DGB-Bundeskongress debattiert über Krieg, Aufrüstung und die Folgen eines Gaslieferstopps

„Viel Stoff für eine ­notwendige Diskussion“

Vom 8. bis zum 12. Mai fand in Berlin der Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) statt. 400 Delegierte aus acht Mitgliedsgewerkschaften nahmen daran teil. Besondere Aufmerksamkeit lag in diesem Jahr auf den Anträgen zu Krieg und Frieden, Aufrüstung und Waffenlieferungen. Die neue DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi hatte bereits in ihrem Grundsatzreferat Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet und gleichzeitig dazu aufgerufen, die Debatte nach dem Bundeskongress fortzusetzen.

Wir haben Olaf Harms und Rainer Perschewski zu ihren Eindrücken befragt. Sie leiten die Kommission Betrieb und Gewerkschaft beim Parteivorstand der DKP und haben am DGB-Bundeskongress teilgenommen.

UZ: Zum Initiativantrag des DGB-Bundesvorstand „Krieg gegen die Ukraine sofort beenden“ wurde auf dem Bundeskongress viel diskutiert. Darin wird neben einem Ende des Krieges und der Unterstützung von Kriegsflüchtlingen gefordert, „umfassende Hilfe für die Ukraine zu leisten“. Außerdem wird zum Ziel der NATO, dass Mitgliedstaaten 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung auf Militärausgaben verwenden sollen, Stellung bezogen. Was waren die zentralen Punkte in der Debatte?

Olaf Harms: Zu den Plänen, die Bundeswehr massiv aufzurüsten, ist im Antrag formuliert, die Bundesregierung dürfe „nicht an der von ihr angekündigten Absicht festzuhalten, den deutschen Rüstungshaushalt dauerhaft auf das 2-Prozent-Ziel der NATO oder darüber hinaus aufzustocken.“ Eine Verankerung des 2-Prozent-Ziels im Grundgesetz lehnt der DGB ab. Die „Handlungsfähigkeit“ der Bundeswehr kurzfristig „wiederherzustellen“ wird jedoch als „notwendig“ bezeichnet. Weiter heißt es im Antrag: „Trotz aller gebotenen Dringlichkeit gilt es, über die Beschaffung von Rüstungsgütern entlang konkreter Defizite und Bedarfe für eine verbesserte Verteidigungsfähigkeit zu entscheiden.“

Zunächst ist es gut, dass der DGB und seine acht Mitgliedsgewerkschaften daran festhalten und gegen das 2-Prozent-Ziel der NATO sind. Und auch eine Grundgesetzänderung wird abgelehnt. Gleichwohl scheint es so zu sein, dass in den letzten Jahrzehnten Misswirtschaft und Beratertum Milliarden Euro gekostet haben und die Bundeswehr noch nicht mal in der Lage wäre, das Land zu verteidigen. Ähnliche Defizite in der Ausstattung beklagten auch Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaft der Polizei – GdP. Insofern ist es eine Klarstellung und kein Freifahrtschein, die Bundeswehr nun massiv aufzurüsten.

Rainer Perschewski: Ergänzend sollte man noch erwähnen, dass es eine sehr sachliche Debatte war. Damit war nicht unbedingt zu rechnen, zumal am Vortag eine 96-jährige Frau aus der Ukraine aufgetreten ist, welche das KZ Auschwitz und das KZ Ravensbrück überlebt hat und die ihre Verbitterung und die katastrophalen Folgen dieses Angriffskrieges zum Ausdruck brachte. Den meisten Delegierten war „der Kloß im Hals“ anzusehen. In der Debatte wurde von Delegierten dennoch mehrmals deutlich gemacht, dass mehr Waffen nicht mehr Frieden schaffen.

Erwähnen sollten man auch noch einen weiteren beschlossenen Initiativantrag, der sich mit einer neuen Friedens- und Sicherheitsarchitektur beschäftigt. Darin fordert der DGB eine „Wiederbelebung der nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie für einen strategischen Dialog mit allen Staaten ein, die über Atomwaffen verfügen, mit dem Ziel, Kernwaffen zu reduzieren, deren Weiterverbreitung auszuschließen“. Viel Stoff für die notwendige weitere Diskussion.

UZ: Wie ist die DGB-Position mit Blick auf das „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro zu bewerten, das die Ampel-Koalition für die Aufrüstung der Bundeswehr vorgesehen hat? Fahimi sprach in diesem Zusammenhang lediglich von „Bedenken“, nicht von Ablehnung. Vor allem mahnte sie an, dass die 100 Milliarden Euro nicht zulasten von „Zukunfts- und Fortschrittsprojekten“ oder zulasten des Sozialstaates gehen dürften.

Olaf Harms: Sondervermögen bedeutet, dass es andere Haushaltstitel zunächst nicht belastet, etwa Soziales oder Bildung. Dennoch ist dieser Kredit einschließlich Zinsen zurückzuzahlen, was in Folge dann doch eine Belastung des gesamten Haushalts bedeutet. Und auch bei der Finanzierung der angesprochenen Zukunfts- und Fortschrittsprojekte im Rahmen der sozial-ökologischen Transformation wäre zu klären, in welchem Umfang Gelder aus dem Haushalt dafür zur Verfügung gestellt werden – zu Lasten anderer Titel.

Rainer Perschewski: Der Schwerpunkt in der Diskussion um das Sondervermögen für die Bundeswehr lag auf zwei Bereichen. Unverständnis wurde geäußert, dass plötzlich Gelder festgeschrieben werden sollen, die in anderen Bereichen wie im Gesundheitswesen oder in der Bildung seit Jahren gefordert werden. Kritik wurde geäußert, weil diese Zahl in keiner Weise eine Begründung erfahren hat, geschweige denn eine Legitimation, da sie wohl nicht mal im Kabinett diskutiert wurde.

ver.di ist mit einem Antrag von Olaf gescheitert, der eine klare Ablehnung statt nur einer kritischen Begleitung bedeutet hätte. Trotzdem ist es wichtig, die Diskussion geführt zu haben, vor allem weil sich dieser Diskussion eine Debatte in den nächsten Monaten anschließen soll. Immerhin haben sich rund ein Drittel der Delegierten für eine klare Ablehnung ausgesprochen. Ich denke wir müssen den Antrag nutzen, um die Diskussion um eine neue Friedenspolitik in den Gewerkschaften zu fördern.

UZ: Auf deine Initiative hin ist auch die „Ächtung von Atomwaffen“ und die Ablehnung der nuklearen Teilhabe Deutschlands im Antrag aufgenommen worden. Gab es zu diesem Punkt Diskussionen? Schließlich würde dies bedeuten, die US-Atomwaffen aus Büchel abzuziehen.

Olaf Harms: Es ist erfreulich, dass der DGB an seiner Position festhält und diese nochmal bestätigt hat. Ja, in der Tat bedeutet es, die Atomwaffen aus Büchel abzuziehen und aus dem Land zu entfernen. Ich hoffe, dass die Friedensinitiative in Büchel auch aus den Gewerkschaften hier praktische Unterstützung erhält.

UZ: Ein kurzfristiger „ersatzloser Lieferstopp“ russischer Gasimporte wird vom DGB abgelehnt. Zudem wird eine Entlastung von Beschäftigten und Unternehmen gefordert. Wie soll diese aussehen? Was ist die zentrale Kritik des DGB an den „Entlastungspaketen“ der Bundesregierung?

Rainer Perschewski: Die EVG hatte dazu ein Initiativantrag eingebracht, der Mängel an dem Entlastungspaket deutlich macht. Hier bezieht sich die Kritik darauf, dass die Zahlungen im Entlastungspaket auf die Erwerbstätigkeit fixiert ist. Damit ist zum Beispiel ein großer Teil der Senioren und Studierender, die gerade keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgeschlossen. Das sah auch der Kongress so und hat den Antrag der EVG einstimmig angenommen.
Darüber hinaus wurde deutlich gemacht, dass es noch wesentlich mehr Nachteile für Teile der Bevölkerung gibt, vor allem, falls ein Lieferstopp tatsächlich eintreten sollte. Die Forderung an die Bundesregierung lautet, diese Nachteile auszugleichen.

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"„Viel Stoff für eine ­notwendige Diskussion“", UZ vom 20. Mai 2022



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