Pistorius gebärdet sich als größter Freund der deutschen Rüstungsindustrie

Verluste akzeptabel

„Deutschland, was muss eigentlich noch passieren?“, fragte Susanne Wiegand, Chefin des Panzergetriebe-Herstellers Renk, am vergangenen Samstag in der „Augsburger Allgemeinen“. Bisher sei nur ein Bruchteil des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Aufrüstung bei den Rüstungskonzernen angekommen, die Zahl der Bestellungen sei außerdem „verschwindend gering“. Wiegand, die auch Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist, hat dafür wenig Verständnis und fordert eine „Normalisierung im Verhältnis der Deutschen zu ihrer Rüstungsindustrie“.

Die Rüstungslobbyistin und der Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) haben vermutlich ähnliche Vorstellungen davon, wie ein „normales Verhältnis“ zur Rüstungsindustrie aussehen soll. Bei einem Besuch auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow erklärte der Minister Ende Januar, sein Ziel sei es, „schnellere, nachhaltige und anhaltende Wiederbeschaffungswege“ zu haben. Dies könne auch bedeuten, „Produktionsressourcen in Deutschland und in Europa“ auszubauen. Gerade bei der Munition sei das eine „Mengenfrage“, über die mit der Rüstungsindustrie gesprochen werden sollte. Offenbar verliefen die Gespräche fruchtbar. Denn nur wenige Tage später forderte Pistorius eine dauerhafte Anhebung des Rüstungsetats um 10 Milliarden Euro pro Jahr – zusätzlich zum Sondervermögen. Wie der „Spiegel“ berichtet, wird ein Teil der Erhöhung in die Munitionsbeschaffung fließen. Außerdem soll Deutschland damit näher an das 2-Prozent-Ziel der NATO heranrücken.

Die Rüstungsindustrie darf sich freuen, während die Kriegsgefahr wächst. Kurz nach seinem Amtsantritt hatte sich Pistorius noch bedeckt gehalten. In der schwelenden Debatte über die Lieferung von Leopard-2-Panzern wirkte er wenige Tage lang positions-, wenn nicht gar orientierungslos. Einige Beobachter schöpften den Verdacht, mit dem gebürtigen Osnabrücker könnte etwas Vernunft in die Kriegspolitik der Ampel einziehen. Auf der Gegenseite wuchsen die Befürchtungen, dass der neue Kriegsminister ein ähnlicher „Verzögerer“ sein könnte, wie seine Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD). „Leo-Debakel: Pistorius blamiert Deutschland“, kommentierte die „WirtschaftsWoche“ am 20. Januar. Das war, bevor sich der Minister an einer rasanten Verschärfung des Kurses beteiligte.

Am 25. Januar verkündete die Bundesregierung ihre Absicht, 14 Panzer vom Typ Leopard 2 in die Ukraine zu schicken und Lieferungen durch andere Staaten zu genehmigen. Zwei Wochen später reiste Pistorius nach Kiew und überreichte seinem ukrainischen Amtskollegen Olexij Resnikow ein Panzermodell im Miniaturformat. Die beiden Kriegsminister grinsten im besten Einvernehmen, während sie das Spielzeug in die Kamera hielten. Pistorius nutzte die Reise, bei der er auch Präsident Wladimir Selenski traf, um weitere Waffenlieferungen anzukündigen und um auf die bereits laufende Ausbildung von 600 ukrainischen Soldaten hinzuweisen. Noch in Kiew gab er der „Bild“, die ihn als den „beliebtesten Politiker des Landes“ vorstellte, ein Interview. „Die Ukraine hat tolle Soldaten“ und kämpfe „wahnsinnig tapfer“, erklärte der Kriegsminister. Und: „Ja, natürlich!“, müsse die Ukraine den Krieg gewinnen, in dem es „wahnsinnig viele Verluste“ gäbe.

Wenn es große Verluste gibt, werden neue Soldaten gebraucht. Dieses Kalkül hat der Minister inzwischen verinnerlicht. Schon vor seiner Reise bezeichnete Pistorius die Aussetzung der Wehrpflicht als „Fehler“. „Früher saßen an jedem zweiten Küchentisch Wehrpflichtige. Auch dadurch gab es immer eine Verbindung zur Zivilgesellschaft“, erklärte er gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“.

Sei es bei der fortgesetzten Eskalation, der massiven Aufrüstung oder bei der Suche nach neuem Kanonenfutter: Pistorius hält den bisherigen Kurs und tut, was die Scharfmacher in den Medien und in der Regierung von ihm erwarten. Auch in den Chefetagen der Rüstungskonzerne dürfte inzwischen kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass der neue Minister eine Besetzung in ihrem Sinne ist.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Verluste akzeptabel", UZ vom 17. Februar 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit