Die Schwedische Akademie hat sich nach den Skandalen im letzten Jahr wohl wieder berappelt, neue Mitglieder berufen und ihre Nominierungsregeln geändert. Da im vergangenen Herbst kein Preisträger benannt wurde, holte man in diesem Oktober zum Doppelschlag aus. Für 2018 erhält den Preis die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk, bei uns nur in Leserkreisen bekannt, die sich intensiv mit Belletristik beschäftigen. Ihre ins Deutsche übersetzten Bücher sind im Kampa Verlag aus Zürich erschienen, zur Zeit nicht lieferbar; der Verlag muss schnellstens eine Druckerei finden, um noch auf der diese Woche beginnenden Frankfurter Buchmesse wenigstens einen Titel zeigen zu können. Selbst das bürgerliche Feuilleton zeigt sich überrascht und kann mit dem „esoterischen Feminismus“ der Autorin nicht viel anfangen.
Anders sieht es aus bei der Nominierung des Preisträgers für das Jahr 2019. Der Österreicher Peter Handke ist seit Jahrzehnten ein Mitspieler des europäischen Literaturmarktes. Er wurde seit Jahren als „heißer“ Kandidat für den Nobelpreis gehandelt, spätestens wenn der fleißige Schriftsteller ein neues Werk im Suhrkamp-Verlag erscheinen ließ, geriet er wieder ins Visier der medialen Aufmerksamkeit. Nun scheint es, als habe der Mainstream seinen Frieden mit Handke gemacht, der durch seine deutliche Kritik am Vorgehen der europäischen Mächte bei der Zerschlagung Jugoslawiens in Acht und Bann geschlagen wurde. Die veröffentlichte Meinung wollte nicht nachlesen, wie Handke seine Kritik begründete, diese Medienmeute wollte nicht wissen, worauf seine Solidarität mit dem geschundenen, bombardierten serbischen Volk beruhte. Seine Achtung der unteilbaren Rechte einer Nation, seine Wertschätzung der politischen Leistung des damaligen Staatspräsidenten Milosevic, seine Verachtung für die verlogene Propaganda der Nato, all dies wurde Handke viele Jahre angelastet.
Die Schwedische Akademie gibt die neue Richtung vor, in ihrer Begründung für die Auslobung heißt es, Peter Handke erhält den Preis „für ein einflussreiches Werk, das mit sprachlichem Einfallsreichtum die Randbereiche und die Besonderheit der menschlichen Erfahrung erforscht“ habe. Die schriftstellerische Arbeit soll gewürdigt werden, ob sich Peter Handke mit „Randbereichen“ beschäftigt hat, darf aber bezweifelt werden. Mir fällt eine Bezeichnung ein, die ein anderer Klagenfurter Autor zur ironischen Maxime seines Schreibens gemacht hat. Robert Musil fordert in seinem „Mann ohne Eigenschaften“, es müsse ein „Generalsekretariat der Genauigkeit und der Seele“ her, um im wissenschaftlichen Zeitalter dem Wesentlichen auf die Spur zu kommen. Und ein anderer österreichischer Autor, nämlich Christoph Ransmayr, ist auf dieser Spurensuche durch Reisen, besser Wanderungen in vielen Teilen unserer Erde. Peter Handke verbindet beides: So genau, so präzise wie möglich zu erfassen und zu beschreiben, was die „Welt im Innersten zusammenhält“, und dies scheint ihm nur möglich zu sein, wenn er im Draußen ist, um das Innere zu erfahren.
Die Werkliste von Peter Handke ist ellenlang, nicht nur Romane, auch Theaterstücke und Hörspiele schrieb er, Handke übersetzte wichtige Autoren aus Frankreich, Italien, Großbritannien und schuf neue, für die Bühne geeignete Fassungen griechischer Tragödien. Begonnen hat alles 1966 mit „Hornissen“, diesem autobiografischen Roman, dem folgten die Theaterstücke „Publikumsbeschimpfung“ und „Kaspar Hauser“, womit er zum Nachwuchsstar erkoren wurde. Nachdem er bei einer Tagung der „Gruppe 47“ ordentlich Dampf abgelassen hatte mit der Formulierung einer „Beschreibungsimpotenz“ der Anwesenden, zog er sich in den nächsten Jahren komplett aus dem Literaturbetrieb raus.
Fast jährlich erschien ein neues Werk, hier können nur genannt und empfohlen werden: „Die linkshändige Frau“, „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, „Die morawische Nacht“ und als typisch für das, was Peter Handke die letzten Jahre veröffentlicht hat, „Die schönen Tage von Aranjuez. Ein Sommerdialog“.
Passgenau, wenn auch so nicht geplant, hatte in seiner Heimatstadt Klagenfurt am 10. Oktober, dem Tag der Bekanntgabe des Nobelpreises an ihn, sein Theaterstück „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ Premiere im städtischen Theater. Ein wunderbares Stück für Schauspielerinnen und Schauspieler, keine Worte, nur Gesten, Andeutungen von Handlung, so alltäglich banal und deshalb so eindringlich als Versuch, die Fülle an nonverbaler Kommunikation auf der Bühne, soll meinen, als Spiegel für die Straßen und Plätze irgendwo in Europa, wiederzugeben.
Bei aller freundlicher Würdigung, die Attitüde des Einzelgängers, die Handke pflegt, wirkt manchmal wie aufgesetzt, seine Sprachkunst gerät ihm nicht zu selten zu Manierismen, eine eher unfreiwillige Komik. Dass er sich nicht einfangen lässt von den „Adabeis“, nicht mitmacht bei dem endlosen Gelaber des bürgerlichen Feuilletons, sei ihm gerne positiv zugestanden. Dass er aber nicht sehen will oder kann, welche gesellschaftlichen Kräfte – auch unter seinen Kolleginnen und Kollegen – an Entwürfen arbeiten, die auf Veränderungen zielen, soll kritisch angemerkt werden. Auf seine Dankesrede bei der feierlichen Verleihung an Stockholm am 10. Dezember darf man gespannt sein.