Im Januar 1949 kam Hans Modrow aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Deutschland zurück. Der Arbeitersohn und gelernte Maschinenschlosser war mit 17 Jahren noch zum „Volkssturm“ eingezogen worden. 1948 hatte er eine Antifaschule in Rjasan bei Moskau besucht und dort durch den Philosoph Nikolai Janzen die Geschichte der Sowjetunion, der KPD und des antifaschistischen Widerstandes kennengelernt – „auf lebendige Weise“, wie er und viele frühere Antifaschüler sich an Janzen erinnern.
Nach seiner Rückkehr arbeitete der gerade 21-Jährige zunächst in seinem Beruf, trat der SED und der FDJ bei und war bis 1961 im Jugendverband tätig. Zwischendurch absolvierte er 1952/53 die Komsomol-Hochschule in Moskau, 1954 bis 1957 ein Fernstudium an der SED-Parteihochschule und 1959 bis 1961 ein Fernstudium an der Hochschule für Ökonomie in Berlin, dem 1966 die Promotion zum Dr. oec. folgte.
1961 wurde er hauptamtlich für die SED tätig: Kreissekretär in Berlin-Köpenick, Bezirksleitung Berlin, seit 1967 Mitglied des ZK und dort ab 1971 Nachfolger von Werner Lamberz als Abteilungsleiter für Agitation, von 1973 bis 1989 Erster Sekretär der Bezirksleitung Dresden – der Bevölkerung zugewandt, bescheiden in der Lebensführung und deswegen bis heute populär. Vom 13. November 1989 bis zum 12. April 1990 war er DDR-Ministerpräsident. Die PDS wählte ihn zum Ehrenvorsitzenden, entsandte ihn in den Bundestag (bis 1994) und ins EU-Parlament (1999 bis 2004). Bis zum Oktober 2021 war er Vorsitzender des Ältestenrats der Partei „Die Linke“, dann zog er die Konsequenz aus der Missachtung seiner Stellungnahmen durch die Parteiführung und stellte die Vertrauensfrage. Im September 2022 berief der „Linke“-Parteivorstand einen neuen Ältestenrat – ohne ihn.
Hintergrund der grußlosen Verabschiedung sind grundsätzliche Differenzen zu Krieg und Frieden. Im März 2022 wurde eine interne Information über eine Beratung des Ältestenrates durchgestochen. Darin war die Frage als „im Raum“ stehend bezeichnet worden, ob der Krieg in der Ukraine „nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Oststaaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt“. Die rechten Kräfte in der Partei nutzten die Gelegenheit, ihren Pro-NATO-Kurs zu festigen und den „dysfunktionalen“ Ältestenrat kurz vor den Landtagswahlen im Saarland abzuräumen. Anschließend verlor die Partei dort mehr als 80 Prozent ihrer Wähler von 2017.
Modrows Position hat mit dem roten Faden seiner persönlichen und politischen Biographie zu tun: Das Eintreten für Vernunft und Frieden in den West-Ost-Beziehungen. Nur ein Beispiel: Am 1. Februar 1990 legte er einen Dreistufenplan für die Vereinigung von DDR und BRD vor und sagte 2010 dazu: „Wir wollten ein militärisch neutrales vereinigtes Deutschland.“ Er wusste damals aber nicht, dass die sowjetische Führung ohne Konzept in Verhandlungen mit den USA und der BRD gegangen war und die Interessen der eigenen Bevölkerung sowie die der anderen sozialistischen Länder ignorierte. 2010 fügte er daher hinzu: „Die ungestörte Erweiterung der NATO bis an die russischen Grenzen ist auch diesem Versagen der sowjetischen Außenpolitik geschuldet.“
Sein Versuch einer Weichenstellung für Frieden in Europa wurde damals torpediert. Heute diskreditieren die dominierenden Kräfte in der Linkspartei seine Position, die gleich geblieben ist. Lieber Hans, trotz alledem: Glückwunsch und viel Kraft!