John Niven: Old School. Übersetzt von Stephan Glietsch. Heyne Taschenbuch 2017, 400 S. 10,99 Euro
Gerade zur Weihnachtszeit braucht auch der geneigte Krimi-Leser mal was anderes als Mord und Totschlag, triste Verhältnisse und schier unglaubliche Machenschaften der selbsternannten Stützen der Gesellschaft. Ich jedenfalls habe jetzt genug von Terroristen, Menschen-, Waffen-, Drogen- und sonstigen Händlern, melancholischen, angeschlagenen oder übellaunigen Ermittlern in all den teils ausgezeichneten Krimis dieses Jahres. Abhilfe schafft John Niven. In „Old School“ erzählt er ein furioses Roadmovie, in dem sein sehr skurriles Personal in immer aberwitzigere Situationen gerät.
Barry Frobisher ist tot. Ein selbstgebastelter langer Dildo in seinem Darm löste einen Herzinfarkt aus. Sein Tod, dessen Umstände und Folgen wiederum lösen in seiner Frau ungeahnte Regungen aus.
Susan Frobisher, knappe sechzig, lebt in wohlsituierten Verhältnissen, hütet das Haus und arbeitet leidenschaftlich an der Vervollkommnung ihrer Fähigkeiten als Requisiteurin der örtlichen Laienschauspielgruppe. Finanzielle Angelegenheiten hat sie immer ihrem etwas langweiligen, aber in Gelddingen bewanderten Ehemann überlassen. Barry hinterlässt eine Menge Schulden, sein anrüchiges Doppelleben war ziemlich kostspielig. Kurz und gut, Susan steht vor einem Scherbenhaufen. Mann weg, Geld weg, Haus fast weg. Von jetzt auf gleich stehen ihre Chancen auf einen beschaulichen Lebensabend mindestens so schlecht wie die ihrer besten Freundin Julie. Und in ihr reift ein Entschluss nach dem Brechtschen Postulat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Susan ist also fest entschlossen, die Bank, die ihr das Haus weg pfänden will, auszurauben. Sie braucht Komplizen.
Julie, gerade sechzig geworden, hat ein bewegtes Leben hinter sich, mit nicht immer gesetzestreuen Liebhabern. Jetzt wohnt sie in einer Sozialwohnung, kann sich ihren einzigen Luxus (einen uralten Mercedes SLK) nicht mehr leisten und jobbt im Altenheim als Putzfrau. Dort freundet sie sich mit einer der Bewohnerinnen an.
Ethel ist knapp neunzig, nicht nur leicht übergewichtig, sitzt im Rollstuhl und trauert ihrem glamourösen Leben als Sängerin und Schauspielerin nach. Ihr loses Mundwerk mit einer eher derben Ausdrucksweise hat sie nicht verloren, genau so wenig wie ihre Abenteuerlust. Auch sie hatte sich ihren Lebensabend anders vorgestellt.
Ethel ist sofort mit von der Partie. Julie, ganz Pragmatikerin, hat erst Bedenken, weiß jedoch, dass dies wohl die einzig Chance auf ein besseres Leben sein wird. Für den Plan braucht es eine vierte Frau.
Jill ist der Inbegriff des untergehenden englischen Mittelstands, konservativ, zurückhaltend, kultiviert. Für die lebensrettende Operation ihres kleinen Enkels fehlen die finanziellen Mittel. Und auch wenn sie Ethels ordinäres Gerede nicht erträgt, sieht auch sie keine andere Möglichkeit, das Geld aufzutreiben.
Ausgangspunkt der überdrehten Geschichte ist eine Gesellschaft, in der Unternehmensprofite alles, das Leben eines großen Teils ihrer Mitglieder nichts ist. Altersarmut, mangelnde medizinische Versorgung und Pflegenotstand treffen immer die Schwächsten: Frauen und Kinder. Susan, Julie, Ethel und Jill sind verzweifelt, wütend und entschlossen genug sich zur Wehr zu setzen und machen einen Plan.
Der Überfall läuft wie am Schnürchen, der erbeutete Betrag ist erklecklich – über 4 Millionen Pfund -, jetzt müssen die Damen nur noch sich und den Schotter in Sicherheit bringen. Schon die Flucht vom Tatort wird zur Slapstickeinlage, der noch diverse, immer absurdere folgen werden. Besonderen Anteil daran haben ein tumber, rassistischer und strohdummer Sergeant nebst seinem nicht ganz so blöden Constable. Bei einer wilden Verfolgungsjagd quer durch Frankreich sorgen sie für nicht unerheblichen Sachschaden und verscherzen es sich gründlich mit ihren französischen Kollegen. Trotz reichlich widriger Umstände und ungeplanter Hindernisse lassen sich die Ladys nicht beirren und verlieren ihr Ziel nicht aus den Augen. Sie brauchen das Geld.
„Old school“ erinnert an britische Filmkomödien mit sozialkritischem Hintergrund. Als ob die Coen-Brüder bei „Calender Girls“ Regie geführt hätten. In der Tat hatte Niven den Stoff in einem Drehbuch verarbeitet. Da die Nachfrage gleich null war, machte er einen Roman daraus. Jetzt sind die Filmrechte verkauft. In einem Spiegel-Interview sagte er: Mir schwebte eine Mischung aus „Ladykillers“ und Quentin Tarantino vor. Nun ja, so blutig wie bei Tarantino geht es in „Old School“ nicht zu, so grotesk schon. Das kauzige, chaotische und dabei beharrliche Damenquartett muss man einfach lieben. Ihr Schicksal gibt der Geschichte trotz seiner Überzeichnung eine warmherzige, charmante Note. Ein herrliches Lesevergnügen, nicht nur zur Weihnachtszeit.