Vor 40 Jahren begann der Protest gegen den NATO-Raketenbeschluss

Viele Sprachen, eine Forderung

Zehntausende in Brüssel gegen NATO-Atomraketen

50000 Menschen aus allen NATO-Ländern, aus der Schweiz, aus Österreich und Finnland, fünf Stunden Demonstration bei strömendem Regen: Brüssel zeigte am Sonntag – wenige Tage vor der Tagung des NATO-Rats über Produktion und Stationierung neuer nuklearer US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa – den Widerstand der Völker gegen die neuen Waffen.
Einige tausend türkische Demokraten, die in verschiedenen Ländern Westeuropas arbeiten, bilden die Spitze des Zuges. „Hoch die internationale Solidarität“, Weg mit den Raketen“, Weg mit dem Faschismus in der Türkei“ lauten ihre Sprechchöre. Mitten im Zug: türkische Flöten und Trommeln. Die zahlreichen Zuschauer am Straßenrand spenden spontan Beifall.

Dann deutsche Stimmen, Ruhrplatt, Hessisch, Kölsch überwiegen, aber man sieht auch die Transparente der Rüstungsgegner aus Hamburg, Oldenburg, Münster und aus Bayern. An der Spitze Repräsentanten des Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit. Der Motorradclub Kuhle Wampe aus Duisburg ist mit dabei, alle in ihrer roten Montur – einer in Schwarz mit dem Ostermarschemblem darüber. Eine Gruppe SDAJler vom linken Niederrhein trägt Umhängeschilder, auf denen eine Atomrakete davonfliegt und mit ihr 30 000 Lehrstellen. Die nächste Gruppe hüpft sich warm: „Hopp, hopp, hopp – Atomraketen stopp!“ – ihr Sprechchor wird bei dem nasskalten Wetter zum Hit des Marschblocks der 5 000 Teilnehmer aus der Bundesrepublik.

„Aufrüstung ist Kriegsvorbereitung – DKP“ steht auf einem Transparent, das die ganze Straßenbreite einnimmt. Vom Präsidium der DKP sind Martha Buschmann, Kurt Erlebach und Kurt Fritsch dabei. Dann kommen wieder Losungen und Fahnen der SDAJ, von Bürgerinitiativen wie der Bonner Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung, von Jungsozialisten aus Aachen und der VVN. Immer wieder sind Sprechchöre zu hören wie „Lieber laufen wir uns Blasen – wir wollen keine Abschussbasen“.

Nach dem großen Block aus der Bundesrepublik eine kleine Gruppe mit Fahnen aus Dänemark und Norwegen. „Wir hatten erst vor wenigen Tagen eine große Demonstration gegen die neuen Atomraketen in Kopenhagen“, erzählt Bodil Hertz, „leider konnten nicht alle mit nach Brüssel kommen, die Fahrkosten sind sehr hoch.“ „Es ist sehr notwendig, dass wir hier gegen die neuen Atomraketen protestieren“, sagt Thoason Turil aus Hemsedal in Norwegen, „die meisten von uns sind mit dem Bus gekommen, einige aber auch mit dem Flugzeug.“

Guiseppe Bartholotta trägt eine Fahne der Italienischen Kommunistischen Partei, seine Genossen neben ihm ein Transparent: „Atomraketen – nein, Abrüstung – ja“. „Wir sind aus Köln gekommen, um gegen die Entscheidung unserer Regierung zu protestieren, die sich für die neuen Waffen ausgesprochen hat“, sagt Guiseppe, „wir wollen, dass alle Regierungen in Westeuropa die Stationierung der neuen Raketen ablehnen.“

Esther Steiner ist aus Zürich nach Brüssel gekommen. „Ich fühle mich als Frau und Mutter verpflichtet, hier mitzudemonstrieren, auch wenn die Schweiz kein NATO-Land ist.“ Hans Last aus Amsterdam verkauft im Demonstrationszug Aufkleber, Stop de Atomraketten“. „Wir haben in den Niederlanden erreicht, dass sich eine Mehrheit des Parlaments gegen die Raketen ausgesprochen hat. Jetzt wollen wir vor der Sitzung des NATO-Rats zeigen, dass es nicht nur in den Niederlanden Widerstand gibt, sondern in ganz Westeuropa.“

In Belgien haben 80 Organisationen zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen, Kommunisten, Jungsozialisten, zahlreiche christliche Organisationen, von der christdemokratischen Jugend bis zu den Flämischen Katholischen Pfadfindern, ebenso wie die Belgische Gruppe der Internationalen Hilfsorganisation Oxfam.

„Wir Mitglieder der Sozialistischen Partei sind gegen die neuen Raketen“, sagt Jossiane Vanbrusseselen, „unser Minister Simonet ist zwar für die Raketen, aber er steht mit seiner Meinung allein da, er hat die Partei vorher nicht gefragt.“
Der Vorsitzende der Flämischen Jugendorganisation der Christlichen Volkspartei erklärt ganz offen: „Wir sind zwar für die NATO, aber wir glauben, dass die Stationierung dieser Atomraketen im Augenblick nicht für unsere Verteidigung notwendig ist.“

Die 50000 Menschen, die am Sonntag in Düsseldorf demonstrierten, kamen nicht nur aus unterschiedlichen Ländern, sie haben auch unterschiedliche Weltanschauungen und politische Überzeugungen. Aber sie sind sich in einem Punkt einig, und dafür treten sie gemeinsam ein: Die NATO darf keine neuen Atomraketen produzieren und in Westeuropa stationieren.

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"Viele Sprachen, eine Forderung", UZ vom 6. Dezember 2019



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