Verlogene Empörung

Martina Lennartz über die Wahl eines Nazis als Ortsvorsteher

Am 7. September wählten im hessischen Altenstadt-Waldsiedlung die sieben anwesenden Ortsbeiratsmitglieder von SPD, CDU und FDP den Stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Stefan Jagsch zum Ortsvorsteher. Das Entsetzen war groß. Wurde Jagsch gewählt, weil er sich mit Computern auskennt, jung ist und Mails verschicken kann? Das sagte Ratsmitglied Norbert Szielasko (CDU) gegenüber der „Hessenschau“. Eher nicht, aber im Wahlergebnis lässt sich auch die Ursache erkennen.

Die sogenannten demokratischen Parteien SPD, CDU und FDP können und wollen nicht auf der Ebene der Ortsbeiräte die Arbeit leisten, die Faschisten wirklich das Wasser abgraben könnte. Das würde bedeuten, dass sie direkt mit den Menschen zusammen um ihre Interessen kämpften. So hat auch der ehemalige Ortsvorsteher, Klaus Dietrich (FDP), sein Amt aufgrund „der politischen Wirkungslosigkeit des Gremiums Ortsbeirat“ niedergelegt. Was in solchen Ortsbeiräten passiert, ist für die Menschen vor Ort nicht interessant. Die Beiräte dienen als Ablage für altgediente Lokalpolitiker.

Woher kommt das fehlende Interesse? All diese Parteien vertreten die gleichen Interessen – mit Schuldenbremse und schwarzer Null –, nämlich die der herrschenden Klasse, wenn auch in unterschiedlichen Varianten. Selbst die bürgerlichen Demokraten, die es gut meinen und wirklich etwas gegen den Rechtsruck machen wollen, verfangen sich letztlich in ihrer eigenen kapitalistischen Ideologie.

Die Empörung der etablierten Parteien über das Verhalten ihrer Parteimitglieder ist verlogen und scheinheilig. Da sie durch ihre jahrzehntelange neoliberale Politik und durch die medialen Inszenierungen einer Partei wie der AfD den Weg geebnet haben, tragen sie wesentlich zur Rechtsentwicklung der Gesellschaft bei.

Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und die damit verbundenen Widersprüche stellen das kapitalistische System immer wieder in Frage. Grundsätzlich gibt es daher nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Unzufriedenheit und die Wut der Menschen von den Herrschenden nach rechts kanalisiert, oder sie tendiert zu einer linken Lösung und wird systemsprengend.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Verlogene Empörung", UZ vom 27. September 2019



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit