Eine gruselige Plakatausstellung wurde vor Weihnachten in der Tübinger Universitätsbibliothek gezeigt. Fast alle Plakate wurden von jungen ukrainischen Grafikdesign-Studentinnen erstellt. „junge Welt“ machte zuerst darauf aufmerksam, dass unter dem Titel „The Price of Freedom“ „Soldaten in kitschig-heldenhafter Pose“ gezeigt würden, „beispielsweise den unter seinem Kampfnamen ‚Da Vinci‘ bekannt gewordenen Kommandeur Dmitro Kotsiubailo vom ‚Rechten Sektor‘“. Ein Plakat zeigte eine Kakerlake mit Hammer und Sichel – Kommunisten als Ungeziefer? Besonders brisant: Diese Ausstellung wurde offiziell vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland gefördert.
Ganz ohne Protest ging sie nicht über die Bühne. Es gab eine Flugblatt-Aktion. Zwei Plakate wurden angeblich abgerissen. Schließlich wurde die Plakatschau vorzeitig beendet. Die Universität lud zu einem als „Diskussionsrunde“ getarnten Vortrag des Osteuropahistorikers Klaus Gestwa ein mit dem Titel „Kommunismus als imperiale Unterdrückungsstrategie“.
Diskussionen gab es eher in der Lokalpresse. In Leserbriefen beschreiben und kommentieren Besucherinnen und Besucher, was sie sahen – den Springerstiefel, der eine Kakerlake zertritt, „vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund“. Diese symbolisiere laut Begleittext „nicht Totalitarismus allgemein, sondern: ‚… die Kleinheit der Sowjetunion. Wie Kakerlaken verbreitet sie Schmutz und Krankheiten, aber man kann sie einfach zertreten.’ Dieser durchgängige Antikommunismus und ukrainische Nationalismus mit Bezügen zum Schlachtruf ‚Slawa Ukrajini’ und der schwarzroten Fahne der ‚OUN’ (Organisation ukrainischer Nationalisten), die mit der SS kooperierte, ist mehr als befremdlich“, so ein Leserbrief, und weiter: „Völlig geschichtsvergessen setzt ein Plakat Putin mit Hitler gleich als ‚Putler’ und die Jahreszahl 1939 (Deutscher Überfall auf Polen und Beginn des 2. Weltkrieges) mit 2022. Diese Verharmlosung des deutschen Faschismus ist unerträglich.“
Ein weiterer Leserbrief kritisiert die „Kriegspropaganda in Form einer Ausstellung“ und zählt auf, was zu sehen war: „Ukrainische Soldaten als heroische ‚Krieger des Lichts’ mit dicken Kanonen im Videospiel-Stil, russische Soldaten als ‚Kompost’, Stahlhelme und ‚Putler’-Vergleiche, ein Mitglied des ‚Rechten Sektors’ als ‚Held’, affirmative Verwendung rechtsradikaler Symbolik, die sich auf die Tradition ukrainischer Nazi-Kollaborateure bezieht.“ Die Autorin wirft den Verantwortlichen „symbolische Relativierung der Verbrechen des deutschen Faschismus und zugleich Rehabilitierung nationalistischer und rechtsradikaler Symbolik“ vor, und fragt: „Was kommt als Nächstes?“
Auch die Kreisvereinigung der VVN-BdA äußerte sich: Eine Universitätsbibliothek sei ein Ort der Wissenschaft und Kunst – nun aber werde dort „eine Ausstellung mit Kriegspropaganda gezeigt, aber nur Propaganda einer der Kriegsparteien und auch nicht in aufklärerischer, sondern in verherrlichender Absicht“. Was zu sehen sei – „faschistische und nationalistische Motive, affirmative Bezugnahmen auf Bandera und platter Antikommunismus“ – schade allerdings, entgegen der mutmaßlichen Absicht der Verantwortlichen, dem Ansehen der Ukraine. „Traurige Erkenntnis: Ein Teil der ukrainischen Jugend ist uninformiert und wird verhetzt, ein anderer wird verheizt – es sei denn, er desertiert.“
Andrij Budnyk, Professor für Grafikdesign an der Nationalen Universität für Kultur und Kunst in Kiew und Kurator der Ausstellung, gab dann zusammen mit der Künstlerin, die das „Kakerlake“-Plakat entworfen hatte, auf Ukrainisch ein längeres Interview, das auf YouTube live gestreamt wurde. Der Journalist der „jungen Welt“, der auf den Skandal aufmerksam gemacht hatte, sei eine „kommunistische Kakerlake“ und ein „politischer Idiot“, dagegen Bandera und „Da Vinci“ vom rechtsradikalen „Rechten Sektor“ „nationale Helden“, „Menschen, auf die wir stolz sein sollten“.
„Beschämend für eine Universität, an der Ernst Bloch, Walter Jens und Hans Küng gelehrt haben“, so einer der Leserbriefe. In der Tat. Mit was für Partnern arbeitet sie da zusammen?