Verteidigung im Atomzeitalter

Klaus Wagener zur strategischen Situation Nordkoreas

Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen“, wusste schon Mao Zedong. Kim Jong-un dürfte eine ähnliche Vorstellung haben. So ganz neben der Spur ist das nicht. Immer dann, wenn die Beherrschten ihrer Herrscher überdrüssig waren und ihren Überdruss in konkretes Handeln zu übertragen versuchten, gab es in der Konsequenz eigentlich nur eine relevante Frage: Wer – wen?

Das war schon beim Spartakusaufstand so, bei der Commune und auch beim Roten Oktober. Mögen die Motive auch noch so edel, das Vorhaben für die Menschheit noch so venünftig sein, ohne die Fähigkeit, das Errungene auch zu verteidigen ist alles nichts. Selten in der Geschichte, der Oktober bestand diese Herausforderung im Großen Vaterländischen Krieg. Dass dies eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung ist, wurde schmerzlich 1989 klar.

Wie danach die strategische Großlage aussah, machte der Chefstratege der Bush-Ära, Paul Wolfowitz, deutlich. Laut Vier-Sterne-General Wesley Clark meinte er 1991: „Wir haben ungefähr fünf oder zehn Jahre Zeit bekommen, um all die sowjetischen Klientelregime zu beseitigen: Syrien, Iran, Irak, bevor die nächste große Supermacht uns herausfordert.“

Die Führer in Pjöngjang haben sich offensichtlich genau angesehen, was nun passierte. Saddam Hussein und Muammar al-Ghaddafi beendeten ihre Atomprogramme und versuchten einen Deal mit dem Imperium. Beide sind tot. Ihre Staaten verwüstet. Bashar al-Assad lebt noch, dank der russischen Waffen. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob russische oder gar chinesische Waffen die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) verteidigen würden. Ohne die Bombe sind wir so gut wie tot, dürfte die logische Schlussfolgerung in Pjöngjang heißen.

Die DVRK hat Erfahrung, was es bedeutet, wenn das Imperium sein Strategic Air Command von der Kette lässt. Nur wenige Jahre nach der brutalen japanischen Besatzung wurde das Land von der ganzen Zerstörungskraft der US-Bomberflotte heimgesucht. Mehr als drei Millionen Menschen kamen um. Seit Monaten trainieren US- und südkoreanische Truppen in gigantischen Großmanövern die Invasion Nordkoreas.

Die DVRK hat das Glück, über keine strategischen Rohstoffe, vor allem nicht über relevante Mengen an Erdöl und Erdgas, zu verfügen. Daher rangierte sie – anders als beispielsweise Irak, Iran und Libyen  – auf der Prioritätenliste des Pentagon ziemlich weit unten. Dazu nahm die mit der Wolfowitz-Doktrin angestrebte Fähigkeit, mehrere Großkonflikte gleichzeitig durchziehen zu können, strukturell eher ab. Im Gegensatz zum Iran, dem massiv mit Krieg gedroht wurde, konnte Pjöngjang sein in den 1990er Jahren begonnenes Atomwaffenprogramm durchsetzen. Obwohl das genaue Potential der Koreanischen Volksarmee nicht klar ist, muss die US-Führung heute davon ausgehen, dass mit der erfolgreich getesteten Interkontinentalrakete Hwasong-14 die Fähigkeit zum atomaren Gegenschlag, bis hin zum US-amerikanischen Festland besteht.

Dies hat die Lage erheblich verändert. Natürlich ist Kim Jong-un „der Irre“ geblieben. Aber das war Chruschtschow in den 1950er Jahren auch, als das sowjetische atomare Rüstungsprogramm die analoge Zielsetzung, die Gegenschlagfähigkeit, zu erreichen versuchte. Aber nun ist „der Irre“ in den Fokus des Weißen Hauses geraten: „Militärische Lösungen sind jetzt vollständig bereit, geladen und entsichert, falls Nordkorea unklug handelt.“ Selbst die Treueste der Treuen, die deutsche Kanzlerin, hat sich in dieser Frage von Krieg und Frieden vom US-Präsidenten distanziert: „Eskalation der Sprache halte ich für die falsche Antwort. Ich sehe auch keine militärische Lösung des Konflikts.“

Nachdem der Aufbau einer gewaltigen militärischen Drohkulisse ohne Wirkung geblieben ist, deutet sich an, dass sich in den strategischen Zirkeln die Auffassung durchsetzt, dass der Wunsch, den „Irren von Pjöngjang“ an die Kette zu legen, das Risiko eines Atomkrieges nicht wert ist und also auf anderem Wege erreicht werden sollte. Was immer man vom Pjöngjanger Sozialismusversuch halten mag, seiner Verteidigungsstrategie ist eine gewisse Rationalität nicht absprechen.

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"Verteidigung im Atomzeitalter", UZ vom 18. August 2017



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