Wer ist schuld an der Krise bei ThyssenKrupp, der schwarze, gelbe oder rote Mann?Sehen wir das Farbenspiel politisch, dann möchte ich behaupten: Der schwarze Mann. Gerne wird der „gelbe“ – sprich: chinesische – vorgeschoben, oder auch der „rote“ – also der russische – Konkurrent.
Schwarz steht für Konservativ und das Kapital. Da sind sich die Kollegen bei ThyssenKrupp bis in den Betriebsrat hinein eigentlich einig. Geschimpft und abgerechnet wurde auf den Protestkundgebungen der Kollegen von Steel Europa und der Sparte Aufzüge im Dezember 2019 zu Recht mit den Managern der letzten Jahre, welche den Konzern ThyssenKrupp AG geführt haben. Heftig hat der heutige Gesamtbetriebsratsvorsitzende von ThyssenKrupp-Steel Europe (TKSE), Tekin Nasikol, die Manageretage auf der Kundgebung der rund 5.000 Stahl-Kolleginnen und Kollegen Anfang Dezember kritisiert. Mehr als 3 Mrd. Euro seien von den Stahlern allein in den letzten zehn Jahren an Gewinn in die Kassen der Unternehmensanteileigner geflossen. Ihnen die Schuld zuzuweisen für die heutige Situation und deren Teilursachen, begründet in dem komplett zusammengebrochenen Abenteuer des Versuchs, den amerikanischen, vor allem den US-Stahlmarkt von innen her aufzurollen, als gescheitert zu erklären, ist nicht von der Hand zu weisen.
Auch die anderen Redner dieser Kundgebung droschen mit Emotion, dass es nur so zischte. Ich war dabei, hörte zu und wurde eher wütend als mitgerissen. Hatte ich doch als Mitglied des Konzernbetriebsrates in den Jahren der Beschlussfassung zu Gunsten des Amerikaabenteuers wohl als einziger keinen Vorteil für die positive Weiterentwicklung des Stahlgeschäftes mit den damaligen Beschlüssen der Errichtung der zwei großen Stahlwerken in Alabama und Brasilien gesehen. Was der damalige Vorstand in der Zielstellung hervorhob, war nicht weniger als die Hoffnung, auf dem US-Stahlmarkt mit, zugegeben hochwertigen, Produkten in Konkurrenz zu gehen. Kritisches Hinterfragen gab es kaum im Gremium des Konzernbetriebsrates.
Nicht wenige der damals gewählten Belegschaftsvertreter stimmten fast kritiklos in das Loblied der scheinbar zukunftssicheren Strategie des Managements ein. Der Blick zurück zeigt: Strategische und handwerkliche Annahmen und Entscheidungen waren weit weg von der realen Welt. Die Folgen sind die immer noch immensen Schulden aus dem Abenteuer, welche die Kolleginnen und Kollegen heute, zusätzlich zu den produkt- und systemimmanenten zyklischen Krisen, bezahlen sollen. Die heute offensichtliche Führungslosigkeit und schleichende Machtübernahme der Investorengruppen, die sich über Jahre eingekauft haben, zeigt, wie hemmungslos und zielgerichtet das Finanzkapital die Geschicke von hunderttausenden Lohnabhängigen bestimmt.
Teilverkäufe, Abspaltungen, Anteilsverschiebungen, beabsichtigte Teilschließungen. All das erleben die Beschäftigten des Konzerns seit einigen Jahren. Innere und äußere Einflüsse bringen permanente Unruhe in die Familien der Beschäftigten bei ThyssenKrupp.
Die DKP Ruhr- und Rheinland-Westfalen veröffentlichten dazu ein gemeinsames Strategiepapier, in dem auf die damalige Situation eingegangen und auf mögliche grundsätzliche Antworten auf die (betriebliche) Krise hingewiesen wurde. Unsere Positionen ließen wir bekannten und zugänglichen Kontakten in der Belegschaft, Betriebsräten aller Stahlbetriebe und der ThyssenKrupp AG zukommen. Zwar blieb eine Resonanz aus, dennoch handelt es sich bis heute um die brauchbarsten alternativen Lösungsansätze.
In der Schlussfolgerung unserer Positionen zur Entwicklung im Stahlmarkt der Welt und Europa und mit dem Blick auf die deutsche Stahlindustrie formulierten wir Schlussfolgerungen, die unter den heutigen wirtschaftlichen Systembedingungen durchaus umsetzbar wären: Eine weitere Arbeitszeitverkürzung auf weniger als 35 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie mittelfristig und langfristig die Vergesellschaftung der Stahlindustrie. Die Umsetzung und Kontrolle dieser Vergesellschaftung kann aber nur unter gesamtgesellschaftlich-demokratischen Bedingungen zum Erfolg führen.
Dabei nahmen wir ausdrücklich Bezug auf einen Beschluss des Gewerkschaftstages der IG Metall aus dem Jahr 1983: „Der Gewerkschaftstag fordert unter anderem ein umfassendes Programm für Zukunftsinvestitionen bei Bund, Ländern und Gemeinden und die Umgestaltung der bestehenden Wirtschaftsordnung durch gesellschaftliche Strukturreformen im Sinne des (damaligem) DGB-Grundsatzprogramms. Er unterstreicht insbesondere die Aktualität der Forderung nach Vergesellschaftung der Stahlindustrie bei entscheidenden Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften auf die zukünftige Unternehmenspolitik.“
Das Ruhrgebiet steht immer noch für eine starke und zukunftsfähige montanmitbestimmte Stahlindustrie. Zigtausende Beschäftigte wie auch vor- wie nachgelagerte Berufe sind von ihr abhängig. Der angekündigte Verlust der Arbeitsplätze von mehr als 6.000 Beschäftigten allein in den stahlproduzierenden Betrieben dieses Konzerns zieht tausende andere mit sich. Dabei sind klima- und damit zukunftsfähige Produktionsbedingungen, wie CO2-neutrale Stahlerzeugung, machbar und werden seit geraumer Zeit bei der TKSE entwickelt. Die NRW-Landesregierung fördert diese bereits mit mehr als 40 Millionen Euro. Stahl bleibt ein fast 99-prozentig recyclingfähiger Rohstoff, dessen Brauchbarkeit vorläufig unbestritten ist.
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Produktion zu analysieren mit der Notwendigkeit, Antworten auf klarer werdende Überlebensfragen in Klima- und Gesellschaftspolitik zu debattieren und über die Grenzen des Kapitalsystem hinauszudenken, wird ein Weg zur Sicherung der heute gefährdeten Arbeitsplätze im Revier sein. Da ist ein Blick zurück auf die Beschlüsse des oben genannten Gewerkschaftstages ein Blick nach vorn.
Die Kampfkraft der Stahlarbeiterinnen und -arbeiter zu mobilisieren wie die Entschlossenheit, der Logik des Kapitals zu widersprechen, ist alternativlos.