Zwischen Indexpreis und Nahverkehrsabgabe – dem ÖPNV droht ein unsozialer Umbau

Voll bezahlt ist halb gefahren

Am 22. Januar stieg weißer Rauch über der Sonderkonferenz der Verkehrsminister auf. Monatelang hatten Bund und Länder um die Finanzierung des Deutschlandtickets gerungen. Dann wurde die große Einigung verkündet: Mehr Geld für den ÖPNV gibt es nicht. Bis zum Jahresende soll der Fahrschein dennoch weiterhin 49 Euro im Monat kosten. Was danach wird, weiß man nicht, wie NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer bei WDR 5 erklärte: „Ich würde jetzt keine Prognose für die nächsten Jahre abgeben.“

Andere zeigten sich mit ihren Vorhersagen weniger zurückhaltend. „Der ÖPNV wird mit der bisherigen Finanzierung nicht mehr aufrechtzuerhalten sein“, sagte Oliver Wolf, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), in der vergangenen Woche. Der Verband rechnet mit einer Preissteigerung zwischen 5 und 15 Euro im nächsten Jahr. Schuld daran seien gestiegene Kosten, insbesondere beim Personal. Das sah auch VDV-Präsident Ingo Wortmann so, der sich vor allem über die verbreitete Solidarität mit den Beschäftigten beklagte: „Die Bevölkerung hat viel Verständnis für Streiks und viel Verständnis auch für sehr hohe Lohnsteigerungen, auf der anderen Seite gibt es kein Verständnis für Ticketpreiserhöhungen.“ Um das Problem zu lösen, brachten die Verkehrsunternehmen einen an den Branchenkosten orientierten Indexpreis ins Spiel, bei dem steigende Personalausgaben automatisch zu Preiserhöhungen führen würden. Dann, so kann man hinzufügen, wäre es endlich vorbei mit dem Verständnis für die Streikenden.

Unsoziale Vorschläge zur Finanzierung des Nahverkehrs haben Konjunktur. Das hat seinen Grund. Allein für den Erhalt der ÖPNV-Infrastruktur müssten bis 2030 rund 64 Milliarden Euro bereitgestellt werden, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik im vergangenen Jahr ermittelte. Die Kosten für den Ausbau der Netze, die Anschaffung von zusätzlichen Bussen und Bahnen und den Betrieb mit höheren Taktzeiten sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. All das wäre aber zwingend notwendig, um eine echte Verkehrswende voranzutreiben. Ebenfalls notwendig wären niedrige Ticketpreise. Das Geld für den ÖPNV-Ausbau müsste also im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge aufgebracht werden. Vom Bund ist jedoch nichts zu erwarten. Die Ampel-Koalition steckt jeden verfügbaren Euro in Aufrüstung und Waffenlieferungen. Die Länder zeichneten sich schon in der Vergangenheit nicht durch einen besonderen Einsatz für den ÖPNV aus. Die Hauptlast liegt somit bei den unterfinanzierten Kommunen.

In dieser Situation prescht nun das Land Baden-Württemberg vor und will Städten ab 20.000 Einwohnern die Möglichkeit einräumen, eine Nahverkehrsabgabe zu erheben. Vorgesehen sind vier Varianten: Die Abgabe kann entweder von allen Einwohnern oder nur von Autofahrern oder von den ansässigen Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten oder im Zuge einer sogenannten „City-Maut“ für die Nutzung bestimmter Straßen gezahlt werden. Die Arbeitgebervariante dürfte in kaum einer Stadt umgesetzt werden. Schon heute tobt ein Unterbietungswettbewerb bei den Gewerbesteuern, zu mächtig ist die lokale Unternehmerschaft. Die Höhe der Gebühr soll von den Kommunen festgelegt werden, bislang waren Kosten zwischen 10 und 57 Euro monatlich im Gespräch. Im Gegenzug sollen Guthaben für den Erwerb von Zeitfahrkarten ausgegeben werden. Die Nahverkehrsabgabe ist ein lokales Zwangsticket, das sogar deutlich teurer als das bundesweit gültige Deutschlandticket werden könnte.

Ursprünglich wollte die grün-schwarze Landesregierung die Abgabe mit einer sogenannten Mobilitätsgarantie verbinden. Zu Hauptverkehrszeiten sollte auf dem Land alle 30 Minuten ein Bus oder Zug fahren, in den Städten doppelt so oft. Vorgesehen war das Erreichen dieses Ziels bis zum Jahr 2026. Nicht zu schaffen, befand die Regierung vor Kurzem und verschob die Mobilitätsgarantie ins Jahr 2030. Allerdings darf bezweifelt werden, dass von dem damit verbundenen Versprechen dann noch etwas übrig ist. Gegenüber dpa machte Winfried Hermann in bemerkenswerter Klarheit deutlich, dass der nächste politische Schritt darin besteht, den Anspruch abzusenken, bis er zur Ist-Situation passt: „Wir werden die Mobilitätsgarantie so definieren, dass sie bis 2030 realisierbar ist.“

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"Voll bezahlt ist halb gefahren", UZ vom 9. Februar 2024



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