UZ: ver.di hat mit den kommunalen Arbeitgebern nachverhandelt und sieht im Tarifstreit der Sozial- und Erziehungsdienste Nachbesserungen im Vergleich zur Schlichtungsempfehlung. Wie sehen die aus?
Inga Dey: Ein wesentlicher Punkt – da hat sich leider so gar nichts bewegt – das ist die Laufzeit von fünf Jahren. Auch insgesamt hat sich nicht besonders viel getan.
Es wurde aber an einzelnen Punkten, die ich auch wichtig finde, geringfügig nachgebessert: Das Einstiegsgehalt für Erzieherinnen und Erzieher wurde minimal erhöht – also für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen etwas getan; bei den Kinderpflegerinnen und Kinderpflegern gibt es leichte Verbesserungen.
Bei uns im Betrieb ist der Unmut über dieses Ergebnis riesengroß. Wir Sozialarbeiter werden in zwei Stufen gehandelt, und zwar S12 und S14. S 14 sind die Leute, die mit der Garantenpflicht zu tun haben, d. h. das sind Leute, die im Jugendamt arbeiten oder in der Psychiatrie – da geht es darum, dass zum Beispiel Einweisungen vorgenommen werden. Prozentual gesehen sind das weniger. Der Großteil von uns verdient S12 und da ist gar nichts passiert. Das war in der Tarifrunde 2009 – da gab es ja auch so eine Tarifrunde im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste – schon so, dass die S12er so ziemlich bei null rausgegangen sind.
Und S12 liegt im gleichen Zug wie Krankenpfleger, Verwaltungskräfte etc. die dann hätten sagen können: „Moment mal, wenn die, dann wir aber auch.“ Deshalb sind wir, ist S12 nicht aufgewertet worden. Bei den höheren Gehaltsstufen kann noch argumentiert werden, welche besondere Verantwortung die KollegInnen haben und dass das nicht vergleichbar ist mit anderen.
UZ: Und wie schätzt du das Ergebnis jetzt insgesamt ein?
Inga Dey: Die Einschätzung als wir zur mit zwei Vertrauensleuten aus dem Kita-Bereich zur Streikdelegiertenkonferenz gefahren sind, war so, dass wir vom Ergebnis total enttäuscht sind. Auch die Nachverhandlungen haben nicht das gebracht, was wir uns erhofft haben. Wesentliche Punkte wie die Laufzeit von fünf Jahren sind nicht nachgebessert worden. In der Fläche ist S8 immer noch nicht durch für alle ErzieherInnen, das ist einfach so – und das war ja eins der großen Ziele, dass der Bereich deutschlandweit gleich aufgestellt wird – und das ist nicht passiert.
UZ: Und wie war die Stimmung auf der Streikdelegiertenkonferenz?
Inga Dey: Was mich ziemlich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat, ist die Einschätzung und das Stimmungsbild, welches die Kolleginnen und Kollegen bundesweit abgegeben haben. Jemand hat gesagt – und das finde ich ziemlich treffend: „Hessen ist ein gallisches Dorf“. Die Kampfbereitschaft und die Einstellung, dass wir uns nicht unterkriegen lassen, ist nicht in ganz Deutschland so vorhanden wie bei uns in Hessen.
Auf der letzten Streikdelegiertenkonferenz ist ja eine Idee geboren worden, wie man weiterstreiken könnte. Viele Rückmeldungen waren im Bezug darauf, dass sie diese Streikform nicht umsetzen können. Aber es wurde nicht gefragt, ob die Streikbereitschaft fehlt oder ob andere Streikformen möglich wären. Es gab nur die Rückmeldung, dass diese Streikform unter diesen Bedingungen nicht machbar sei. Daraus wurde dann geschlossen, dass es keine Streikbereitschaft gäbe und das finde ich schwierig, weil ich schon gern ein differenziertes Bild hätte
Man hat aber wirklich den Eindruck, dass es eine große Streikmüdigkeit gibt, manche KollegInnen haben das angesprochen, dass die Zeit nach den Streiks sehr lang geworden ist – mit den Sommerferien dazwischen – und es in der Zeit wenig Initiativen gab.
Der Schub, den wir in der Zeit der Streiks hatten, der ist weitgehend erloschen. Die Stimmung auf der Streikdelegiertenkonferenz jetzt war schon eine andere als auf den Konferenzen davor, aber es ist schwierig einzuschätzen woran das liegt.
UZ: Und deiner Meinung nach? Woran liegt es?
Inga Dey: Die Leute haben in diesen Arbeitskampf ihr Herzblut reingesteckt – und alles was sie sind. Und dann im Nachhinein sagen zu müssen oder zu können: Das Ergebnis ist nicht das, was wir wollten, das ist hart.
Viele hatten das Bedürfnis zu sagen, dass sie gerne bei ver.di sind und dass ver.di eine gute Gewerkschaft ist. Mit der Streikdelegiertenkonferenz hätten wir außerdem ein demokratisches Instrument, das es auch nicht überall gibt – auch bei ver.di nicht. Das alles ist richtig, aber es läuft gerade ganz viel auf emotionaler Ebene, wo wir eigentlich mit Abstand unseren Arbeitskampf analysieren müssten.
UZ: Im Vorfeld des ver.di-Bundeskongresses wurde ver.di-Chef Bsirske in den Medien kritisiert, weil er euch zu viel versprochen habe. Wie siehst du das?
Inga Dey: Bsirske hat selbst noch einmal darauf verwiesen, dass er nach unserer Ablehnung der Schlichtungsempfehlung ganz viel Schelte von der Presse bekommen habe. Da hieß es u. a. „Erst jagt Bsirske die Beschäftigten auf die Bäume und dann wundert er sich, dass er sie nicht wieder runter bekommt“.
Mich hat er auf gar nichts hochgejagt. Wie sind selber auf diesen Baum gezogen und zwar gemeinsam und mit Räuberleiter. Und Bsirske kriegt mich da selbstverständlich nicht runter, weil das auch gar nicht seine Aufgabe ist. Vom Baum kriegt man mich nur mit einem ordentlichen Angebot.
UZ: Du hast gesagt, Hessen sei ein gallisches Dorf in Sachen Kampfbereitschaft. Kannst du erklären, warum das so ist?
Inga Dey: Ich frage mich auch, was ist in Hessen anders gelaufen, ich glaube es hat etwas mit unserer Arbeitskampfleitung zu tun. Wir hatten eine extrem gute betriebliche Arbeitskampfleitung und wir hatten eine extrem gute Landesarbeitskampfleitung. Wir sind gut vernetzt – auch zwischen den einzelnen Gebieten. Wir hatten ein gutes Bild davon, was gerade bei den anderen passiert – im Hochtaunuskreis, in Offenbach, in Hanau usw. Vielleicht hat es auch etwas mit dem Rhein-Main-Gebiet zu tun, wir haben hier einfach eine starke Wirtschaft und ein Ballungsgebiet.
Mit unserer Analyse fangen wir ja gerade erst an. Was ich sagen kann ist, dass wir die dreieinhalb Wochen Streik sehr gut genutzt haben. Um uns inhaltlich zu schulen, haben wir Referenten eingeladen, Presseschau gemacht und diskutiert, wie wir eigentlich argumentieren, wenn wir gefragt werden. Wir haben uns Sachen angeeignet von denen wir gesagt haben: Die können wir so erst einmal nicht, aber die müssen wir können.
Wir haben uns geschult, was wir machen können und dürfen im Rahmen der Streiks und als Betriebsgruppe. Wir haben uns informiert zum Haushalt der Stadt Frankfurt. Und wir haben uns Standpunkte erarbeitet, die bundesweit den Blick auf die Kommunen richten und berücksichtigen, dass es – anders als in Frankfurt – klamme Kommunen gibt, und dass der Bund mit in die Verantwortung genommen werden muss, wenn wir für mehr Geld streiten.
Uns ist es gelungen, diesen Streik auch politisch zu sehen.
Die Elternsolidarität war wichtig, hat uns beflügelt und zur positiven öffentlichen Meinung beigetragen, aber es war uns von vornherein klar, dass das wofür wir kämpfen, eine politische Entscheidung braucht. Es ist eine politische Entscheidung, wie viel wir bekommen, es ist eine politische Entscheidung, wie viel Wert sozialer Arbeit zugemessen wird und von daher war uns auch klar, dass unser Streik ein politischer Streik ist.
UZ: Wie geht es für euch weiter?
Inga Dey: Erst einmal erfüllt mich mit unfassbarem Stolz, dass ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen hinsetzen kann, um unseren Arbeitskampf auszuwerten und zu sagen: Was ist gut gelaufen, was ist nicht so gut gelaufen und was machen wir das nächste Mal anders.
Wichtig ist für uns, dass wir nicht leiser werden. Jetzt ist erst einmal die Urabstimmung, aber auch wenn das Ergebnis angenommen werden sollte, dieser Kampf ist nicht vorbei… nächstes Jahr ist Landtagswahl und wir haben uns sehr genau gemerkt, wer was gesagt hat. Wir werden nicht leise sein, soviel ist klar.