US-Krieg und Besatzung haben den Irak zerstört

Verwüstetes Land

Karin Leukefeld

4572 getötete US-Soldaten, 3.588 getötete US-amerikanische Söldner, bis zu 52.337 getötete irakische Soldaten und Sicherheitskräfte, 323 getötete Soldaten aus mit den USA verbündeten Armeen, bis zu 39.881 getötete gegnerische Kämpfer, 277 getötete Journalisten und Medienmitarbeiter, 63 getötete Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und bis zu 207.156 getötete Zivilisten. So liest sich die Aufstellung der „menschlichen Kosten“ des Irakkrieges von März 2003 bis Oktober 2019 in einem Bericht des Watson-Instituts der Brown-Universität in Providence, USA. Die Aufstellung ist Teil eines Langzeitforschungsprojekts über die „Kosten der Kriege“, die von den USA seit dem 11. September 2001 im „weltweiten Kampf gegen den Terror“ geführt wurden und werden. Die Zahl der Toten steige täglich weiter, heißt es in einem Hinweis.

Ungezählte, aber „sehr viel mehr Menschen starben indirekt an den Folgen der US-Militäroperationen“, heißt es weiter – zum Beispiel durch Vertreibung und Krankheit.

Die finanziellen Gesamtkosten der Kriege in Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen, Pakistan, den Philippinen, Somalia, Mali und anderen Ländern, aus denen wenige Informationen bekannt sind, betrugen 2019 6,4 Billionen US-Dollar (etwa 5,5 Billionen Euro). Das sind die Kosten der US-Amerikaner – in den betroffenen Ländern liegen sie noch um ein Vielfaches höher. Weltweit seien mindestens 85 Staaten von US-Kriegen betroffen.

Tödliche Sanktionen

Eine Aufstellung der Kosten, die US-Kriege im Irak verursacht haben, liegt nicht vor. Die von den USA und ihren Verbündeten 1991 und 2003 weitflächig eingesetzte Uranmunition hat Menschen und Umwelt auf Generationen hin verseucht. Die Zahl multipler Krebserkrankungen hat erheblich zugenommen. Die Sterblichkeit von Neugeborenen im südlichen Basra ist so sehr erhöht, dass neue Friedhöfe angelegt werden müssen. Neugeborene kommen mit erschreckenden Fehlbildungen zur Welt. Frauen haben Angst, Kinder zu gebären.

Dem Irak-Iran-Krieg (1980 bis 1988) – zu dem die USA, der Westen und die arabischen Golfstaaten den Irak ermuntert und aufgerüstet hatten – folgten der Krieg 1991, zahlreiche Angriffe US-amerikanischer, britischer und französischer Kampfjets während der 1990er-Jahre und schließlich die Invasion 2003. Hinzu kommen die vom UN-Sicherheitsrat 1990 verhängten Wirtschaftssanktionen – eine andere Art von Krieg –, die das Land haben ausbluten lassen. 500.000 Kinder wurden nicht älter als fünf Jahre, weil Grundnahrungsmittel, Milch, Medikamente und medizinische Geräte fehlten, die wegen der Sanktionen nicht eingeführt werden durften.

Die UN-Sanktionen führten zu einem„Brain Drain“, der Abwanderung oder auch Abwerbung von Wissenschaftlern, Ärzten, Ingenieuren, die im Irak oder auf dessen Kosten in einem anderen Land ausgebildet worden waren und die erheblich zur Entwicklung des Landes beigetragen hatten. Die mit den Kriegen und Sanktionen ins Land kommenden internationalen Hilfs- und UN-Organisationen machten aus den Menschen Bittsteller und trugen gleichzeitig zur Entstehung einer neuen Elite bei. Durch hohe Löhne und zahlreiche Vergünstigungen konnten Ortskräfte dieser Organisationen sich ein weit besseres Leben leisten als die Mehrheit der Bevölkerung. Das trug zu Vetternwirtschaft und Korruption ebenso bei wie Einflussnahme bei Ausschreibungen für Bau- oder Projektvorhaben. Hilfsorganisationen wurden und werden von den Entsendeländern, die sie mitfinanzieren, auch als Basis für „Aufklärung“ und geheimdienstliche Intervention benutzt.

Gespaltenes Land

Infolge der Kriege und Sanktionen ist der Irak heute wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich zerstört. Die reichen Ölquellen im Süden und Norden des Irak tragen seit der US-Besatzung 2003 nicht mehr zur Entwicklung des Landes bei, sondern werden von ausländischen Unternehmen in Kooperation mit korrumpierten Politikern ausgebeutet und kontrolliert.

Die US-Besatzung verordnete eine Verfassung, die das Land spaltete. Das Parlament wird seitdem nach Religion und Ethnien proportional besetzt. Dieses von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich erfundene Modell hat bereits im Libanon bewiesen, wozu es dient: Es macht Politik im Interesse der Bevölkerung einer Nation unmöglich.

Bis heute ist der Irak eine Kriegszone, in der viele verschiedene Kampfverbände mit riesigen Waffenvorräten zahlreiche Stellvertreterkriege offen und verdeckt austragen. USA und Israel gegen den Iran und gegen Syrien. Die Türkei gegen die Kurden. Die Kurden gegen die Türkei und gegen Syrien. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gegen den Iran oder vom Iran unterstützte Milizen. Die USA und die von ihr geführte „Anti-IS-Allianz“ nutzen den Irak als Basis in einem seit 2014 andauernden Kampf gegen Islamisten, die aus Afghanistan kommend mit der US-Invasion in den Irak 2003 erst den fruchtbaren Boden vorfanden, auf dem sie re-krutieren und sich ausbreiten konnten.

USA, NATO und ihre regionalen Verbündeten Israel und die arabischen Golfstaaten werden den Irak nicht verlassen. Das Land ist ihre Basis, um weiter Krisen und Kriege zu schüren und die Staaten der Region daran zu hindern, sich politisch und wirtschaftlich zu verständigen, um selbstbestimmt und souverän in guter Nachbarschaft zu kooperieren.

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"Verwüstetes Land", UZ vom 27. August 2021



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