Die Kommune von Paris kündigte etwas Neues in der Geschichte an: die Diktatur des Proletariats, eine Regierung der Arbeiterklasse. Sie konnte sich nur 72 Tage behaupten, bevor sie blutig niedergeschlagen wurde. 72 Tage wandelte das „Gespenst des Kommunismus“ und versetzte den Bourgeoisverstand in Schrecken – ein Entsetzen, das jahrelang nachwirkte. Die Arbeiterklasse aber hat der Donner der Kanonen geweckt.
Obwohl der Aufstand vom 18. März spontan erfolgte, war die Kommune eine Konsequenz aus Frankreichs revolutionär-demokratischer Vergangenheit seit 1789, insbesondere seit den 1830er Jahren. Wir sehen in dieser Zeit ein Bild von neben- und nacheinander bestehenden revolutionären Organisationen und klarem sozialistischen Ziel. „Die Einen verbluteten an der Isolierung von der Masse, die Anderen krankten an dem Fehlen einer Partei. Doch zog sich durch alle revolutionären Aktionen und Kämpfe ein revolutionärer Wille und ein ‚himmelstürmender‘ sozialistischer Enthusiasmus.“ (Hermann Duncker)
Das Vermächtnis der Kommune
Die Pariser Kommune war die erste siegreiche proletarische Revolution – der erste Versuch, die bürgerliche Staatsmaschine zu zerschlagen und durch einen neuen Typ von Gemeinwesen zu ersetzen. Instinktiv erfüllten die werktätigen Massen die Revolution mit sozialistischem Inhalt. Karl Marx erkannte in der Kommune einen „neue(n) Ausgangspunkt von welthistorischer Wichtigkeit“. Friedrich Engels sah ihre historische Größe in ihrem „eminent internationale(n) Charakter“, ihrer „Kampfansage an jede Regung von bürgerlichem Chauvinismus“. August Bebel erklärte im Reichstag den Kampf in Paris zum „Vorpostengefecht“, da die Hauptsache in Europa noch bevorstehe. Lenin galt die Kommune als unsterblich, weil sie sich „die Sache der sozialen Revolution“ zu eigen gemacht habe. Die Stellung zur Kommune wurde zum Prüfstein für revolutionäres Handeln, wie nach 1917 die Stellung zur Oktoberrevolution und zur Sowjetunion. Sie wurde zur Scheidelinie zwischen revolutionärer und reformistischer Politik. Heute scheiden sich die Geister an der Stellung zur DDR, deren Wesen ihre Existenz als sozialistische Alternative zum Kapitalismus war.
Die Pariser Kommune war das bedeutsamste Ereignis für die Entwicklung der Vorstellungen von Marx und Engels über die Nachfolge des gestürzten Ausbeuterstaates. Im Vorwort zum „Kommunistischen Manifest“ revidierten sie eigene Einschätzungen: „Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, dass ‚die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann.‘“ Sie „hat die historische Bedingtheit und den begrenzten Wert des bürgerlichen Parlamentarismus und der bürgerlichen Demokratie gezeigt“. Ebenso hat sie bewiesen, „dass der Klassenkampf unter bestimmten Bedingungen die Form des bewaffneten Kampfes und des Bürgerkriegs annimmt“. (Lenin)
Bereicherung der Theorie durch die Praxis
Zum ersten Mal war es möglich, die Tätigkeit der proletarischen Macht zu analysieren, die Diktatur gegen die Ausbeuter wie die Beziehung der Arbeiter zu ihrer eigenen Macht. Die Arbeiter hatten spontan Formen entwickelt, die den Staat ersetzen konnten. Ausgehend von ihren demokratischen Bedürfnissen hatten sie eine politische Ordnung geschaffen, die ihren Interessen entsprach. In ihr sahen Marx und Engels „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte“. Die Kommune beseitigte das stehende Heer und die Polizei, stattdessen bewaffnete sie das Volk. Sie trennte Kirche und Staat, glich alle Gehälter – auch des öffentlichen Dienstes – an den Arbeiterlohn an. Volksvertreter und Beamte waren wählbar, den Wählern verantwortlich und durch diese absetzbar. Gesetzgebung und -vollzug, Legislative und Exekutive bildeten eine Einheit. In diesen Maßnahmen zur Beseitigung der besonderen Staatsmaschine erblickten Marx und Engels die Gewährleistung des Absterbens des Staates. Deshalb war Engels der Auffassung, die Kommune sei schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr gewesen; Lenin bezeichnete sie in „Staat und Revolution“ als „Halbstaat“. Dieser Entwurf einer politischen Ordnung ohne besondere Staatsmaschine, einer prinzipiell neuen politischen Form der „Selbstregierung der Produzenten“ (Marx), war der „Kommunestaat“ (Lenin).
Der Charakter der Kommune als proletarische Diktatur und ihre tiefe Volksverbundenheit kamen in der Einheit von Worten und Taten der Kommunarden zum Ausdruck: „Wie in der Kommune fast nur Arbeiter oder anerkannte Arbeitervertreter saßen, so trugen auch ihre Beschlüsse einen entschieden proletarischen Charakter. Entweder dekretierten sie Reformen, die die republikanische Bourgeoisie nur aus Feigheit unterlassen hatte, die aber für die freie Aktion der Arbeiter eine notwendige Grundlage bildeten (…), oder sie erließen Beschlüsse direkt im Interesse der Arbeiterklasse, und teilweise tief einschneidend in die alte Gesellschaftsordnung.“ (Engels) Wesentliche soziale Reformen waren: Beseitigung des Mietwuchers, Rückgabe verpfändeter Arbeitsgeräte, Zahlung von sozialen Unterstützungen, Abschaffung der Geldstrafen in den Werkstätten, feste Brotpreise, Verbot der Nachtarbeit für einzelne Berufsgruppen. Die Übergabe verlassener Betriebe an Arbeiterkooperativen wurde verfügt. Die Pariser Bevölkerung schickte sich an, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Das stieß auf den wütenden Widerstand nicht nur der französischen Reaktion. Die Kommune war durch diese Situation gezwungen, Methoden der Diktatur und des Terrors gegen die Konterrevolution anzuwenden. Andernfalls hätte sie „ihre Stellung schmählich verraten“ (Marx).
Es war der Gang der Ereignisse selbst, durch den die Kommune in eine Lage geraten war, Neues zu schaffen. Der bürgerliche Staatsapparat ließ sich nicht einfach übernehmen, er musste zerstört und vollkommen neu gestaltet werden. Weit davon entfernt, sich dessen bewusst zu sein, war das Wesen der Kommune, der erste Anlauf der Diktatur des Proletariats zu sein.
Die Kommune musste aus eigener Kraft, mit neuen Menschen beginnen. Es bedurfte der unmittelbaren Verbindung zwischen den Massen und ihrer revolutionären Spitze, denn die Kommune regierte nicht für, sondern durch das Volk. Dadurch konnte sie mit einer kleinen, unbürokratischen Verwaltung völlig unerwartete Anforderungen bewältigen. Die Notwendigkeit, ihre selbst errungene Freiheit zu verteidigen, verlieh den Massen ungeheure Aktivität, hob sie auf eine höhere Stufe organisierter Verwaltung. Zahlreiche politische Klubs, die es schon vor dem 18. März gab, mobilisierten die Bevölkerung und überwachten die Tätigkeit der revolutionären Behörden. Die Frauenklubs wurden zu einer großen Stütze der Kommune. Die 43 Gewerkschaften und 50 Kooperativgemeinschaften von Paris bildeten das Bindeglied zwischen Kommune und Produktionsarbeitern.
Versäumnisse und Halbheiten
„Zur siegreichen Revolution bedarf es mindestens zweier Vorbedingungen: Die Entwicklung der Produktivkräfte muss eine hohe Stufe erreicht haben, und das Proletariat muss vorbereitet sein. 1871 fehlten jedoch diese beiden Bedingungen.“ (Lenin)
Versäumnisse und Halbheiten wurden hervorgerufen durch die Unreife des französischen Proletariats und den hemmenden Einfluss des Kleinbürgertums. Es wurde nicht unverzüglich gegen Versailles marschiert, seit Anfang März 1871 Sitz der bürgerlichen Regierung – der Gegner bekam eine Atempause. Das Proletariat blieb in der Eigentumsfrage „auf halbem Wege stehen“ und „Einrichtungen wie die Bank wurden nicht in Besitz genommen“, ein – wie sich zeigte – schwerer politischer Fehler. Außerdem hätte es „seine Feinde vernichten müssen“ statt „sie moralisch zu beeinflussen“. Innerhalb der Kommune hatten sich die fraktionellen Kämpfe verstärkt. Es fehlte jede Vorstellung einer revolutionären Strategie und Taktik, vor allem ermangelte es der über das Rüstzeug des Marxismus verfügenden Partei der Arbeiterklasse. An dieser subjektiven Bedingung wäre sie auch erlegen, wenn die äußeren Umstände auf ihrer Seite gewesen wären. Mag sein, dass unter diesem Gesichtspunkt die Lehren und Erfahrungen der Kommune manchmal etwas einseitig betrachtet wurden, aber wer die letzten 30 Jahre nicht verschlafen hat, kann die Notwendigkeit einer solchen Partei kaum bezweifeln.
Erfahrungen des Sozialismus
Die Pariser Kommune hatte bewiesen, dass die Arbeiterklasse aus eigener Kraft nicht nur einen Aufstand durchführen, sondern auch eine neue politische Ordnung schaffen konnte. Nicht die bürgerliche Demokratie, sondern die „Selbstregierung der Produzenten“ war die Konzeption für die politische Ordnung einer ausbeutungsfreien Gesellschaft. Mit Lenins Aprilthesen von 1917 wurde die Forderung nach dem Kommunestaat zum Tagesprogramm. In „Staat und Revolution“ begründet er dieses Programm theoretisch. Die Wiederherstellung der marxschen Lehre vom Staat wurde zum Ausgangspunkt für das Konzept der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats und mit ihm der bürgerlichen Demokratie. Beide sollten durch den Sowjetstaat vom Typ der Pariser Kommune, „eine sich selbst verwaltende Massenorganisation der Arbeiter, die keine Trennung der gesetzgebenden von der vollziehenden Gewalt kannte“ (Lenin), ersetzt werden.
Die Verwirklichung des marxschen Entwurfs gestaltete sich indes weitaus schwieriger als angenommen. Es war unabdingbar, den bürgerlich-gutsherrlichen Staatsapparat samt seiner Organe zu zerschlagen. Die Diktatur des Proletariats musste mit härtesten Mitteln verteidigt werden. Immer drängender entwickelte sich die Notwendigkeit des Aufbaus eines eigenen Machtapparats, zuerst auf militärischem, dann auch auf wirtschaftlichem Gebiet – die Sowjetmacht brauchte eigene, handlungsfähige, sozialistische Staatsorgane. Neben den Kommunestaat trat mit den Dekreten zur Sozialisierung der Schlüsselindustrien und der Banken der Eigentümerstaat, der alsbald den Kommunestaat „zu erdrücken“ (Uwe-Jens Heuer) drohte. Die Bedeutung der Politik nahm nicht ab, sondern zu: „Wir sind jetzt unbedingt für den Staat (…) Mit dem Absterben des Staates hat es noch gute Weile.“ (Lenin) Die Hauptaufgaben waren: Hebung des kulturellen Niveaus, richtig verwalten lernen, strenge Rechnungsführung und Kontrolle, Sicherung einer höheren Arbeitsorganisation und Arbeitsdisziplin, Steigerung der Arbeitsproduktivität.
Sozialistische Demokratie als Kontrolle des sozialistischen Staates und der Partei von unten wurde zu einer zentralen Frage: Je entschlossener wir für „rein exekutive Funktionen eintreten müssen, desto mannigfaltiger müssen die Methoden und Formen der Kontrolle von unten sein“. Lenin verwies auf unerlässliche Abweichungen von den Prinzipien der Pariser Kommune (höhere Gehälter für Spezialisten, diktatorische Einzelleitung) und forderte den Schutz der Arbeiter auch vor Maßnahmen des eigenen Staates, wie es bereits Engels angedeutet hatte. Er wandte sich entschieden gegen die Aufhebung des staatlichen sozialistischen Eigentums. Mit dem Sieg nach sieben Jahren Krieg, mit der Neuen Ökonomischen Politik 1921, mit der Phase des planmäßigen Aufbaus wurde schließlich eine qualitativ neue Konzeption der Wirtschaftspolitik, der materiellen Interessiertheit und der Verdrängung vornehmlich administrativer Methoden der Machtausübung entwickelt. Dies warf neue Fragen auf hinsichtlich der Verbindung zwischen den Massen und dem sozialistischen Staat. Lenin konnte sie nicht mehr beantworten. Aus den Gesetzmäßigkeiten des Klassenkampfs und aus dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln ergab sich die Notwendigkeit des sozialistischen Staatsapparats. Daraus wiederum resultierte die Gefahr des Bürokratismus und es „ergab sich zum ersten Mal und seitdem immer wieder die Frage des Verhältnisses von Massen und eigenem Staat“ als grundlegende Frage der Gestaltung der Demokratie im Sozialismus, „auf die Lenin die Antwort des demokratischen Zentralismus gab“. (Uwe-Jens Heuer) Die Nutzung des Staates, seines Apparats, stand auf der Tagesordnung, aber nunmehr unter sozialistischen Bedingungen. Der Entwurf der Pariser Kommune konnte als Ganzes nicht zur politischen Form des Sozialismus werden. In der Realität gab es erhebliche Korrekturen am Kommunekonzept, die Ausdruck der geschichtlichen Umstände waren – Korrekturen der Praxis an der Theorie, aber auch Fehlentwicklungen jenseits objektiver Zwänge. Man erzählt falsche Legenden, wenn man daraus ableitet, der Sozialismus in der DDR wäre gar kein Sozialismus gewesen. Das Ziel einer „Selbstregierung der Produzenten“ wurde nicht aufgegeben. Es verlangt aber ein funktionierendes Gesamtsystem gegenseitiger Kontrollen und der Kontrolle von unten, das sich nicht herausbildete. „Bis ein in neuen, freien Gesellschaftszuständen herangewachsenes Geschlecht imstande sein wird, den ganzen Staatsplunder von sich abzutun.“(Engels)