Eigentlich sprach nur Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Wahrheit im langweiligen Schlagabtausch im Parlament aus. Mitten in ihrer Rede wandte sie sich direkt an Friedrich Merz (CDU): „Sagen Sie mir mal, was Sie ganz genau eigentlich wollen mit der Abrieglung der Außengrenze – und das steht auch in ihrem Gesetzentwurf drin – was GEAS nicht leistet?“ Genau. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beinhaltet Internierungslager, Asylschnellverfahren an den Außengrenzen, Kinder und Familien in Haft, Abschiebungen in Länder ohne Schutz, immer mehr Deals mit zwielichtigen Drittstaaten, mehr Zäune, mehr Mauern, mehr Überwachungstechniken, mehr Pushbacks, mehr Repression – faktisch die Abschaffung des Asylrechts.
Als zum Jahreswechsel 2023/2024 das Recherchenetzwerk Correctiv die menschenverachtenden „Remigrations“-Pläne der AfD und einiger Finanzkapitalisten ans Licht brachte, löste das Massenproteste aus, orchestriert von der damaligen Ampelregierung. Gleichzeitig einigte sich im Schatten dieser Proteste dieselbe Regierung mit CDU/CSU auf die menschenverachtende GEAS-Reform. So viel zum bürgerlichen Antifaschismus und der „Unteilbarkeit“ von Menschenrechten, wie sie die rassistischen Parteien der „demokratischen Mitte“ predigen – ganz zu schweigen von ihren Doppelstandards in Bezug auf Menschen in Palästina. Zwei Monate vor der GEAS-Einigung hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, „im großen Stil abschieben“ zu wollen.
Euer moralisches Überlegenheitsgeschwätz kotzt mich an, eure empörten Gesten sind lächerlich!
Auf der einen Seite musste das machtpolitische Kalkül von Kanzlerkandidat Friedrich Merz in einer grandiosen Blamage münden. Was er fordert, leistet schon GEAS. Sein Fehler war es, dass er das, was die Parteien der „demokratischen Mitte“ bereits tun, im Zweifel auch mit der halbfaschistischen AfD getan hätte, der Brut aus dem seit 75 Jahren fruchtbaren Schoß der CDU/CSU. Auf der anderen Seite hat er die Parteien der „demokratischen Mitte“ für die Bundestagswahl 2025 auf das gemeinsame und einzige Hauptthema eingeschworen: Migration. Die Verkehrung der Verhältnisse ist komplett.
Rund 3,5 Millionen Asylsuchende – das sind etwa 4 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen – sollen der Sündenbock für die realen Probleme der arbeitenden Klasse und der Bevölkerung sein, um nicht über Klassenfragen, über die zunehmende Armut von inzwischen fast 18 Millionen Menschen (20 Prozent in Deutschland, davon jedes fünfte Kind armutsgefährdet, also 14 Prozent aller Kinder), nicht über die Vernichtung von Arbeitsplätzen, den Mietenwahnsinn, die kaputtliberalisierte Bahn, den von Börsen durchlöcherten Gesundheitssektor, den unfassbaren und fast durchgehend vererbten Reichtum einer Handvoll Kapitalisten, die Kriegsgefahr (knapp über 1 Million der 3,5 Millionen Asylsuchende sind aus der Ukraine) zu sprechen – und noch viel mehr, was in diesem Land falsch läuft. Das ist konsequenter Klassenkampf von oben. Die bürgerlichen Parteien der „demokratischen Mitte“ vertreten rücksichtslos die Interessen ihrer Klasse. Der parlamentarische Kretinismus erreicht kurz vor dem 23. Februar seinen widerwärtigen Höhepunkt.
Noch was muss gesagt werden: Bevor der Entschließungsantrag von CDU/CSU zur Verschärfung der Migrationspolitik am Mittwoch angenommen wurde, hat der Bundestag am Vormittag des 29. Januar des 80. Jahrestags der Befreiung des KZ Ausschwitz gedacht. Gleichwohl der Antrag rechtlich nicht bindend ist, schürt er rassistische Hetze und verbreitet weiter ein gesellschaftliches Klima für die Gewalt gegen Menschen mit Migrationsgeschichte. Es ist dieselbe Gewalt, mit der der deutsche Faschismus millionenfach ausgebeutet, ausgeplündert, geraubt, ermordet und in Konzentrationslagern Menschenleben vernichtet hat. Das Asylrecht ist eine Lehre aus dem Gräuel von Nazi-Deutschland.
Und ein weiteres muss gesagt werden: Bevor das „Zustrombegrenzungsgesetz“ am 31. Januar abgelehnt wurde, stimmten am Vormittag im selben Bundestag SPD, Grüne, CDU/CSU, FDP und AfD gemeinsam für einen Artikel des „Zeitenwende“-Gesetzes. Demnach sollen mit Anreizen die Söhne und Töchter der arbeitenden Klasse in die Bundeswehr gelockt werden, damit ihre Körper an der Front der imperialistischen Kriegspläne des deutschen und westlichen Kapitals verheizt werden – und zugleich Menschen wegen Krieg ihr Land verlassen und in Ländern wie Deutschland zu Sündenböcken erklärt werden, weil der Kapitalismus sie zur Migration zwingt. Und das im Rücken der Massenproteste gegen AfD und CDU/CSU, orchestriert von den Regierungsparteien. Antifaschismus ohne den Kampf für Frieden und die Überwindung von Ausbeutung und Ausbeutern führt zu so was. Quid pro quo.