Olaf Scholz beendet den Versuch, die Finanzmärkte einzudämmen

Vom langen Sterben

Lasst uns der Finanztransaktionssteuer (FTS) gedenken. Anlass dafür ist die Ankündigung des deutschen Finanzministers Olaf Scholz Anfang Dezember, dass es sie nicht geben wird. An ihrer Statt soll nach dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf eine Steuer auf Umsätze mit Aktien großer Unternehmen in Höhe von 0,2 Prozent treten. Andere Finanztransaktionen (Devisen, Anleihen, Derivate) sollen nicht besteuert werden. Der eigentliche Zweck der Übung, nämlich ein wenig Sand ins Getriebe der Finanzmärkte zu werfen, wäre damit beseitigt.

Am wichtigsten wäre die Steuer bei den Derivaten, also beispielsweise den „Optionen“ und „Futures“. Das sind Kauf- oder Verkaufsverträge, die mit minimalem Kapitaleinsatz Recht und/oder Pflicht beinhalten, ein Wertpapier zu einem jetzt schon festgelegten Preis zu erwerben oder zu veräußern. Für die Spekulanten sind Derivate deshalb so attraktiv, weil die Hebelwirkung sehr groß ist, man damit also mit wenig Geld viel gewinnen (aber natürlich auch verlieren) kann. Das ausstehende Volumen dieser außerhalb von Börsen gehandelten Kontrakte wird auf ungefähr 500 Billionen Dollar geschätzt. Würden nun die Kosten des Einsatzes durch die FTS um ein oder zwei Promille erhöht, könnte das manchen Deal weniger rentabel machen und er damit unterbleiben.

Der spätere Nobelpreisträger James Tobin hatte eine solche Steuer Anfang der 1970er Jahre vorgeschlagen, um nach der Freigabe der Wechselkurse die Spekulation am Devisenmarkt einzudämmen. Es war damals festgestellt worden, dass der größte Teil des Devisenhandels nicht vom Warenhandel in fremder Währung veranlasst wurde, sondern von den Spekulanten und Finanzanlegern selber. Durch eine Umsatzsteuer, die bei Kauf eines Wertpapiers oder Finanzprodukts fällig wird, sollte die Spekulation auf kurzfristigen Gewinn und häufigen Kauf und Verkauf von Wertpapieren weniger lohnend werden. Die rasante Ausweitung des Finanzmarktes in den 90er Jahren machte die Forderung nach seiner Eindämmung populär. Der ein halbes Jahr lang in Deutschland amtierende Finanzminister Oskar Lafontaine (damals SPD-Vorsitzender) war der letzte seiner Art, der begriff, dass die Eindämmung des Finanzkapitals überhaupt ein Thema sein könnte.

Nach der großen Finanzkrise von 2007 redeten Politiker aller Sorten plötzlich davon. Sie fanden nun, dass die Bürgerbewegung attac mit ihrer Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer Recht habe. (Heute wird attac die Gemeinnützigkeit entzogen und soll finanziell ausgehungert werden.) Die EU-Kommission gab sich 2011 als Freund einer Finanztransaktionssteuer und legte ein Konzept dafür vor. Den Grünen und der Linken folgend, mutierte die SPD – damals in der Opposition und im Anlauf auf die Bundestagswahl 2013 – gegen den Widerstand ihres damaligen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück zur Anhängerin der Finanztransaktionssteuer. Anschließend nahmen bei der Bildung ihrer Koalition SPD und Union die Forderung nach einer Transaktionssteuer auf EU-Ebene in den Koalitionsvertrag auf. In der EU stieß der Vorschlag auf erbitterte Opposition bei den Banken und politisch in London, wo in Europa der größte Teil des Finanzumsatzes stattfindet. Weil die nötige Einstimmigkeit fehlte, wurde die Steuer zum Projekt von „willigen“ Staaten, was nach EU-Regeln möglich ist, solange mindestens neun es sich zu eigen machen. In diesem Zustand ruhte die Angelegenheit, bis Sonnenkönig und Ex-Banker Ma­cron vor drei Jahren die Steuer auf eine reine Aktienumsatzsteuer zurückstufte, die es in Frankreich seit 2012 und in London seit eh und je ohnehin gibt. Wie sein Vorgänger Wolfgang Schäuble folgt Scholz nun den Anweisungen des Finanzkapitals. Dessen erbitterter (und erfolgreicher) Widerstand gegen eine effektive Finanztransaktionssteuer deutet darauf hin, dass sie für die Geschäfte der Spekulanten schädlich und damit für die Gesellschaft nützlich geworden wäre.

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"Vom langen Sterben", UZ vom 20. Dezember 2019



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