UZ: Aktuell kommt es verstärkt zu Auseinandersetzungen über den Umgang mit Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in Deutschland. Auch durch die politische Linke gehen in dieser Frage tiefe Risse. Wie ist Ihre Position?
Frank Laubenburg: Ich freue mich über alle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, die sich organisieren und für ihre Rechte kämpfen, also für eine weitere Entkriminalisierung und für eine bessere soziale Absicherung von Menschen, die der Prostitution nachgehen. Die politische Linke muss diese Prozesse unterstützen und mit den Betroffenen gemeinsam kämpfen. Sperrgebiete – in Dortmund zum Beispiel ist mittlerweile die ganze Stadt ein Sperrgebiet – treiben Prostituierte in die Illegalität mit negativen Folgen wie dem Vorenthalten des Honorars, Vergewaltigungen und körperlicher Gewalt. Gerade kommunale MandatsträgerInnen sollten sich daher für eine Abschaffung der Sperrgebiete einsetzen. Derzeit wird in Teilen der Linken leider sogar das Gegenteil propagiert. Die Organisationen Betroffener werden als „Prostitutions- und Zuhälterlobby“ diffamiert, vereinzelt wird mit kruden Argumentationen sogar ein „Sexkaufverbot“ gefordert. In Schweden gibt es das sogar bereits. Die Prostituierten dort zahlen nun horrende „Mieten“ für die Wohnungen, in denen sie arbeiten. Vermietung ist die effektivste Zuhälterei. Aus dem Straßenbild ist Prostitution in Schweden hingegen weitgehend verschwunden, was als „Erfolg“ ausgegeben wird. Politisch ist das so, als würde man ein „Bettelverbot“ zur Armutsbekämpfung fordern und im Anschluss resümieren, dass die Armut weg sei, weil es ja kaum noch Bettler auf der Straße gäbe.
UZ: Warum werden die Debatten derart aggressiv geführt?
Frank Laubenburg: Weil über Sexarbeit nicht politisch, sondern moralisch diskutiert wird. Frauen, die sich für Geld prostituieren, gelten als Verräterinnen, die patriarchale Strukturen stützen. Ihnen wird jedes Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen. Dass Sexualität in der kapitalistischen Gesellschaft verdinglicht ist, wird nicht unter der Frage, wie diese gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwerfen sind, diskutiert, sondern denjenigen zum Vorwurf gemacht, die der Sexarbeit nachgehen oder sie nachfragen. Und Prostitution ist natürlich auch Projektionsfläche: Wie oft, wann, warum hat man selbst Sex eingesetzt, um damit etwas zu erreichen? Dass wir alle uns nicht frei machen können von der Verdinglichung auch unserer eigenen Sexualität, kann ja aber kein Argument gegen Sexarbeit sein.
UZ: Woher nehmen Personenkreise, die sich selbst zur politischen Linken rechnen, eigentlich das Recht, oftmals derart selbstgefällig und vor allem über die Köpfe der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter hinweg über deren Tätigkeit zu urteilen?
Frank Laubenburg: Sie halten sich eben für moralisch überlegen. Das zeigt sich daran, dass gerade die Organisationen von Frauen, die der Sexarbeit nachgehen, angefeindet werden. Dabei gäbe es ja Forderungen, bei denen man an einem Strang ziehen könnte: Wenn wir endlich eine weitreichende medizinisch kontrollierte Abgabe sogenannter harter Drogen hätten, wäre die Beschaffungsprostitution in diesem Bereich erledigt. Dort herrschen wirklich schlimme Arbeitsbedingungen. Das wird von den Prostitutiertenbekämpferinnen aber gar nicht thematisiert. Ihnen geht es um die Ächtung der Sexarbeiterinnen und -arbeiter. Diese Ächtung hat schon Friedrich Engels analysiert und bekämpft. Prostituierte, so Engels, würden „geächtet und ausgestoßen, um so nochmals die unbedingte Herrschaft der Männer über das weibliche Geschlecht als gesellschaftliches Grundgesetz zu proklamieren“.
UZ: Man könnte es sich auch einfach machen: Auch in der DDR oder auf Kuba gab und gibt es Prostitution. Somit findet die Vermarktung des eigenen Körpers doch wohl auch im Sozialismus statt, oder?
Frank Laubenburg: Bis Ende der 1960er Jahre war Prostitution in der DDR legal und nur in der Nähe von Kirchen und Einrichtungen für Kinder untersagt, danach wurde sie verboten, weil sie dem sozialistischen Frauenbild nicht entspräche, aber real wurde sie geduldet und im Bereich der Nachrichtengewinnung auch bewusst eingesetzt. Sowohl in der DDR als
sondern moralisch diskutiert“
auch auf Kuba spielten bzw. spielen Devisenfragen im Zusammenhang mit Prostitution eine wichtige Rolle. Wie es sich mit der Prostitution im Sozialismus grundsätzlich verhalten wird, wird von mehreren Fragen abhängen. Die Überwindung der bestehenden Ehe- und Familienverhältnisse, die Emanzipation der Frau und die Aufhebung entfremdeter Arbeit verändern ja auch das Sexuelle vollkommen. Die Freie Liebe ist doch eine wichtige Triebfeder für den Kampf um den Sozialismus, oder? Ich gehe davon aus, dass sich damit auch der Charakter von Sexarbeit ändern wird, aber ich glaube nicht, dass es sie nicht mehr geben wird. Ein anderer Grund für die Ächtung von Sexarbeit auch in linken Kreisen war ja lange Zeit das Festhalten an einem klassischen Arbeitsbegriff, der sehr eng mit der Warenproduktion verbunden war. Da konnte Prostitution keine Arbeit sein. Der Arbeitsbegriff hat sich in den letzten Jahren schon stark verändert, zuletzt durch die Debatten um die Aufwertung von Pflege- und Erziehungsberufen.
UZ: Vor allem selbst ernannte Feministinnen wie die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer gehören zu den entschiedensten Gegnerinnen von Prostitution. So wird behauptet, niemand böte seinen Körper freiwillig an. Aber kauft man tatsächlich einen Körper, oder nicht doch eher eine Dienstleistung?
Frank Laubenburg: Jeder Mensch, der schon einmal Sex hatte, dürfte danach gemerkt haben, dass er noch einen Körper hat. Den kann man nicht verschenken und auch nicht verkaufen. Das ist ein Ammenmärchen. Die Formulierung vom „Frauenkauf“ dient der Diskreditierung von Prostituierten. Da die sich, so die menschenverachtende Logik, ohnehin ja schon verkauft hätten, müsse man sie auch nicht mehr ernst nehmen, nicht mehr schützen, nicht für ihre Rechte kämpfen.
UZ: Die Bundesregierung will Prostituierte künftig deutlich schlechter stellen. Was plant die Große Koalition?
Frank Laubenburg: Im Rahmen eines „Schutzgesetzes“ soll eine Registrierung von Prostituierten eingeführt werden, dazu Pflichtberatungen in Gesundheitsämtern. Das alles sehr repressiv. Zuletzt gab es Registrierungen zwischen 1939 und 1945. Konkret müsste sich eine in Düsseldorf registrierte Prostituierte, die einen Kunden in Neuss besuchen will, vor dem Termin auch in Neuss registrieren lassen, danach vielleicht in Duisburg usw. Auch die Rolle der Gesundheitsämter wird verändert: bisher wurden freiwillige Angebote für Prostituierte gut wahrgenommen. Nun wird es aber statt freiwilliger Angebote Pflichttermine geben, die Gesundheitsämter werden damit wieder – wie vor 2002 – zu Kontrollbehörden umfunktioniert. Wer vertraut sich denn der Behörde an, die ihn kontrolliert? Es fallen also Hilfsangebote weg. Zudem soll eine Kondompflicht für Prostituierte eingeführt werden. Die kann natürlich letztlich nicht kontrolliert werden, macht Prostituierte aber erpressbar. Hinzu kommen strengere Vorschriften für Prostitutionsstätten. Perfide daran: nicht nur Bordelle, sondern auch Wohnungen, in denen Männer und Frauen selbstständig arbeiten, bekommen Auflagen, die sie – anders als Bordelle – gar nicht erfüllen können. Absehbar ist, dass viele sich einfach nicht als Prostituierte anmelden werden und dann kriminalisiert werden können.
Die Deutsche AIDS-Hilfe e. V. und andere Gesundheitsorganisationen haben sich sehr entschieden gegen die geplante Kondompflicht gewandt und seit einiger Zeit gibt es neben vielen örtlichen Selbstorganisationen auch den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V. Notwendig ist, diese Organisationen in ihrem Kampf zu unterstützen, vor allem durch Aufklärung und durch die klare Botschaft, an der Seite der Prostituierten zu stehen.
Frank Laubenburg (48) gehörte in den 1980er Jahren der DeLSI (Demokratische Lesben- und Schwuleninitiative) an, ist seitdem in der Schwulenbewegung aktiv und derzeit Sprecher der LAG Queer bei der nordrhein-westfälischen Linkspartei. Von 1999 bis 2014 gehörte er dem Düsseldorfer Stadtrat und dem dortigen Gesundheits- und Sozialausschuss an.