Die deutsche Berichterstattung hat wenig mit dem tatsächlichen Wahlkampf in Russland zu tun

Vier Kandidaten und zwei Aufreger

Kolumne von Gert Ewen Ungar

Im Vergleich zum Wahlkampf in den USA ist der Präsidentschaftswahlkampf in Russland von erfrischender Kürze. Anfang Februar hat die Leiterin der Wahlkommission, Ella Pamfilowa, die Kandidaten bekanntgegeben, die zugelassen werden konnten, weil sie die Voraussetzungen erfüllen und ausreichend Unterstützerunterschriften gesammelt haben. Bereits Mitte März wird gewählt.

Vom 15. bis zum 17. März können die russischen Wähler ihre Stimme abgeben. Vier Bewerber gehen ins Rennen um das Präsidentenamt. Diese sind (in der Reihenfolge der Wahlkommission) Wladislaw Dawankow von der 2020 gegründeten Partei Nowie Ljudi, die liberale Positionen vertritt. Der Amtsinhaber Wladimir Putin tritt als unabhängiger Kandidat an. Für die ebenfalls liberale LDPR tritt Leonid Sluzki an, für die Kommunisten geht Nikolai Charitonow ins Rennen.

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Gert Ewen Ungar

Der Lieblingskandidat der deutschen Medien, Boris Nadeschdin, wurde nicht zugelassen. Dagegen hat er Klage angekündigt. Zwar hat er die Anzahl der geforderten Unterstützerunterschriften seiner Kandidatur vorweisen können, allerdings hat die Zahl der ungültigen Unterschriften den zugelassenen Grenzwert deutlich überschritten. Nadeschdin hat sich gegen den Krieg in der Ukraine positioniert und wurde vom deutschen Mainstream unmittelbar adoptiert. Sein Ausschluss wird in Deutschland reflexartig mit den üblichen Stereotypen kommentiert: „Repression”, „Diktatur”, „Autokratie”. Dabei wird selbst im deutschen Mainstream zugegeben, dass Boris Nadeschdin auch im Fall seiner Zulassung zu den Wahlen chancenlos gewesen wäre.

Das gilt wohl auch für die anderen Kandidaten, die dem Amtsinhaber Konkurrenz machen wollen. Es gibt in Russland aktuell keine Wechselstimmung. Die Wirtschaft wächst und mit ihr der Wohlstand. Die Arbeitslosigkeit ist historisch niedrig. Die Löhne wachsen oberhalb der Inflationsrate. Die Probleme, mit denen Deutschland kämpft, gibt es in Russland aktuell nicht. Keine Energiekrise, keine Wohnungsnot, keine Rezession und keine drohende Deindustrialisierung. Das soll nicht heißen, dass hier alle Probleme gelöst sind und sich über die politischen Themensetzungen und deren Gewichtung nicht streiten ließe, aber insgesamt stimmt die eingeschlagene Richtung.

Trotz der Tatsache, dass der Westen Russland in einen Krieg gedrängt hat, um das Land wieder in den Zustand der 1990er Jahre zurückzusanktionieren, ist Russland auf Wachstumskurs. Zudem nimmt das Ansehen des Landes in der Welt zu – vom Westen einmal abgesehen, versteht sich.

Ziel des Sanktionsregimes war, die russische Wirtschaft im zweistelligen Bereich einbrechen zu lassen. Jeder russische Bürger, der den Zusammenbruch der Sowjetunion miterlebt hat, weiß, was das für die Menschen im Land bedeuten würde. Es wird Putin angerechnet, das verhindert zu haben. Der großen Mehrheit der Russen ist daher klar, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für politische Experimente ist.

Der Wahlkampf verläuft daher ohne großen Schwung. Die Kandidaten zeigen sich in Schulen und Krankenhäusern, in Unternehmen und jungen Start-ups. Sie fordern eine bessere Gesundheitsversorgung, bessere Infrastruktur und mehr Unterstützung für Gründer und Unternehmen. Skandale und Schläge unter die Gürtellinie, wie sie für den Wahlkampf in den USA inzwischen typisch sind, sucht man in Russland bisher vergebens.

Bei der letzten Wahl wurde moniert, die Präsenz der Kandidaten in den Medien sei ungleich verteilt gewesen. Der Präsident sei deutlich häufiger gezeigt worden als seine Gegenkandidaten. Ob das überhaupt anders möglich ist, ist die Frage. Schon dass die regulären Sitzungen des Präsidenten mit Ministerpräsident und den zuständigen Ministern im Fernsehen übertragen wird, sorgt für eine deutlich stärkere Präsenz Putins in den Medien. Hinzu kommen Treffen mit ausländischen Staatsführern und repräsentative Aufgaben, über die selbstverständlich auch berichtet wird. In diesem Jahr sorgt noch das Interview mit dem Journalisten Tucker Carlson für ein zusätzliches mediales Ungleichgewicht. Obwohl Putin für politisch Interessierte in Russland nichts wirklich Neues gesagt hat, wird das Interview hier breit diskutiert. In Deutschland wurden lediglich kleine Ausschnitte gezeigt, die wie üblich journalistisch ins bestehende Russland-Narrativ eingeordnet wurden: Putin lügt und verbreitet Desinformation. Auch darüber spricht man in Russland. Dass der Westen für Presse-, Informations- und Meinungsfreiheit steht, glauben hier daher immer weniger Menschen. Dass der Westen die absehbare Wiederwahl Putins anzweifeln wird, kann als gesetzt gelten. Auch daran hat man sich hier inzwischen gewöhnt.

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"Vier Kandidaten und zwei Aufreger", UZ vom 16. Februar 2024



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