Wahlparteitage sind eine mühsame Veranstaltung, die Delegierten des Parteitages der Partei „Die Linke“ mussten sich durch ein über 200 Seiten starkes Abstimmungsheft bemühen. Garniert wurde der Marathon mit hervorgehobenen Reden der Parteiführung, die zeitlich fein verteilt über die Zeit von Freitagnachmittag bis Sonntagnachmittag gehalten wurden. Diese Reden hatten eher weniger mit den konkreten Programmpunkten zu tun, sondern waren gedacht als grundsätzliche Bemerkungen zur Situation in der Republik und in Europa. Wichtig schien allen, von Sahra Wagenknecht über Katja Kipping, von Bernd Riexinger bis Dietmar Bartsch, die Betonung, dass auf „die Linke Verlass sei“, dass nicht die Frage anstehe Regierungs- oder Oppositionspartei zu sein, sondern eine „Erfolgspartei“ zu sein, im Vordergrund stehe eine notwendige „Gerechtigkeitswende“ bis hin zu der Behauptung, dieses Land sei nicht das Land von Merkel und Schäuble, sondern es sei „unser Land“. Die professionelle Rhetorik verhalf zwar allen zu zustimmendem Zwischenbeifall, gerne wenn es gegen die AfD gerichtet war, wenn die „Seuche der prekären Arbeit“ gegeißelt wurde, wenn gegen VW-Manager oder Milliardäre wie Susanne Klatten gewettert wurde. Da ja nicht nur von den bürgerlichen Medien immer wieder nach den „Haltelinien“ gefragt wurde, auch in der Partei selbst diese immer wieder Gesprächsstoff liefern, gab Gregor Gysi, der als Vorsitzender der Europäischen Linken in der EU sprach, folgendes Bemerkenswerte von sich, ohne Widerspruch zu bekommen: „Ich weiß, dass wir dazu tendieren, 50 rote Haltelinien zu verabschieden, aber ich habe Vertrauen zu unserer Parteiführung und weiß, dass sie diese nicht benötigt. Wer nicht kompromissfähig ist, ist auch nicht demokratiefähig …“
Bekannt ist, dass die Partei mit insgesamt 49 Arbeitsgemeinschaften mit z. T. eigenen Satzungen, Regeln und sogar Finanzmitteln agiert, dies wurde deutlich bei Sichtung der Anträge, die in weit mehr als der Hälfte von einzelnen AG‘s, heißen sie nun Forum, Plattform, Liste o. ä. stammten. Das über den ganzen Zeitraum zu beobachtende Abstimmungsverhalten war oft davon geprägt, aus welcher AG der Antrag kam und dementsprechend gab es Zustimmung oder Ablehnung.
Auffällig blass waren nicht nur diese Reden, sondern auch in den laufenden Debatten die Beschreibungen der gesellschaftlichen Realität, das Wort von der „Arbeiterklasse“ fiel nicht einmal, vom „Klassenkampf“ war in zwei bis drei Debattenbeiträgen jeweils kurz die Rede. Obwohl mehrere führende GewerkschaftsvertreterInnen aus verschiedenen DGB-Gewerkschaften als Gäste freundlich begrüßt wurden, war von einer Zusammenarbeit der Partei mit und in den Gewerkschaften nichts zu hören, die unklare Rede vom „gleichen Lohn für Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit“ ließ völlig außen vor, ob dieser Lohn überhaupt zum Leben reicht und die „Kampfansage an mächtige Teile des Kapitals, die alles in Waren und Profit verwandeln wollen“ tut so, als sei dies nicht seit Beginn der kapitalistischen Wirtschaftsweise Sinn und Zweck.
Die Parteitagsregie, besonders die Podiumsleitung von Matthias Höhn (Bundes-Geschäftsführer der Partei) bei strittigen politischen Fragen, war bemerkenswert und soll an einem Beispiel demonstriert werden: Im Entwurf des Programms, vorgelegt vom Parteivorstand, war das so wichtige Kapitel „Nein zum Krieg“ erst an 14. Stelle, Wünsche von Delegierten, dieses Kapitel ganz weit vorne zu platzieren, wurden mit verfahrenstechnischen Gründen abgelehnt. Im Text selbst stand die Formulierung von den „Kampfeinsätzen“ der Bundeswehr im Ausland. Nicht wenige Kreisverbände und Arbeitsgemeinschaften der Partei wollten eine Änderung mit der Formulierung „Auslandseinsätze“ durchbringen. Hier wie an anderen Stellen schaffte es die Parteiführung, mit GO-Anträgen, mit Zusammenfassung von Anträgen und mit der Unterstellung, man wolle wohl das gültige Erfurter Parteiprogramm aushebeln, dass es bei der blassen Aussage blieb. Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform (KPF) sah sich zu einer persönlichen Erklärung veranlasst, sie nannte die Situation „manipulativ“, es sollte um jeden Preis keine Änderung des Textes geben. Wolfgang Gehrcke (MdB) sprang ihr bei und betonte, dass der Begriff „Auslandseinsätze“ der richtige sei und es bedauerlich wäre, dass das Programm an dieser Stelle so geschmeidig bliebe.
Deutliche Kritik am Verhalten von Landesregierungen, in denen die Partei in der Regierungsverantwortung ist, gab es bei der Debatte über das Grundgesetzänderungspaket vor zwei Wochen und die – so wird befürchtet – Welle neuer ÖPP‘s, die demnächst überall im Lande auf Bundesländer wie Kommunen angerollt kommen. Lässig heißt es, sicherlich wären Enthaltungen im Bundesrat besser gewesen, an den Mehrheiten hätte dies eh nichts geändert, die Zustimmung war nicht so „glücklich“, aber damit war dann der Druck aus dem Kessel und weiter im Programm.