Uli Brockmeyer zum Sturz al-Assads

Verhaltener Siegesjubel

Nachdem sich am Sonntag in den Medien, die die Meinungshoheit beherrschen, die Berichte über den Sturz der Regierung in Syrien geradezu überschlugen, trat am Montag eine gewisse Besonnenheit ein. Es wurde wohl allzu deutlich, dass sich der Siegesjubel in Damaskus, Aleppo, Hama, Homs und anderen Städten Syriens durchaus in Grenzen hielt. Auf den Bildern waren eher menschenleere Straßen zu sehen, dazu geschlossene Geschäfte und Bewaffnete, die ihre Fahne mit den drei roten Sternen schwenkten und Freudenschüsse aus ihren Maschinenpistolen abfeuerten.

Die eigentlichen Jubel-Bilder kamen vor allem aus Orten in Westeuropa, in denen sich spontan syrische Regierungsgegner versammelten und die Symbole der Islamisten auf die Straßen trugen – auch in deutschen Städten, in denen ansonsten Zeichen, die von der Obrigkeit dem Islamismus zugeordnet werden, strengstens untersagt sind und Menschen, die sich damit auf die Straße trauen, um gegen den Völkermord an Palästinensern zu protestieren, immer öfter von der Polizei verhaftet oder sogar niedergeknüppelt werden.

Und allein das zeigt mit aller Deutlichkeit die Zwiespältigkeit der Ereignisse. Die Regierenden im ach so freien Westen, unterstützt von den meinungsbildenden Medien, werden nicht müde, jede Unterstützung für den Widerstand gegen Israels Kriege als „Antisemitismus“ zu brandmarken und zu unterdrücken, und die Hamas, die Hisbollah und andere Organisationen als „islamistische Terrororganisation“ zu verleumden. Die bewaffneten Regierungsgegner der islamistische HTS in Syrien, die tatsächlich offiziell als Terrororganisation gelistet ist, wurden im Handumdrehen zu „Rebellen“, „Aufständischen“, „Befreiern“. Die Bundespolizei der USA, das FBI, hatte auf die Ergreifung von deren Anführer noch im Mai 2017 ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar ausgesetzt – und nun ist er zu einem Hoffnungsträger geworden, der mit Bekundungen des Wohlwollens aus Washington, Brüssel, Berlin, Ankara, Paris, London … den Staat Syrien auf den „Pfad der Hoffnung“ bringen wird.

Allerdings wird es auch am Tag Eins nach dem Sturz des gewählten Präsidenten klar, dass Syrien keineswegs einer lichten Zukunft entgegen geht. Sicher ist auch Baschar al-Assad kein „lupenreiner Demokrat“, und seine überstürzte Flucht aus Damaskus alles andere als ein Ruhmesblatt. Aber er war der Präsident eines säkularen Staates – eine Seltenheit in der arabischen Welt! Für den Misserfolg seiner Politik gibt es eine Menge Ursachen, darunter in erster Linie die gnadenlose Einmischung von außen in Form von einseitigen Sanktionen, die eine positive Entwicklung des Landes „erfolgreich“ behinderten. Hinzu kamen die militärischen Angriffe seitens Israel, der Krieg der Türkei gegen die kurdische Minderheit in Syrien, die Finanzierung, Ausrüstung und Ausbildung von Terrorgruppen auf syrischem Territorium, die völkerrechtswidrige militärische Präsenz der USA, die auch den Diebstahl von syrischen Ressourcen, vor allem Öl, absicherte.

Niemand weiß, welcher Zukunft das Land nun entgegensteuert, welche Scharmützel sich die unterschiedlichen Islamistengruppen in Syrien demnächst gegeneinander liefern werden, welche Attacken von der Türkei und von Israel zu erwarten sind. Niemand weiß, ob es in der nächsten Zeit wirklich Grund für einen Siegesjubel geben wird – und wer am Ende Grund zum Jubeln haben wird.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.



UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
Unsere Zeit