsystem mit Fallpauschalen zu einem System mit viel mehr Personal und einheitlicher Finanzierung umgebaut werden. 3. Die Sanktionen gegen Iran und Nord Stream können die deutschen Kapitalisten in der Corona-Krise vielleicht davon überzeugen, dass die bisherige Unterordnung unter die US-Interessen den eigenen nicht dient.

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"Vom Nutzen des Keynesianismus", UZ vom 24. Juli 2020



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