Hinter „Entschuldungsprogrammen“ für Kommunen stecken häufig andere Interessen

Vergiftete Geschenke

Bevor Olaf Scholz (SPD) Kanzler wurde, war er Finanzminister. Und während er Finanzminister war, wurde er vergesslich. Man mag es dieser Verkettung von Unglücken zuschreiben, dass Scholz bis heute kein Programm zur Entschuldung der Kommunen vorgelegt hat. Dabei hatte er das immer wieder versprochen. Noch im Koalitionsvertrag der Ampel hatte es im Jahr 2021 geheißen: „Es gibt viele Kommunen mit hohen Altschulden, die sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser Situation befreien können.“

Fortan war das Thema von der Bildfläche verschwunden. Geld floss zwar in Massen, jedoch in Krieg und Aufrüstung, statt in Schulen, Kitas, Wohnungen und andere kommunale Aufgaben. Mitte April legte Christian Lindners (FDP) Finanzministerium der Nachrichtenagentur „Reuters“ dann ein einseitiges Eckpunktepapier zur „umfassenden Entschuldung der Kommunen durch die jeweiligen Länder“ vor, an dem sich der Bund beteiligen wollte. Eine Seite! In der Welt der Kommunalpolitik, in der jedem Spatenstich umfangreiche Beschlussvorlagen nebst Anlagen zur Finanzierung, Umweltverträglichkeit und Bürgerbeteiligung vorausgehen, bedeutet das: Das Entschuldungsprogramm existiert nicht oder nur in den Köpfen der abgestraften Ministeriumsmitarbeiter, die zum ewigen Wälzen der Gemeindefinanzen verdammt sind.

Was existiert, ist ein politischer Anspruch. Der hat mit Hilfen für die strukturell unterfinanzierten Städte und Gemeinden jedoch wenig zu tun. Denn das Eckpunktepapier legt schon einmal fest, dass die Übernahme der Altschulden nicht ohne Gegenleistung erfolgen darf. Die Länder sollen dafür sorgen, dass die Kommunen eigene Beiträge leisten und sich nicht erneut übermäßig verschulden. Das ist anschlussfähig: Auch die Entschuldungsprogramme, die in den vergangenen Jahren in den Bundesländern aufgelegt wurden, waren vergiftete Geschenke. Finanzielle Hilfen wurden stets an Spardiktate geknüpft.

Das trifft auch auf die sogenannte „Partnerschaft zur Entschuldung der Kommunen in Rheinland-Pfalz“ zu, die in den vergangenen Wochen in einigen Rathäusern für Begeisterung sorgte. Die Grundidee ist einfach: Das Land übernimmt einen Teil der sogenannten Liquiditätskredite (Kassenkredite) der Kommunen, zahlt die anfallenden Zins- und Tilgungskosten. Im Gegenzug verpflichten sich die Gemeinden vertraglich dazu, ihre verbleibenden Kredite innerhalb von 30 Jahren zu begleichen. Zudem dürfen sie dauerhaft nur noch ausgeglichene Haushalte vorlegen.

Vor wenigen Tagen wurden die ersten Bescheide an insgesamt 289 Kommunen ausgestellt. Den Anfang machte die Stadt Trier, der das Land knapp zwei Drittel der aufgehäuften Schulden (266 Millionen Euro) abnimmt. Kurz vor der Kommunalwahl am 9. Juni kann sich Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) laut städtischer Pressemitteilung über einen „riesen Schritt“ (Fehler im Original) freuen. Die verpflichtende Abzahlung der Restschulden und das Sparprogramm, mit dem ein dauerhaft ausgeglichener Haushalt hergestellt werden soll, sind ein Problem der nächsten Ratsperiode.

Ohne heftige Kürzungen, drastische Erhöhung der Grundsteuern und weiterer Gebühren wird das Programm in vielen Kommunen nicht umzusetzen sein. An der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen, die zur Aufhäufung der gewaltigen Schuldenberge geführt hat, ändert sich nämlich nichts. Das „Bündnis für gleichwertige Lebensverhältnisse in Rheinland-Pfalz“ warnte schon im September vergangenen Jahres davor, dass 93 Prozent der Gemeinden mit einer Grundsteuererhöhung rechnen – 86 Prozent sogar mit einer „deutlichen Erhöhung“. 72 Prozent der Kommunen gingen nicht davon aus, dass das Entschuldungsprogramm dabei hilft, die notwendigen Investitionen zu erhöhen. Spielräume dafür entstünden „nur mit einer vollständigen Entschuldung der Kommunen“.

Wer profitiert also? Zunächst die kreditgebenden Banken, die nun Gläubiger des Landes sind und sich damit den politischen Risiken der niedergehenden Gemeindefinanzierung entziehen. Im laufenden Jahr rechnen Experten mit mehr als 10 Milliarden Euro Minus in den kommunalen Haushalten. Durchaus denkbar, dass es unter diesen Bedingungen und bei steigenden Zinsen zu ernsthaften Diskussionen über einen Schuldenschnitt für die Kommunen gekommen wäre. Dem kommen derartige Entschuldungsprogramme zuvor und sichern die Zins- und Tilgungsleistungen für die kommenden Jahrzehnte.

„Nur durch Sanierung der Kommunalhaushalte ist das Vertrauen der Finanzwirtschaft in öffentliche Schuldner zu erhalten“, hieß es schon im Jahr 2014 in der Fachzeitschrift „Städte- und Gemeinderat“ in Nordrhein-Westfalen. Dort hatte die Landesregierung mit dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ ein ähnliches Entschuldungspaket auf den Weg gebracht, das über die Jahre zu heftigen Protesten und enormen Kürzungen geführt hatte. Fast kann man Scholz dankbar sein, wenn er das Altschuldenproblem liegen lässt. Wer weiß, auf welche Ideen die verzweifelt nach Kriegskrediten suchende Ampelkoalition bei ihrer „Entschuldungshilfe“ sonst noch kommt.

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"Vergiftete Geschenke", UZ vom 10. Mai 2024



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