Verzweiflung oder Volksbündnis

Olaf Matthes im Gespräch mit Dimos Koubouris

UZ: Die Gläubiger Griechenlands fordern eine Reform der Rentenversicherung, aber Alexis Tsipras hat gesagt, er will dabei die Renten nicht kürzen. Ist das nicht gut?

Dimos Koubouris, Stahlarbeiter, ist Vorsitzender des Griechischen Rentnerverbandes. Er gehört dem Exekutivsekretariat von PAME und dem ZK der KKE an. Bis zum 16. Januar reist er auf Einladung der DKP durch Deutschland und berichtet über den Kampf der PAME

Dimos Koubouris, Stahlarbeiter, ist Vorsitzender des Griechischen Rentnerverbandes. Er gehört dem Exekutivsekretariat von PAME und dem ZK der KKE an. Bis zum 16. Januar reist er auf Einladung der DKP durch Deutschland und berichtet über den Kampf der PAME

( Stephan Hesse)

Dimos Koubouris: Diese Regierung setzt die Politik fort, die die vergangenen Regierungen gemacht haben. Aber nicht nur deren Politik, sondern auch deren Lügen. Diejenigen, die ab dem 1. Januar 2016 in Rente gehen, müssen mit einer Kürzung von 5 bis 30 Prozent rechnen – nur bei ihrer Hauptrente. Aber auch bei denen, die schon in Rente sind, sollen nach den Plänen der Regierung die Ansprüche neu berechnet werden. Die Regierung wird auch diese Renten kürzen – aber sie verspricht, die Kürzung für die nächsten zwei Jahre aus einem zu erwartenden Aufschwung der Wirtschaft abzufedern. Eine eventuelle Lücke würde der Staatshaushalt ausfüllen. Also, es ist eine Lüge, dass die Renten nicht gekürzt werden. Aber die größte Lüge ist die, dass diese Regierung behauptet hat, sie würde im Interesse unter anderem auch der Rentner handeln.

UZ: Seit November gab es eine Reihe von Streiks und Demonstrationen – gibt es einen neuen Aufschwung des Widerstands?

Dimos Koubouris: Ja, man kann sagen, dass das der Beginn einer neuen Stärkung der Bewegung ist. Das hat nicht nur damit zu tun, wie viele Menschen daran teilnehmen, mit der Quantität, sondern auch mit der Qualität, mit der Orientierung der Bewegung. Ohne zu übertreiben: So eine Bewegung hätte ohne die PAME nicht entstehen können. Diese Bewegung stellt die EU in Frage und die ganze Regierungspolitik der letzten Jahre, sie fordert die Rechte der Arbeiterklasse, der Rentner, aller arbeitenden Menschen ein – sie geht von den wirklichen Bedürfnissen der Menschen aus. Diese Bewegung wird von der Arbeiterklasse getragen, zusammen mit den armen Bauern und den selbstständigen Gewerbetreibenden.

UZ: Aber Syriza hat doch auch zum Generalstreik aufgerufen.

Dimos Koubouris: Für die Arbeiter war das ein Witz. Die Syriza-Funktionäre in den Gewerkschaften arbeiten mit den sozialdemokratischen und „neoliberalen“ Kadern zusammen, mit denen also, die bisher die Politik die Maßnahmen mitgetragen haben, gegen die sich der Generalstreik gerichtet hat. Sie haben zum Streik aufgerufen – aber durch die Hintertür haben sie den Arbeitern nahegelegt, besser arbeiten zu gehen.

UZ: Erst die Hoffnung in Syriza, dann die Enttäuschung durch das Memorandum – wie würdest du die Stimmung in der griechischen Arbeiterklasse heute beschreiben?

Dimos Koubouris: Wir sind ja nicht zufällig zu einem dritten Memorandum gekommen. Wir sind von der Syriza-Politik dorthin gebracht worden – trotz aller demagogischer Erklärung, dass eine Tsipras-Regierung das Memorandum in der Luft zerreißen würde.

Diejenigen, die von dem Memorandum überrascht worden sind und enttäuscht waren, haben sich nicht von der Logik befreit, die hinter der Syriza-Politik steht: Sie haben nicht begriffen, dass die Widersprüche unserer Gesellschaft nicht durch einen Regierungswechsel gelöst werden, sondern dadurch, dass eine andere Klasse an die Macht kommt.

Es gibt großen Unmut unter Menschen aus den werktätigen Klassen und Schichten. Wir wollen, dass die Enttäuschung und die Verzweiflung sich nicht breit machen. Wir versuchen, diese Leute zu überzeugen, dass sie mit uns in der klassenbewussten Bewegung kämpfen und sich nicht in die Passivität drängen lassen.

UZ: Was überwiegt: Die Bereitschaft zu kämpfen oder die Verzweiflung?

Dimos Koubouris: Es gibt beides. Aber wir sind optimistisch. Wir sind der Meinung, dass wir auf einem guten Weg sind, weil nicht nur die Zahl der Streikstunden wächst, sondern auch das Bewusstsein. Bei den letzten Aktionen der PAME haben hunderte Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbände teilgenommen – zum ersten Mal auch Gewerkschaften, die nicht der PAME angehören. Die haben festgestellt, dass PAME eine konsequente Kraft ist – obwohl die Massenmedien Angst verbreiten, und obwohl das Kapital die Werktätigen erpresst.

UZ: Die Veranstaltungsreihe, mit der du in Deutschland unterwegs bist, heißt: „PAME und die Perspektive“. Was ist aus Sicht von PAME die Perspektive der gegenwärtigen Kämpfe?

Dimos Koubouris: Wir kämpfen für die Einheit der Arbeiterklasse. Aber eine Einheit gegen den wirklichen Gegner, und das ist das Kapital. Nicht eine Einheit auf Grundlage einer reformistischen Logik, eine Einheit, in der man sich mit einem kleineren Übel zufrieden gibt. Wir wollen die Menschen davon überzeugen, mit uns gemeinsam in der klassenbewussten Bewegung dafür zu kämpfen, dass die Arbeiterklasse die Macht in die eigenen Hände nimmt und dafür, dass die Produktionsmittel denen gehören, die produzieren.

Wenn die Bewegung das nicht begreift, kann sie auch die kleinen, alltäglichen Kämpfe nicht konsequent führen. Aber in dem Kampf um die scheinbar kleinen Probleme – um Fragen der Sozialversicherung, Arbeitszeiten, Frauenrechte – wollen wir die Arbeiterklasse zusammenschließen und die Perspektive zeigen. Dadurch kann die Gewerkschaft eine Schule des Klassenkampfes werden: breitere Massen in die Bewegung einbeziehen, Forderungen aufstellen, die den wirklichen Bedürfnissen der Menschen entsprechen, und die Perspektive einer vergesellschafteten Wirtschaft.

Aber die Monopole zerstören ja auch die Lebensgrundlage der armen Bauern und der kleinen Unternehmen. Wir kämpfen für ein gesellschaftliches Bündnis der Arbeiterklasse mit diesen Schichten, für das Volksbündnis. Wir sagen ihnen: Ihr werdet im Sozialismus die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben wie die Arbeiterklasse. Die meisten dieser Leute haben im Moment nichts, sie sind völlig pleite. Die Bauern sind bereit, die lassen schon den Motor ihrer Traktoren warmlaufen, um demonstrieren zu fahren. Und Ende Januar plant PAME einen landesweiten Streik – einen weiteren unter den vielen, die sie in den Jahren der Krise organisiert hat.

UZ: Sozialismus als Perspektive – man muss also erst einmal die Diktatur des Proletariats anerkennen, um mit PAME gemeinsam zu streiken?

Dimos Koubouris: Nein, so eine Bedingung stellen wir nicht. Wir zeigen den Weg auf. Es gibt ja auch innerhalb der Arbeiterklasse eine Auseinandersetzung darum, wie wir den Kampf führen müssen, eine ideologische Auseinandersetzung. Wir sagen: Kommt mit uns, wir kämpfen für die Lösung unserer alltäglichen Probleme. Aber diese Probleme werden vom Kapitalismus hervorgebracht. Und wir sagen: Wer diese Probleme lösen will, muss wissen, dass es eine endgültige Lösung zu Gunsten der Arbeiter nur in einem System gibt, in dem die Arbeiter die Macht haben.

Manche sind da skeptisch. Aber sie sehen auch, dass PAME konsequent für die gemeinsamen Interessen kämpft und dass die Einschätzungen der PAME sich im Leben bewahrheiten, sie denken nach. Unsere Erfahrungen der letzten Jahre haben uns gezeigt: Wir gewinnen Menschen auf diesem Weg.

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"Verzweiflung oder Volksbündnis", UZ vom 15. Januar 2016



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