Deutsche Geheimdienste schüren Panik vor russischen Agenten und Sabotageakten

Vom NATO-Bündnisfall und Wegwerfspionen

Glaubt man dem Trio infernale, das am Montag in einer öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages auftrat, befinden wir uns mitten im Krieg – mit Russland. Das hatte Außenministerin Annalena Baer­bock schon Anfang 2023 festgestellt – und angesichts der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine ist da auch viel dran. Die Chefs der deutschen Geheimdienste, Thomas Haldenwang, Verfassungsschutz, Bruno Kahl, Bundesnachrichtendienst (BND), und Martina Rosenberg, Militärischer Abschirmdienst (MAD), stellten das „Wer gegen wen?“ nun aber komplett auf den Kopf: Russland führt Krieg gegen die BRD – noch dazu hybrid.

Aufgetischt wurden jede Menge Sprechblasen und Räuberpistolen, um eine gefährliche Schlussfolgerung zu ziehen: „Mit dem umfassenden Einsatz hybrider Methoden und Mittel durch Russland steigt das Risiko, dass sich irgendwann die Frage eines NATO-Bündnisfalls stellen könnte“, brachte BND-Mann Kahl den Zweck der Anhörung auf den Punkt. Käme es so weit, müssten die NATO-Mitgliedstaaten Deutschland militärisch zur Hilfe eilen. Der Rest war heiße Luft.

Haldenwang: „Wir beobachten ein aggressives Agieren der russischen Nachrichtendienste. (…) Insbesondere nehmen russische Spionage und Sabotage in Deutschland zu, sowohl qualitativ als auch quantitativ.“ Der „Verfassungsschützer“ belegte seine steile These mit einem Vorfall aus dem Juli in Leipzig: In einem DHL-Logistikzentrum brannte ein Paket. Es habe einen Sprengsatz enthalten und „Sicherheitskreise“ sprächen von russischer Sabotage. Nur durch Zufall sei das Paket nicht in einem Flieger gelandet und Deutschland so nur knapp an einem Flugzeugabsturz vorbeigeschrammt.

Rosenberg nannte die Zahl der Ausspähversuche der sogenannten kritischen Infrastruktur „besorgniserregend hoch“. Im Fokus stehe die Bundeswehr – „sei es, um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, Ausbildungsvorhaben oder Rüstungsprojekte aufzuklären, oder um durch Sabotagehandlungen das Gefühl der Unsicherheit zu vermitteln“. Wir erinnern uns an das hektische Treiben, als im August von vergiftetem Trinkwasser in Kasernen die Rede war. Die Entwarnung war nicht mehr interessant.

Für die Begleitmusik sorgen Politik und Medien. Innenministerin Nancy Faeser (SPD): „Wir sehen, dass Putins Regime immer aggressiver agiert (…) Unsere Sicherheitsbehörden setzen enorme Ressourcen ein, um unser Land gegen die Bedrohungen durch russische Spionage, Sabotageakte und Cyberangriffe zu schützen.“ Roderich Kiesewetter (CDU) hält es für „hochwahrscheinlich“, dass die Spezialeinheit „29155“ des russischen Militärgeheimdiensts GRU auch in Deutschland aktiv wird. „Sabotage und gezielte Mordanschläge sind deshalb wahrscheinlich.“ Das „Handelsblatt“ zitiert eine „mit den Vorgängen vertraute Person“: „Die letzten Hemmungen sind gefallen.“

Russland, weiß das „Handelsblatt“, nutze für Sabotageaktionen auch verstärkt Hilfsagenten: „Deutsche Nachrichtendienste sprechen von ‚nützlichen Idioten‘, ‚Low-Level-Agents‘ oder ‚Single-Use-Agents‘ – Wegwerf-Spione.“ Es handele sich überwiegend um Menschen mit einer Vergangenheit in der alten So­wjet­union, die prorussisch eingestellt seien und schnell Geld verdienen wollten. „Die Angeworbenen sollen etwa Hakenkreuze oder antiukrainische Sprüche an Wände sprühen. Als Beleg dient ein Foto. Im Gegenzug erhalten die Laienspione fünf bis zehn Euro auf ein Konto überwiesen.“

Putins Pressesprecher Dmitri Peskow nahm die Freakshow einmal mehr gelassen: Es sei die NATO, die Russland bedrohe, und nicht umgekehrt, sagte er und verwies auf die schrittweise NATO-Erweiterung der vergangenen Jahre.

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"Vom NATO-Bündnisfall und Wegwerfspionen", UZ vom 18. Oktober 2024



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