Über Farbenspiele vor der Bundestagswahl

Vexillologische Probleme

Andi Nopilas

Ein Dormagener Journalist machte 1994 mit der Idee Furore, die sich abzeichnende Koalition im linksrheinischen 65.000-Seelen-Städtchen als „Jamaika-Koalition“ zu bezeichnen. Die Flaggenkunde, wissenschaftlich Vexillologie, ordnete im Falle Jamaikas damals den Farben Grün die Landwirtschaft, Gold beziehungsweise Gelb die Bodenschätze und Schwarz die schwere koloniale Vergangenheit zu. Damit waren Grüne, FDP und CDU deren bevorzugten Zugriffsfeldern korrekt zugeordnet.

Aber es kam weder in Dormagen noch im Bund zu Jamaika. Berlin blieb bei der schwarz-roten Koalition, für die es kein vexillologisches Vorbild gibt – es sei denn, man übersieht die weißen Anteile: Dann wäre der vom befreundeten Saudi-Arabien mit deutschen Waffen zerbombte Jemen im Angebot gewesen, aber kein Medium fand sich für diese deutscher Außenpolitik angemessene Bezeichnung. Schon ein oder zwei FDP-Minister hätten damals nach Angola geführt, dessen Flagge rot und schwarz ist, mit einem kleinen gelben Anteil – dieser färbt Zahnrad und Machete, deren zugrunde liegende Symbolik Herrn Lindner von einer Regierungsbeteiligung abschrecken musste. Die kleineren Grünen konnten sich SPD und CDU/CSU damals auch nicht ins Bett holen, wäre in dem Fall doch entweder von einer Irak- oder einer Syrien-Koalition gesprochen worden.

Der aktuelle Höhenflug der Sozialdemokratie verlangt die Farbe Rot nun auch noch in größeren Anteilen als die anderer Farben. Ost-Timor bietet viel Rot, weniger Schwarz und noch weniger Gelb; wahrscheinlicher ist aber wohl, dass aus dem „Triell“ eine „Ménage à trois“ wird. Läuft dabei die SPD vor CDU/CSU und Grünen ein, böten sich Malawi und Kenia an. Eine Libyen-Koalition gibt es dagegen nur mit Laschet vor Scholz und Baerbock. Zum Glück reicht es nicht für Rot-Grün: Minister in einer Belarus-Koalition zu werden, kann nicht der Traum grüner, slawophober Militaristen sein. Kommt etwas FDP dazu, landet man bei Burkina Faso. Ein Elend.

Wo man hinschaut: Nur „failed states“ oder solche, die es noch werden sollen. Hilft mehr Phantasie? Zu gleichen Teilen Rot, Gelb und Grün mit wenig Schwarz? Ach, Simbabwe … Flaggen mit blauen Anteilen gibt es übrigens zuhauf, aber aktuell fällt das aus. Noch was? Richtig, es gäbe noch eine Koalitionsoption. Nur eben keine Flagge mit zwei unterschiedlichen Rottönen.

Es kann also dauern. Frau Merkel wird sicher gern kommissarisch die Weihnachtsansprache lesen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Vexillologische Probleme", UZ vom 17. September 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit