Israels Weg zur kolonialen Besatzungsmacht

Vertreibungen als ein beherrschendes Element

Die Situation in Gaza ist eindeutig: Es findet ein Völkermord statt. Das völkerrechtswidrige und menschenverachtende Vorgehen der israelischen Regierung gegenüber dem palästinensischen Volk ruft Widerstand auch im eigenen Land hervor. Doch der nach langer, grausamer Zuspitzung erneut mit Gewalt aufgebrochene Konflikt hat eine noch längere Vorgeschichte, deren Inhalt Vertreibung ist. Von der Regierung und den Medien werden Sophismen verbreitet, um den Völkermord zu rechtfertigen und die Weltöffentlichkeit in diesen mit hineinzuziehen. Menschen jüdischen Glaubens, die sich sogar im Angesicht der Gefahr von strafrechtlicher Verfolgung, übelsten Beschimpfungen und sogar Kontensperren kritisch mit dem Geschehen in Gaza auseinandersetzen, aber auch andere Teile der Öffentlichkeit, die deutsche Waffenlieferungen an Israel aus konsequentem Humanismus strikt ablehnen, werden zu Antisemiten erklärt – in völliger Verkennung der Bedeutung und des Inhalts dieses Begriffs. So doppelbödig ist die bürgerliche Moral. Literatur, die für historische Aufklärung sorgt, um faktenbasiert die Entwicklung des Konflikts aufzuzeigen, ist deshalb sehr gefragt. Peter Hänseler und René Zittlau tragen dazu bei mit ihrer Broschüre „Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“.

Die Nahost-Problematik, betonen die Autoren, versteht man nur, wenn man die Geschichte und die gegenwärtige geopolitische Lage kennt – und diese Problematik ist kompliziert. Deshalb ist ihr Hinweis wichtig, dass Emotionen hier nicht weiterhelfen – ein alter Grundsatz der Geschichtswissenschaft. Ihre Aufgabe sehen Hänseler und Zittlau darin, die Fakten zu ordnen, zu analysieren und so eine Basis für die Diskussion zu erarbeiten, deren Ziel das Aufzeigen eines möglichen Auswegs sein sollte. Den westlichen Medien und der westlichen Politik fehle das Verständnis für die Komplexität der Materie. Startpunkt ihrer Zeitreise ist für die Autoren der Erste Weltkrieg. Sie verfolgen die Entwicklung bis in die Gegenwart und belegen ihre Schlussfolgerungen mit nachprüfbaren Quellen.

Hänseler und Zittlau gelangen zu folgenden Resultaten ihrer Untersuchung:

Die Gründung des Staates Israel widerspräche dem Ansinnen der Weltbevölkerung, die mit der UNO-Resolution 181 eine Zwei-Staaten-Lösung forderte. Da dieser Forderung nicht gefolgt wurde, legte der neue Staat den Grundstein für das bald 80 Jahre dauernde Chaos mit der palästinensischen Bevölkerung. Es gebe zudem keine faktenbasierten Argumente, die „das Ziel Israels widerlegen, ein Großisrael zu schaffen und sich dabei der indigenen Bevölkerung dieses Landes zu entledigen und Nachbarn zu berauben. Dies tat und tut Israel ohne jede Rechtsgrundlage.“ Vertreibungen seien bis heute ein beherrschendes Element israelischer Politik. Es sei Fakt, dass Israel seit seiner Gründung „territorial auf Kosten seiner Nachbarn expandiert“. Es vergrößerte sein Territorium „durch Kriege, legale und illegale Landnahmen und eine damit verbundene Vertreibung von Millionen Einheimischer“. Völkerrechtlich, die UNO-Resolution 181 missachtend, wurde Israel so zu einer kolonialen Besatzungsmacht, erläutern die Autoren. Es sei „weltweit ein natürliches Recht der Besetzten, sich als Unterdrückte gegen fremde Gewalt auf eigenem Grund und Boden zu wehren“.

Mit dem 7. Oktober 2023 endet die Zeitreise der Autoren. Aus israelischer Sicht, betonen sie, ist damit das Schicksal der Palästinenser besiegelt worden. Der gesamte Nahe Osten wurde in einen Brandherd verwandelt. „Es scheint, dass den USA und Israel sehr wohl die Kontrolle entgleiten und aus einer humanitären Katastrophe ein veritabler regionaler Krieg entstehen könnte.“

Die Publikation ist mit zahlreichen Karten versehen und sehr übersichtlich gestaltet. Man kann sie nur empfehlen.

Peter Hänseler / René Zittlau
Israel. Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren
pad-Verlag, Bergkamen 2024, 82 Seiten, 8 Euro
Erhältlich im UZ-Shop

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"Vertreibungen als ein beherrschendes Element", UZ vom 10. Mai 2024



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