Kapitalverbände fordern Koppelung des Renteneintrittsalters an Lebenserwartung

Verschoben auf Sankt Nimmerlein

Der demographische Wandel macht die Rente unbezahlbar. Helfen kann hier nur eine Verschlechterung der Leistungen und die Anhebung des Renteneintrittsalters.“ Zwei Wochen vor der Bundestagswahl hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) dieses altbekannte neoliberale Märchen aufgewärmt. „Wir sollten uns damit auseinandersetzen, die Rente an die durchschnittliche Lebenserwartung zu koppeln“, so deren Präsident Rainer Dulger gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Seit Jahren seien die ständig steigenden Lohnzusatzkosten in Deutschland ein Problem. Sie sind laut Dulger auf mehr als 40 Prozent gestiegen und würden ohne Eingriffe weiter steigen: „Unsere Sozialsysteme müssen dringend reformiert werden. Wir alle wissen, dass wir immer älter werden. Wir alle wissen, dass wir immer mehr Leistungsempfänger haben werden – und immer weniger Einzahlende.“ Es ist die gleiche Argumentation, mit der schon die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre begründet wurde.

Wenige Tage zuvor hatte Monika Schnitzer auf einem Online-Forum der BDA in die gleiche Kerbe geschlagen. Die Chefin der sogenannten „Wirtschaftsweisen“ schlug „eine Dynamisierung des Renteneintrittsalters unter Berücksichtigung der Lebenserwartung“ vor. „Wenn wir unseren Haushalt stabilisieren wollen, dann müssen wir das Thema Rentenreform dringend anpacken“, so Schnitzer. Bereits jetzt gehe ein Viertel des Haushalts für Rentenzahlungen drauf, mit denen ausgeglichen werde, was nicht beitragsfinanziert sei.

Seit den 1980er Jahren habe sich die Bezugsdauer der Rente um acht Jahre erhöht. „Das sind acht Jahre, die finanziert werden müssen“, beklagte die Münchner Ökonomin. In Folge einer längeren Lebenserwartung müsse – so die neoliberale Logik – das Renteneintrittsalter möglichst flexibel gestaltet und an die durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt werden.

Sowohl Dulger als auch Schnitzer verschwiegen, dass nach einer aktuellen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Deutschen im EU-Vergleich schon jetzt mit am längsten arbeiten müssen. 2022 gingen Lohnabhängige hierzulande mit knapp 66 Jahren in Rente. Griechen und Luxemburger arbeiteten im gleichen Zeitraum bis zum 62 Lebensjahr. In Deutschland wurden die Weichen für die deutlich längeren Lebensarbeitszeiten bereits 2007 mit dem sogenannten „Altersgrenzenanpassungsgesetz“ gestellt. Dieses sieht für Versicherte ab dem Geburtsjahrgang 1964 die Vollendung des 67. Lebensjahres als neue Regelaltersgrenze vor.

Inzwischen sind viele Länder dem deutschen Beispiel gefolgt. So wurde in Frankreich 2023 das früheste Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre erhöht. Angehoben wurde ebenfalls die Zahl der notwendigen Beitragsjahre von ehemals 41,5 Jahren. Inzwischen muss man bei unseren Nachbarn 43 Jahre Beiträge zahlen, um volle Rentenansprüche zu besitzen. Wer das nicht schafft, muss bis zum 67. Lebensjahr arbeiten. In Italien wurde das gesetzliche Renteneintrittsalter ebenfalls auf 67 angehoben. Noch existieren Ausnahmeregelungen, nach denen ein Teil der Beschäftigten mit 62 Jahren in Rente gehen kann. Diese will die italienischen Regierung abschaffen. Berufsanfänger sollen in Zukunft sogar bis 71 Jahre arbeiten.

Was in Deutschland und anderen Ländern noch diskutiert wird, ist in Dänemark längst Realität: Das Rentenalter steigt entsprechend dem Durchschnittsalter der Bevölkerung. Schon heute liegt es bei 67 Jahren und im Jahr 2040 wird es bei 70 Jahren angelangt sein. Vorausgesetzt, die Lebenserwartung steigt dank medizinischem Fortschritt im gleichen Tempo weiter an, wird ein heute 25-Jähriger im ehemaligen „skandinavischen Wohlfahrtsstaat“ bis zum 74. Lebensjahr arbeiten müssen.

Zu berücksichtigen ist dabei, dass die durchschnittliche Lebenserwartung zwar gestiegen ist und voraussichtlich weiter steigt, es aber enorme Unterschiede nach Einkommen gibt. Geringverdiener haben bereits heute deutlich schlechtere Chancen, das Rentenalter zu erreichen. Die alte neoliberale Wunschvorstellung, dass Menschen, die jahrzehntelang geschuftet und ins Rentensystem eingezahlt haben, vor dem Erreichen des Rentenalters „sozialverträglich ableben“, ist für viele bereits Realität.

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"Verschoben auf Sankt Nimmerlein", UZ vom 14. Februar 2025



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