2005 – 2009 und 2013 – 2017 hatten Grüne, Linke und SPD die Mehrheit im Deutschen Bundestag. Das war aber nur eine formale Rechnerei. Inhaltlich gehörten sie nicht zusammen.
Die Linkspartei lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr ab, fordert eine Vermögenssteuer, einen hohen Spitzensatz bei der Einkommensteuer, wirksame Belastung großer Erbschaften und eine Bürgerversicherung. Bündnis ’90/Die Grünen und SPD an der Regierung haben sich 1999 an einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien beteiligt, die Steuern für Reiche gesenkt, Hartz IV eingeführt und die Rentenversicherung teilprivatisiert. Im Wahlkampf 2013 traten beide für stärkere steuerliche Heranziehung der Bessergestellten ein, 2017 nicht mehr. Als der französische Ökonom Piketty die Vermögensteuer forderte, lehnte der damalige sozialdemokratische Wirtschaftsminister Gabriel das ab. In Wahlkämpfen blinkt die SPD manchmal mit der Bürgerversicherung, aber das ist nur Reklame. Dass sie sich 2005 und 2013 mit der CDU/CSU in einer Großen Koalition zusammentat, war logisch. Es gab in der Substanz keine Mehrheit für Rot-Rot-Grün.
Mit der Bundestagswahl 2017 ist sie selbst rein rechnerisch nicht mehr möglich. Dafür gibt es im Bundestag jetzt eine echte Mehrheit: aus AfD, FDP und Union. Alle drei Parteien sind marktradikal. Zwischen AfD, FDP und dem Unternehmerflügel der CDU gibt es wirtschaftspolitisch die größten Übereinstimmungen. CSU, Freidemokraten und „Alternative für Deutschland“ sind ausländerfeindlich. Gleiches gilt für die Mehrheit der CDU, die ihrer Kanzlerin bis heute nicht die kurzzeitige Grenzöffnung vom September 2015 verziehen hat und sie am liebsten los wäre, sie weiß nur noch nicht wie.
Weil AfD, FDP und Union derart gut zusammenpassen, ist die Regierungsbildung so schwierig. Jamaika platzte, da dieses Bündnis der FDP nicht marktradikal und der CSU nicht ausländerfeindlich genug gewesen wäre. SPD und Union tun sich mit der Fortsetzung der Großen Koalition vorerst noch schwer. Ihre Mehrheit im Bundestag ist kleiner geworden. Bei Neuwahlen könnte sie ganz verloren gehen, und die AfD würde womöglich noch stärker. Gesundbeter behaupten, die aktuellen Umfragen gäben das nicht her: ihre Ergebnisse entsprächen dem Wahlresultat vom 24. September 2017. Das heißt aber: Es würde nicht anders. Außerdem: Müssten CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD einräumen, dass sie weder Jamaika noch eine Große Koalition zustande brächten und deshalb Neuwahlen nötig seien, wäre das ein Offenbarungseid, der zu einem Umschwung zugunsten der AfD führen würde. Die Linkspartei dürfte davon kaum profitieren. Sie ist derzeit fast nur mit Albernheiten beschäftigt und lohnt vorerst keine ernsthafte Betrachtung.
Vielleicht ist die Angst vor Neuwahlen der einzige Grund dafür, dass es doch noch zur Vereinbarung über eine Große Koalition kommen könnte. Ob die SPD-Basis beim Mitgliederentscheid dafür sein würde, muss man sehen. Sie ist ja geduldig und hat seit dem 4. August 1914 so vieles mitgemacht, dass ihre Hirten vielleicht auch jetzt noch hoffen dürfen. Allerdings wären Ansehen und Gestaltungskraft einer Großen Koalition diesmal besonders dürftig.
Die neue rechte Mehrheit hat – im Unterschied zur fiktiven „linken“ – eine gesellschaftliche Basis. Das deutsche Kapital kann zur Zeit mit dem Faschismus nicht viel anfangen, aber auch in der Weimarer Republik hat es zunächst einige Jahre auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Der Anteil der AfD-Stimmen von Gewerkschaftsmitgliedern ist etwas höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Eine „Alternative Vereinigung der Arbeitnehmerschaft“ tritt an, die „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation“ von einst zu kopieren.
Es ist eben nicht leicht, eine reale gesellschaftliche Mehrheit – sie ist, wie gezeigt, mittlerweile rechts – durch windige parlamentarische Manöver zu verstecken.