Es war kein guter Tag für den früheren Finanzamtsprüfer und späteren Steueranwalt Hanno Berger. Am 30. Mai verurteilte ihn die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden wegen schwerer Steuerhinterziehung mit einem Gesamtschaden von 113 Millionen Euro zu einer Haftstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Der Strippenzieher und Ideengeber im „Cum-Ex“-Finanzskandal hatte im Dezember letzten Jahres wegen anderer Einzeltaten im gleichen Komplex acht Jahre kassiert. Berger hat gegen beide Urteile Revision eingelegt, scheitert er damit, droht ihm eine Gesamtstrafe von bis zu 15 Jahren. Aus der erlangten Tatbeute muss er dann zusätzlich knapp 1,1 Millionen Euro an den Fiskus abführen. Durch geschicktes Jonglieren von kurz hintereinander geschalteten Aktienverkäufen um den Dividendenstichtag herum gelang es den Beteiligten Banken und Aktienbrokern, die Erstattung der Kapitalertragssteuer von den getäuschten Finanzämtern mehrfach zu kassieren, obwohl es immer um dieselbe Aktie ging – kurz: Verkaufen, was man nicht besitzt, und dafür Steuergelder abgreifen.
Berger verteidigte sich damit, er habe lediglich eine Gesetzeslücke ausgenutzt. Weit ist er mit dieser Argumentation nicht gekommen. Nicht alles, was nicht ausdrücklich bestraft wird, ist deswegen schon erlaubt. Eigentlich ist es eine Binsenweisheit, dass man nicht zweimal eine Steuerrückerstattung für ein und dasselbe Aktiengeschäft beanspruchen kann. Ein Phantast ist Berger aber dennoch nicht. Der Bundesfinanzhof als oberstes Gericht in Steuerfragen hatte durch sein Urteil vom 15. September 1999 selbst den Weg zu sogenannten „Leerverkäufen“ geebnet. Ein justizieller Meilenstein zur Inspiration von Börsengewinnlern, wonach der Erwerber einer Aktie diese schon weiterverkaufen kann, ohne dass sie in sein Depot gelangt ist. Keine Überraschung also, dass dies auch den Erfindungsgeist von Steuerlückensuchern wie Hanno Berger beflügelte. Als die „Cum-Ex“-Konstruktion aufflog und milliardenschwere Löcher in den Steuereinnahmen festgestellt wurden, reagierte der geprellte Fiskus erst einmal mit lethargischem Staunen. So war das mit den aktionärsfreundlichen Leerverkäufen dann doch nicht gemeint.
Erst 14 Jahre nach dem Beginn der Finanzmanipulationen ruderte der Bundesfinanzhof zurück und beschied am 2. Februar 2022, dass diese Geschäfte unzulässig seien. Da hatte das oft kopierte System von Steuer-Mastermind Berger schon seine Kreise gezogen, unzählige Aktienhändler und Bankinstitute hatten Blut geleckt. Banken wie die alteingesessene Warburg-Bank in Hamburg, die sich unter Federführung ihres Miteigners Christian Olearius 169 Millionen Euro Steuern, die nie gezahlt wurden, vom Hamburger Finanzamt „zurück“erstatten ließ. Und hier schlug die Kriminalgeschichte um die größte Steuerhinterziehung seit Gründung der Bundesrepublik dann ihr letztes Kapitel auf, die senatsgeförderte Bankenrettung der besonderen Art.
Um die Rückforderung der 169 Millionen Euro seitens des Finanzamts zu vereiteln, wandten Olearius und Konsorten sich hilfesuchend an den damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Drei persönliche Audienzen in den Jahren 2016 und 2017 und wie der Zufall es wollte, „vergaß“ die Hamburger Finanzverwaltung den Verjährungstermin der Rückforderung. Während Olaf Scholz sich auf weitgehende Erinnerungslücken beruft, so dass man sich ob dieser Amnesie schon Sorgen um seine Handlungsfähigkeit machen muss, führte Olearius Tagebuch und erinnert sich auch sonst ganz gut an die Kooperation zur Steuervermeidung. Am 9. November 2016 notierte Olearius, Scholz habe ihn angerufen. „Schicken Sie das Schreiben ohne weitere Bemerkung an den Finanzsenator.“ Gemeint war ein Bittschreiben der Warburg-Bank zur Abwehr der Steuerrückforderung. Olearius war zufrieden. „Ich frage nichts, danke und lasse das Schreiben Tschentscher überbringen“. Kurz darauf ließ das Finanzamt den Anspruch gegen die Bank in die Verjährung fallen.
Die Finanzbeamtin Daniela P., die schon im Februar 2016 ihre Vorgesetzten auf die drohende Verjährung hingewiesen hatte, ließ den Verjährungstermin 10 Monate später verstreichen. Dummerweise fand man in ihren persönlichen Nachrichten einen Schrieb an eine Kollegin, in dem vom Gelingen eines „teuflischen Plans“ und von der Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten die Rede war. Gegen Daniela P. läuft ein Ermittlungsverfahren. Das Verfahren gegen Scholz und den ehemaligen Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) wurde wegen „fehlenden Anfangsverdachts“ nicht einmal eröffnet.
Hanno Berger fühlte sich zu Unrecht verfolgt. Er werde wie ein „Outlaw“ behandelt, und empörte sich: „Für mich gilt das Gesetz nicht.“ Es wäre tatsächlich eine Errungenschaft, wenn das Gesetz gelten würde. Für Berger, Olearius, Daniela P. – aber eben auch für Olaf Scholz.