Eine setzt sich hin und schreibt drauf los, über sich, über zwei dicke Freundinnen und das, dem sie ausgesetzt sind. Sie lügt dabei, aber nicht an den Stellen, die gesellschaftliche Wahrheiten betreffen. Das ist Shida Bazyars (geboren 1988) Zweitling „Drei Kameradinnen“. Der Titel, sagte sie letztens der „taz“, wurde inspiriert von Erich Maria Remarques Roman-Viertling von 1938, „Drei Kameraden“.
Die, die sich hinsetzt, und schreibt, ist die ausstudierte, aber arbeitsuchende Soziologin Kasih. Der Hochzeit einer gemeinsamen Bekannten wegen wird sie wiedervereint mit ihren alten Freundinnen: Der zornigen, im Schlafwandel sich Übles antuenden Saya, einer, die die Workshops, die sie an Schulen leitet, eigenmächtig zu Antirassismusseminaren umgestaltet. Und dann ist da Hani, die als Angestellte in einem tierlieben und menschenhassenden Greenwashing-Startup-Drecksladen alles über sich ergehen lässt und mit ihrem Posten als Mädchen für alles zwar unabdingbar ist, dafür aber keinerlei Achtung erfährt.
Drei Figuren, die als alltäglich von Diskriminierung Betroffene auf den gleichen Sachverhalt verweisen und damit auf drei verschiedene Weisen umgehen, von denen die Mittlere als Mittlerin auch die Erzählperspektive vorgibt, deuten auf ein durchkomponiertes Stück Literatur hin.
Dabei stellt sich „Drei Kameradinnen“ als ein Versuch heraus, einen Sachroman zu schreiben. Nicht nur verweigert Erzählerin Kasih, ihren Horizont einzuhalten, indem sie als auktoriales Ich vermutet, was die anderen so treiben, während sie nicht dabei ist, weil sie zum Beispiel in die urige Eckkneipe nicht mitgeht, wo Migranten willkürlich mehr für Brauprodukte nach deutschem Reinheitsgebot zahlen müssen. Sie mag auch wiederholt gar nicht Erzählerin sein, schweigt, wenn es etwa um die Herkunft der drei Heldinnen geht, was sie in direkter Ansprache an die Leserinnen und Leser kundtut: „Ich höre jetzt auf, weiterzuschreiben. Das hat keinen Zweck, denn ich versuche mir permanent vorzustellen, wer ihr seid, während ihr euch vorzustellen versucht, wer wir sind.“ Wer in Vorurteilen denkt, der schafft den Sprung zur bewussten Imagination eh nicht. Vermittlung eingestellt, zumindest, was das Narrative angeht.
Wenn die Welt aus Fakten ist, warum reicht es nicht, zu benennen, was ist? Saya liest besessen den geleakten Chatverlauf, den eine faschistische Mörderbande mit ihrem Umfeld führte. Sie identifiziert im Inlandflieger neben sich auf dem Weg zur Hochzeit einen rechten Blogger, der früher schlägerte („ein waschechtes Nazi-Tier“), heute seriös übers Internet mit „Ethnopluralismus“ eigentlich „Rassenreinheit“ meint. Alles, was die Welt wirklich in ihren ekelhaftesten Ausformungen zu bieten hat. Was sich nicht schön lesen lässt. Dreckige Abgründe tragen keine Ästhetisierung, in einen Haufen muss kein Cocktailschirmchen gesteckt und kein blinkendes Hinweisschild darüber angebracht werden, er gehört weggeschafft.
Anders als Shida Bazyars Romandebüt „Nachts ist es leise in Teheran“ von 2016 ist „Drei Kameradinnen“ in einer, auch in Romanen typischen, Geste des Bewusstseinsstroms einer fiktiven Person gehalten. Von Leutnant Gustl und Co. aber unterscheidet sich dann doch dessen Plot dadurch, dass er bei Arthur Schnitzlers handlungsorientierter Novelle existiert und tragend ist, bei Bazyar randständig und relativ beliebig. Rassismus ist Alltag und Alltag ist Alltag, da gibt es nichts zu sortieren und zu komponieren, wo sich alles gleicht.
Einzig die offenbarste Konstruktion in der Mitte des Buchs, ein Spiel im Spiel, in dem Kasih sich und ihre Freundinnen in Bärbel Schäfers Talkshow der Jahrtausendwende hineinimaginiert, ist als ein exaltierterer Moment unter vielen, in dem Opfer sich zu erklären haben und Täter ihr Recht behaupten dürfen, wirklich literarisch in Szene gesetzt.
Darüber hinaus ist „Drei Kameradinnen“ ein Appell auf dem neuesten Stand der Identitätspolitik, der den vom Buch angesprochenen Lesenden alles andere als mit Blumen schmeichelt.
Shida Bazyar
Drei Kameradinnen
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021
352 Seiten, 22 Euro (eBook: 18,99 Euro)