Verführung in Orange

Von Günter Pohl

Pedro Sánchez, eine Hoffnung europäischer Sozialdemokraten“ untertitelt das von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene IPG-Journal ein Bild von Pedro Sánchez. Nun weiß man, dass am Ende der Hoffnung nur noch Gelübde bleiben – in Deutschland reicht es nicht einmal mehr dazu: „Genossen, das Ende ist Nahles!“, hieß es beim Düsseldorfer Karneval 2018. Und Andrea gibt ihr Bestes.

Dass in Spanien die Uhren anders gehen, hoffen die europäischen Sozialdemokraten. Die sozialdemokratische „Spanische Sozialistische Arbeiterpartei“ (PSOE) ging aus der vorgezogenen Parlamentswahl als relative und – wie sich bald zeigen wird – recht schwache Siegerin hervor. Sie erhielt nach einem aggressiv geführten Wahlkampf, der sich vorwiegend um die Einheit Spaniens, also um die Katalonien-Frage, und um Steuer-, Renten- und Familienpolitik drehte, mit 28,7 Prozent zwar kaum mehr als ein Viertel der Stimmen, eroberte damit aber 123 Sitze (bislang 84). Großer Verlierer ist die rechte Volkspartei, die bis 2016 die Regierung stellte und sich nun mit nur 16,7 Prozent halbierte (66 Sitze statt 137) und nur knapp vor der neoliberal-konservativen Partei „Ciudadanos“ (Bürger) mit 15,8 Prozent (57 Sitze statt 28) und dem Linksbündnis „Unidas Podemos“ (Gemeinsam geht’s) mit 14,3 %Prozent liegt (nur noch 42 statt 71 Abgeordnete). Für die Franco-faschistische Partei „VOX“, die sich vor allem um die Fortführung der kastilisch-monarchischen Macht des Staatsgebildes „Spanien“ sorgt, ziehen 24 Abgeordnete ein (10,3 gegenüber 0,2 Prozent 2016). Die Beteiligung an der Wahl lag mit 75,8 Prozent so hoch wie zuletzt 2004.

Spaniens parlamentarische Verhältnisse sind ebenso wie die in anderen europäischen Staaten nicht mehr ganz simpel. Gab es lange Jahre neben den kleinen rechts- und linksnationalistischen Parteien aus dem Baskenland, Galizien und Katalonien nur drei spanienweit agierende Parteien beziehungsweise Bündnisse (PSOE, PP und die Vereinte Linke) mit Abgeordneten im Madrider Parlament, ist die Landschaft heute durch die wirtschaftsnahen „Ciudadanos“ (Bürger), die rechtsextreme Partei „VOX“ und den zeitweiligen Aufstieg von „Podemos“ deutlich erweitert worden. Podemos und „Izquierda Unida“ treten seit einiger Zeit als „Unidas Podemos“ (UP) an. Bei UP mit einer innerparteilichen „Geschlossenheit“ wie hierzulande bei „Die Linke“ ist auch die KP Spaniens (PCE) eingebunden; die PCE sucht weiter nach einer wahlpolitischen Identität. Die erneute Wahlschlappe von UP mit dem Verlust von einem Drittel der Stimmen, nachdem bereits 2016 große Verluste konstatiert wurden, wird die Zerwürfnisse im Bündnis noch befeuern.

Noch komplizierter ist die Lage für die KP der Völker Spaniens (PCPE), die medial übergangen wird und sich zudem von der Parteispaltung vor zwei Jahren zu erholen versucht. PCPE und die nun als PCTE (KP der Arbeiter Spaniens) firmierende Abspaltung bekamen jeweils nur wenige Stimmen. Die PCPE analysierte am Montag richtig, dass „der spanische Kapitalismus heute mit der Sozialdemokratie die beste Regierungsoption“ habe. Deren Fähigkeit zum Betrug und zum Ausbremsen sozialer Unzufriedenheit komme den Zielen des Kapitals entgegen. „Die PSOE-Koalitionsmöglichkeiten sind leicht erklärt und schwer umgesetzt: Es reicht nach rechts nur mit den Ciudadanos zu einer wackligen Mehrheit von 178 der 350 Sitze; beiderlei Basis wäre wenig begeistert. Die linken Wahlversprechen umsetzen ließen sich dagegen besser mit „Unidas Podemos“, wofür allerdings Abgeordnete anderer Parteien mit ins Boot müssten. Für eine Mehrheitsbildung wichtig sind also wieder die baskischen und katalanischen Regionalparteien. Katalonien entsendet 15 (7) Abgeordnete für die Republikanische Linke (ERC) und 7 (9) für die Partei „Junts per Catalunya“ des ehemaligen Präsidenten Puigdemont. Die zehn Abgeordneten aus dem Baskenland kommen von der rechten PNV (6 statt 5) und der linken EHB (4 statt 2). Mit Unidas Podemos, ERC und EHB käme die PSOE auf 184 Sitze – zahlenmäßig mehr, aber politisch fragiler, als der „orangen Verführung“ zu erliegen, wie es bei UP in Anspielung auf die Farben der Ciudadanos hieß. Unwahrscheinlich ist, dass es eine Koalitionsentscheidung noch vor den EU-Wahlen in gut drei Wochen gibt, wenn es zudem Kommunalwahlen und in 12 der 17 autonomen Gemeinschaften Regionalwahlen gibt.

Wer glaubt, die sparsame Mehrheit der spanischen Sozialdemokraten sei Zeichen für eine Trendwende in Europa, irrt in verschiedener Hinsicht. Zum einen hatte Spanien (ähnlich wie Portugal oder Griechenland) lange Zeit keine rechtsextreme Option, weil die Linke die soziale Frage nicht so stark vernachlässigt hatte wie es in Mitteleuropa schon länger der Fall war – nun sind die Rechtsextremen parlamentarisch etabliert und werden sich nicht so leicht verdrängen lassen. Zum anderen steht Spaniens Sozialdemokratie so fest im Sold der deutschen Mutterpartei, dass der Abwärtstrend der spanischen Tochter letztlich nur durch die Krise der Volkspartei bei gleichzeitiger Zerstrittenheit der linken Alternative abgewehrt werden konnte. Vorerst.

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"Verführung in Orange", UZ vom 3. Mai 2019



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