Die UN-Klimakonferenz COP27 in Sharm El-Sheikh stand schon kurz vor dem Scheitern. Die EU drohte mit der Abreise, denn kein Ergebnis sei „besser als ein schlechtes Ergebnis“ – und schließlich ging es ums Geld: Hauptstreitpunkt war die Forderung der Länder, die am meisten unter dem Klimawandel leiden und am wenigsten dazu beitragen, nach Entschädigungszahlungen („Loss and Damage“). Die Konferenz wurde verlängert und am Ende ging es schnell. Es wird einen Fonds zum Ausgleich von Klimaschäden in ärmeren Ländern geben. In ihrer Abschlusserklärung bekräftigten die rund 200 Staaten außerdem ihre frühere Entscheidung, schrittweise aus der Kohle auszusteigen, und erneuerten das Ziel, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Die COP27 hatte 40.000 Teilnehmer – ein deutlicher Anstieg gegenüber der Konferenz im Jahr zuvor in Glasgow. Darunter waren auch mehr als 600 Lobbyisten für Öl, Gas und Kohle, ebenfalls mehr als in Glasgow. Damit war die fossile Industrie stärker vertreten als die am meisten von der Klimakrise betroffenen Staaten. Lobbyisten anderer Wirtschaftszweige, zum Beispiel Elektromobilität, werden nicht genannt. Vielleicht haben diese Industriezweige zurzeit keine Lobbyarbeit nötig.
UN-Chef António Guterres warnte auf der COP27-Weltklimakonferenz vor dem Highway to Hell: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“
Zahlen geben ihm recht. Die weltweite Durchschnittstemperatur liegt 2022 bereits 1,15 Grad Celsius über dem vorindustriellen Stand. Im August wurden in der Metropolregion Los Angeles in Südkalifornien mehr als 100 Kühlzentren eingerichtet, damit Menschen, die sich keine Klimaanlage leisten können, Schutz vor der Hitzewelle finden konnten. Und unvergessen sind die verheerenden Überschwemmungen aufgrund übermäßiger Monsunregen in Pakistan.
„Loss and Damage“ – über diese Forderung stritten die Teilnehmerländer der Klimakonferenzen schon lange. Doch erst zu COP27 war es der G77 – einem Zusammenschluss von über 100 Ländern – gelungen, „Loss and Damage“ als eigenständigen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. Wer sollte für den Ausgleich der Schäden durch den Klimawandel aufkommen? Frans Timmermanns, Vizepräsident und Kommissar für Klimaschutz der Europäischen Kommission, erklärte, die EU werde nur dann Geld beitragen, wenn die Basis der Zahler ausgeweitet würde. Die Basis ausweiten – das galt Saudi-Arabien, Russland, Südkorea, Singapur und vor allem China. Die chinesische Regierung jedoch sieht sich hier nicht in der Verantwortung und lehnt Zahlungen ab. Sie konnte sich vorerst mit ihrer Position durchsetzen.
So richtig konkret ist die Einigung über die Entschädigungszahlung allerdings nicht. Die Höhe des Schadensfonds, wer genau zahlt und wer Geld erhält, das bleibt unklar. Zur Klärung der Details werden bis 2023 Arbeitsgruppen eingerichtet, danach soll auf der COP28 weiter diskutiert werden.
Fatemah Sultan von den pakistanischen „Fridays for Future“ erinnerte daran, dass es nicht um Schäden in der Zukunft gehe. „In einem Land wie meinem sprechen wir nicht über den Schaden von morgen, sondern von gestern, heute und morgen.“ Die pakistanische Umweltministerin Sherry Rehman sieht im COP27-Ergebnis dennoch einen Erfolg. Sie erklärte im Namen der G77: „Wir kämpfen seit 30 Jahren auf diesem Weg“ – und nun sei der erste Meilenstein erreicht.
Weltweit sind die Reaktionen auf das Ergebnis der COP27 gemischt und reichen vom Jubel über die Einigung bei „Loss and Damage“ bis zur Enttäuschung über fehlende Fortschritte beim Klimaschutz.
Der WWF (World Wide Fund For Nature) brachte es auf einen einfachen Nenner: „Während die Klimakrise voranschreitet und immer mehr Länder härter getroffen werden, konnten sich die Vertragsparteien hier in Sharm El Sheikh nur auf einen Durchbruch bei der Behandlung der Symptome einigen, nicht aber darauf, die Ursache abzustellen.“
Denn in der Abschlusserklärung hat sich im Vergleich zum „Klimapakt von Glasgow“ kaum etwas getan. Vor allem legt die Abschlusserklärung keine konkreten Pfade dazu fest, wie das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten wäre.
Von der EU und von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kamen belehrende Worte. „Es ist frustrierend, wie längst überfällige Schritte, um aus der fossilen Energie auszusteigen, von großen Verbraucher- und Produzentenstaaten verhindert werden.“ Auch Timmermans kritisierte, die Abschlusserklärung sei „nicht genug als Schritt voran für die Menschen und den Planeten“. Doch wo es gilt, einen (Wirtschafts-)Krieg zu gewinnen, gelten plötzlich andere Prioritäten.
Polen wird die Kohlenutzung verlängern, zumindest kurzfristig wird die EU ihren Kohleimport sogar erhöhen, unter anderem aus dem kolumbianischen Tagebau, der nur als „Monster“ bezeichnet wird. Hier protestierten Indigene gegen den zunehmenden Export, denn der Abbau verursacht Wasserknappheit.
Und schließlich sollen Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den USA massiv ausgeweitet werden – inklusive langfristigem Aufbau der LNG-Infrastruktur. Dies bedroht eine Übereinkunft der COP26 von Glasgow. Dort hatten vor einem Jahr 100 Teilnehmerstaaten die – freiwillige – Verpflichtung unterzeichnet, eine Reduktion der globalen Methanemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 30 Prozent anzustreben, ausgehend vom Niveau des Jahrs 2020. Doch wegen geringer staatlicher Aufsicht setzt gerade die Fracking-Industrie der USA bei der Produktion von LNG massiv das klimaschädigende Methan frei. Lässliche Sünden in den Augen der Verantwortlichen in der EU.
Am Ende gibt es nur ein Klima. Menschen in vielen Teilen der Welt erleben das als Zerstörung, Dürre, Überschwemmung. Aber es gibt viele mächtige Interessen: die herkömmliche Öl- und Gasindustrie, die Fracking-Industrie, Unternehmen der Elektromobilität mit ihren exponentiell steigenden Produktionszahlen und Batteriehersteller, die auf die Bergbauindustrie angewiesen sind, um die nötigen Rohstoffe zu erhalten. Sollen sie das Klima unter sich alleine ausmachen?