Niemand leugnet, dass China in der Ära Mao riesige Fortschritte der Produktivkraftentwicklung gemacht hat, die die Grundlage für die heutige Entwicklung geschaffen haben. Mit der Reform und Öffnung ab 1978 aber wurde ein historisch einmaliges sozialökonomisches Experiment gewagt, das China erst wieder zu einer Weltmacht gemacht hat. Paul Rodermund übersieht, dass China 1980 nur gut 2 Prozent zum Weltsozialprodukt beitrug. Heute sind es wieder 19 Prozent, was seinem Weltbevölkerungsanteil entspricht. Als eines der produktivsten und handlungsfähigsten gesellschaftlichen Systeme wird es absehbar wieder einen Weltsozialproduktsanteil haben, der weit über seinem Bevölkerungsanteil liegen wird.
Dass es in der Entwicklung dahin zu kapitalistischen Deformationen, „Wildem Osten“, einem Finanzmarkt-Untergrund und massiver Korruption gekommen war, ist unbestritten. China hat den „Tiger“ der Produktivkraftentwicklung mit Hilfe von „Märkten“ und Privatkapital „geritten“, aber die Wende zu Korruptionsbeseitigung, sozialökonomischer Stabilisierung, großen sozialökonomischen Reformen und sozialistischer Gesellschaftsentwicklung Ende der 2000er und zunehmend in den 2010ern endgültig geschafft.
Rodermund spricht die Ungleichverteilung an und liegt ziemlich daneben, weil er über einen Zustand schreibt, der längst Geschichte ist. Kein Land ist mit Experimentieren, kollektivem Lernen und Verbessern so schnell wie China. 2010 lag der Gini-Index in China bei 0,44 und wies damit eine recht ungleiche Einkommensverteilung nach. Aber China ist das einzige größere Land der Welt, dessen Verteilung gleicher gemacht wird! Schon 2019 lag der Index bei nur noch 0,38, eine kontinuierlich steile Kurve nach unten und weit unterhalb des Wertes der USA! Offizielle Linie ist, dass man den Wert noch um ein Drittel herunterdrücken will, er läge dann bei 0,3, eine der gleichsten Verteilungen weltweit, vergleichbar mit Skandinavien zu besten sozialdemokratischen Zeiten.
Und der „erfolgreiche sowjetische Weg“ war eben nicht so erfolgreich, dass das imperialistische System das sowjetische System nicht hätte völlig niederkonkurrieren, auslaugen und erschöpfen können, finanziell, ökonomisch und am Ende auch sozial und moralisch. China hat genau daraus in vieler Hinsicht gelernt. China generiert einen Finanzüberschuss, kann der Welt Entwicklungskredite geben und sie und sich selbst vom imperialen Finanzsystem unabhängiger machen. Es kann nicht mehr zugrunde konkurriert werden. Rodermund missversteht unter anderem auch grundsätzlich Chinas Strategie mit seinen Staatsbetrieben, die eine qualitativ gesteigerte strukturierende und vorantreibende Rolle gegenüber der Privatwirtschaft haben.
China hat privatkapitalistische Märkte, aber regulierte. Es agiert antimonopolistisch gegen seine Konzerne (IT, Immobilien). Seit Langem beklagen sich Kapitalberater wie McKinsey, dass die Profitrate in China deutlich und anhaltend unter dem Weltdurchschnitt liegt. China wäre also ein grottenschlechter Kapitalismus, wenn es einer wäre! Es hat Markt und Kapital, aber es ist als System keine Marktwirtschaft und kein Kapitalismus, auch kein „Staatskapitalismus“ und keine „sozialistische Marktwirtschaft“; es ist ein Schwellenland mit sozialistischer Perspektive, der langfristig orientierten Politik einer Kommunistischen Partei und in allen gesellschaftlichen Dimensionen seiner rasanten experimentellen Entwicklung, seines Lernens und Korrigierens, ist es in einem Frühstadium des Sozialismus. Einem Sozialismus allerdings, der anders sein wird als der, den wir aus dem ersten europazentrierten Versuch kennen.
China wird noch eine Zeitlang damit leben, dass große Teile seiner Arbeitskraft noch Warencharakter hat, immer größere Teile aber nicht mehr. Aber über den Kommunismus, den manche Leute gern sofort verwirklicht sehen würden, reden wir mal am Ende des Jahrhunderts, wenn es die Menschheit dann noch gibt. Bis dahin wird China dann ein wohlhabendes, blühendes sozialistisches Land in zunehmender Stabilisierung und umfassendem Ausbau seines Sozialismus sein, umgeben von vermutlich immer vorteilhafteren Weltbedingungen.