Die jüngste Bahn-Mobilitätsstudie des Forschungsinstituts „ioki“ brachte es an den Tag: 55 Millionen Einwohner ländlicher Gebiete sind vom öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) abgekoppelt. Schwer erreichbare Haltestellen, ausgedünnte Liniennetze, hohe Fahrpreise, marode Bausubstanz der Haltestellenbereiche und zumeist mehrstündige Taktung der Linien sind Ausdruck der Misere. Die Situation hat sich in den letzten Jahren, trotz anderslautender vollmundiger Ankündigungen der „Verkehrswende“, verschärft. Vom „Investitionshochlauf“ (Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer) ist weder beim ÖPNV noch beim Gütertransport auf der Schiene etwas zu sehen.
Die Zahlen sprechen Bände: Seit der Privatisierung der Deutschen Bahn 1994 reduzierte sich das Streckennetz in der Fläche von 44.600 Kilometern auf 38.400 Kilometer. In den letzten 20 Jahren wurden bundesweit 336 Bahnhöfe stillgelegt, davon allein 233 in Ostdeutschland, die Zahl der Gleisanschlüsse von Industriebetrieben sank um über 80 Prozent. Der Anteil des schienengebundenen Güterverkehrs am Gesamttransportaufkommen hat sich von ohnehin schon schwachen 16,2 Prozent im Jahre 2000 bis 2020 lediglich um 2,8 Prozent erhöht. Die Frage ist berechtigt, wo die zweistelligen Milliardenbeträge geblieben sind, die der Bahn mit dem 2017 verkündeten „Masterplan Schienenverkehr“ aus Steuermitteln zugeflossen sind. Die Antwort findet sich in der Geschäftspolitik des Bahnkonzerns.
Aktuell ist das größte deutsche Verkehrsunternehmen mit über 30 Milliarden Euro verschuldet. Die Verschuldung ist strukturell bedingt, die coronabedingten Umsatzeinbußen betragen hieran lediglich 5 Prozent. Während die Sparten Personenverkehr und der schienengebundene Güterverkehr tiefrote Zahlen bilanzieren, explodieren die Umsätze bei der DB-Tochter Schenker, die für den Gütertransport auf der Straße zuständig ist. Hier verzeichnet die jüngste Bilanz 32,2 Prozent plus (2020: 17,7 Milliarden Euro). Der Werbespruch der Bahn „Wir sind schon heute das klimafreundlichste Mobilitätsunternehmen in Deutschland“ wird durch die Konzernpolitik ad absurdum geführt: Die CO2-Ausstoß pro Tonnenkilometer liegt auf der Straße 110 mal höher als bei der Schienenfracht.
Davon unbeeindruckt wird in der Vorstandsetage der Bahn gut verdient. Zwar haben die Mitglieder des siebenköpfigen Vorstands ihre Forderung nach einer 10-prozentigen Gehaltserhöhung einstweilen bis zum nächsten Jahr zurückgestellt. Es sollte der Eindruck vermieden werde, dass die Manager sich angesichts der im August vom Bund bewilligten Corona-Hilfe in Höhe von 550 Millionen Euro an Steuergeldern bedienen. Die Chefs der Bahn nagen gleichwohl nicht am Hungertuch. Vorstandsvorsitzender Richard Lutz streicht jährlich 900.000 Euro Festgehalt ein, der für den Rückzug der Bahn aus ländlichen Gebieten verantwortlich zeichnende „Infrastrukturvorstand“ Roland Pofalla freut sich im laufenden Jahr über ein Grundgehalt von 650.000 Euro. Damit liegen sie noch vor den Spitzenverdienern der regionalen Verkehrsbetriebe, wie Henrik Falk (Hamburger Hochbahn) mit 413.000 Euro oder dem Geschäftsführer der Münchner Verkehrsgesellschaft, Ingo Wortmann, mit 360.000 Euro. Finanziert werden die Spitzengehälter der Manager nicht zuletzt durch erhöhte Fahrpreise. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, stiegen die Ticketpreise im Nahverkehr seit 2015 um über 14 Prozent. Das Sondierungspapier der Ampelkoalitionäre sagt zu alledem nichts. Die Verkehrswende steht auf dem Abstellgleis.