Als Mitglied des Deutschen Bundestages lebt es sich vortrefflich: Jedem Abgeordneten wurde seine monatliche „Entschädigung“ Anfang des Jahres auf über 9 000 Euro im Monat erhöht. Viele von ihnen finden auch noch ausreichend Zeit, einem Nebenjob nachzugehen. Dass dieser lukrativer sein können als die Wahrnehmung des Mandats, hat kürzlich abgeordnetenwatch.de festgestellt.
Nur 91 Parlamentarier widmen sich demnach komplett ihrer Arbeit im Bundestag oder im Wahlkreis; sie geben jedenfalls keine Nebentätigkeiten an. 156 gehen dagegen einem Nebenjob nach und lassen sich ihn vergüten. Doch wie hoch diese tatsächlich liegt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Seit Beginn der Legislaturperiode haben die Abgeordneten mindestens 11,6 Millionen Euro nebenbei kassiert. Die Summe könnte aber auch bei bis zu 21,4 Millionen Euro liegen.
Dass es diesen Graubereich gibt, liegt daran, dass die Parlamentarier nicht die kompletten Einkünfte angeben müssen. Nach dem Abgeordnetengesetz und den Verhaltensregeln für Abgeordnete müssen Nebentätigkeiten angezeigt werden, wenn sie mit mehr als 1 000 Euro im Monat oder 10 000 Euro im Jahr vergütet werden. Die Einkünfte werden dann einer von zehn Stufen zugeordnet. So wird beispielsweise der Job des CDU-Abgeordneten Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, der Stufe drei zugerechnet: Er könnte 7 000 Euro im Monat nebenbei verdienen, aber möglich wären auch 15 000 Euro.
Abgeordnetenwatch.de geht davon aus, dass die Schlupflöcher noch viel größer sind und die Höhe der Nebeneinkünfte deutlich höher liegen als die errechneten 21,4 Millionen Euro. Denn bestimmte Einkünfte müssen die Parlamentarier überhaupt nicht melden. So bräuchten Rechtsanwälte ihre Honorare unter bestimmten Bedingungen gar nicht angeben, und Gewinne aus Unternehmensbeteiligungen eines Abgeordneten tauchen nirgends auf. 16 Abgeordnete weisen ein Nebeneinkommen von mindestens 150 000 Euro aus, und 13 von ihnen gehören der CDU/CSU-Fraktion an. Mit Abstand die höchsten Einnahmen verzeichnet der CSU-Politiker Philipp Graf Lerchenfeld. Rund 1,15 Millionen Euro hat er nebenbei verdient; es könnten aber auch über 1,6 Millionen Euro gewesen sein.
Lerchenfeld gab sich bewusst bescheiden: In einem Interview mit der Bild-Zeitung Anfang August meinte er, diese riesigen Summen kämen nur dadurch zustande, dass seine Einkünfte aus der Landwirtschaft stammten. „Die Kosten werden nicht berücksichtigt“ und nur der Umsatz, nicht aber der Gewinn angegeben. Außerdem, so Guts- und Großgrundbesitzer Lerchenfeld: Es sei doch nur ein „Familienbetrieb“, den er nunmehr in der 21. Generation bewirtschafte.
Ein anderer Spross einer Adelsfamilie ist der CDU-Abgeordnete Hans-Georg von der Marwitz. Mit einem geschätzten Nebeneinkommen von 587 000 Euro nimmt er Platz 5 in der Rangliste ein. 1990, gleich als sich die erstbeste Gelegenheit bot, kehrte er ins brandenburgische Vierlinden-Friedersdorf zurück. Dort hatte seine Familie bis 1945 einen ihrer „Stammsitze“. Dort kaufte und pachtete er sich eine Fläche von 900 Hektar zusammen. Marwitz baute dort beispielsweise die Friedersdorfer Landwirtschaft GmbH und die Dorfgut Friedersdorf GmbH & Co KG auf. Die erste Firma betreibt eine Biogasanlage und erbringt landwirtschaftliche Dienstleistungen. Die zweite ist ein Regionalladen mit Restaurant. Einkünfte aus dem Betrieb dieser Unternehmen weist er allerdings gegenüber dem Bundestag nicht aus.
Das SPD-Mitglied, das am meisten nebenher verdient, ist der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück. Mit Vorträgen, Buchverkäufen und Aufsichtsratsposten hat er es in der Rangliste allerdings „nur“ auf Platz 12 geschafft. Zwischen 189 000 und 323 000 Euro hat er neben seinem Abgeordnetengehalt eingenommen.
Abgeordnetenwatch.de hat nun die Petition „Verschleierung von Nebeneinkünften stoppen!“ gestartet. Damit wollen die Initiatoren erreichen, dass ein striktes Transparenzgesetz beschlossen wird: Alle Nebeneinkünfte „vom ersten Euro bis zum letzten Cent“ sollen so aufgedeckt sowie alle Geldgeber namentlich genannt werden. Nur so würden sich alle finanziellen Abhängigkeiten und mögliche Interessenkonflikte offenlegen und kritisch hinterfragen lassen. Derartige Regeln würden beispielsweise schon in Großbritannien gelten: Dort müssen Abgeordnete nicht nur die konkrete Höhe sämtlicher Einkünfte veröffentlichen sondern auch den zeitlichen Aufwand, den sie für Nebentätigkeiten betreiben.