Es ist schwierig, noch mit etwas Neuem aufzuwarten, wenn mal wieder ein Brecht-Jahr ansteht, dem Suhrkamp-Verlag ist es aber zum 125. Geburtstag Brechts in diesem Jahr gelungen. „Unsere Hoffnung heute ist die Krise“ ist kein kleines Bändchen. Herausgeber Noah Willumsen hat 91 bisher unbekannte oder in Vergessenheit geratene Interviews mit Brecht aus den Jahren 1926 bis 1956 gesammelt und in Zusammenhänge gestellt, die er unter anderem den Tagebüchern von Elisabeth Hauptmann entnommen hat. Sie ist auch die Erste, die im Buch – in der Vorrede Willumsens – zu Wort kommt. Am 13. Januaer 1926 notiert sie „Interview mit Brecht? Warschauer interviewt ihn f. ‚Literarische Welt‘. Wie interviewt man. Fragen.“
Neu ist nicht nur, dass Brecht interviewt werden soll, neu ist die Form Interview an sich, die da, wie Willumsen schreibt, „neumodisch und rätselhaft“, einer „publizistischen Zumutung gleich“ über Brecht und Hauptmann hereinbricht. Was heute zu jeder Ausgabe einer Zeitung oder Radiosendung dazugehört und seine Erweiterung im unangenehmen Format der Talkshow gefunden hat, war für den damals zu Interviewenden fremd, sein Ausgang eine unbekannte Größe, daher Hauptmanns „Wie fragt man?“.
Wenn man den Tagebüchern und Willumsen glauben darf, gehen Brechts Erfahrungen mit Interviews gleich schlecht los. „Brecht ist gestern von Secolomann interviewt worden … Er sagt, der Italiener sei ein dummer Mann …“ Keine schöne Erfahrung, anscheinend auch nicht für den Interviewer Raimondo Collino Pansa. Das Gespräch erschien nie, nur ein kurzer Bericht über eine Aufführung des Stücks „Baal“. Doch für Brecht scheint das Eis gebrochen. Auch wenn er sich noch über viele dumme Menschen wird ärgern müssen – Interviews gibt er, und die, beziehungsweise die Reportagen, die die Interviewer aus ihnen gemacht haben, kann man heute noch mit großer Freude lesen. Denn die Fragen, die Brecht gestellt werden, gelten heute so wie damals: Wie bekämpft man die Dummheit? Was setzt man dem Faschismus entgegen? Wie sieht eine neue Welt aus?
In den Gesprächen geht es um Brechts Ansichten zur Jazzmusik und zum Amateurtheater, genauso wie zur großen Politik und – natürlich – immer wieder um Aufgaben und Möglichkeiten des Theaters. So sagte Brecht zum Beispiel im Interview mit dem finnischen Dichter, Journalisten und Kommunisten Jarno Pennanen am 26. April 1940: „Wenn das hier vorbei ist, wird es im Theater einen überwältigenden Aufschwung geben. Gute Stücke werden geschrieben werden, Diese Zeit ist voller Dramen. Alle Widersprüche kommen zugespitzt zum Vorschein. Wenn das hier vorbei ist, werden wir mehr Material haben als Shakespeare.“
„Unsere Hoffnung heute ist die Krise“ ist eine Fundgrube für Brecht-Kenner, aber auch ein wunderbares Lesebuch für solche, die es werden wollen. In den Interviews blitzt Brechts Schalk auf, sein Angewidertsein von den Zuständen, seine Hoffnung auf eine bessere Zukunft, aber auch seine Ironie.
So sprach Brecht zum Beisiel 1948, als er schon in der Schweiz lebte, mit Jacek Frühling über seinen Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren – und die Schwierigkeiten, die ihm die USA dabei bereiteten: „Ja, ja, Amerika … Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass mir im Herbst des vergangenen Jahres zusammen mit wichtigen Repräsentanten der amerikanischen Filmwelt die Ehre einer Vorladung nach Washington zuteil wurde. Dort wurde ich in der herrlichen Kongresshalle von einer Sonderkommission zur Untersuchung prokommunistischer Umtriebe einer ausführlichen Befragung unterzogen … Im Laufe der Befragung stellte sich heraus, dass die Mitglieder der Kommission ausgezeichnet Bescheid wussten, mit wem ich in Santa Monica in enger Verbindung stand, worüber ich mit wem gesprochen hatte … Nach meiner Rückkehr nach Kalifornien beschloss ich, die Vereinigten Staaten zu verlassen …“
Nicht zuletzt kommt man in dem Buch in den Genuss einer kurzen und knappen Zusammenfassung dessen, was Brechts Theater ausmacht, wenn er 1954 Claude Serraute auf die Frage antwortet, ob es eine Ästhetik gebe, die wie ein roter Faden alle seine Stücke verknüpfe: „War unsere Epoche nicht Zeuge großer sozialer Umwälzungen, deren Auswirkung auf die heutige Theaterkunst nicht zu übersehen ist? Wenn man auf der Bühne die sozialen Bedingungen des modernen Menschen darstellen möchte, ist man gezwungen, eine ganze Reihe neuer Regeln zu unterzeichnen und viele veraltete Prinzipien über Bord zu werfen.“ Ob Regisseur oder Intendantin sich an Brecht halten oder an die alten Regeln, kann man jeden Tag im Theater überprüfen. Wenn sie sich an Brecht halten, wird es interessant. Gespielt wird er heute an deutschen Bühne viel zu selten.
1954 beschreibt Bertolt Brecht in einem Gedicht „Vergnügungen“: „Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen/Das wiedergefundene alte Buch/Begeisterte Gesichter/Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten/Die Zeitung/Der Hund/Die Dialektik …“ Die wiedergefunden Interviews gehören auf jeden Fall dazu.
Bertolt Brecht
Unsere Hoffnung heute ist die Krise
Interviews 1926 bis 1956
Suhrkamp Verlag, 752 Seiten, 35 Euro
Erhältlich im UZ-Shop