UZ: Ihr Institut hat kürzlich sein 10-jähriges Bestehen gefeiert. Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Sabine Schiffer: Wir sind vor 10 Jahren mit dem Anspruch angetreten, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Diskurstheorie und Medien aus den Elfenbeintürmen heraus in öffentliche Debatten einzubringen. Wir fordern Journalisten und Mediennutzer gleichermaßen zu mehr Verantwortung auf und fordern ein Schulfach Medienbildung mit evaluiertem didaktischem Material – jenseits der Einflussnahmen von Microsoft & Co, die nur einen reduzierten Medienkompetenzbegriff pflegen. Beim Aufzeigen von medialen Fehlleistungen geht es immer auch um die Vermittlung von Methodik zur systematischen Analyse von Medienbeiträgen – eine wichtige Kulturtechnik für eine Demokratie. Hinzugekommen sind Aspekte von Medienerziehung, Mediengewalt, Monetarisierungstechniken bei Computerspielen sowie in sogenannten sozialen Netzwerken u. v. m.
UZ: Aktuell beschäftigen Sie sich schwerpunktmäßig mit der Demokratisierung der öffentlich-rechtlichen Medien. Welche demokratiepolitischen Defizite stellen Sie bei den besagten Medienanstalten fest?
Sabine Schiffer: Nun, im Gegensatz zum sogenannten „freien Medienmarkt“ hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Grund der Staatsverträge andere Möglichkeiten und auch Verpflichtungen. Die fordern wir ein. Stattdessen müssen wir oft eine einseitige Themenaufbereitung im Sinne mächtiger Organisationen feststellen, also das Gegenteil von Vierter Gewalt. Als Finanzier des ÖRR-Journalismus (ÖRR = Öffentlich Rechtlicher Rundfunk) müssen wir alle mehr Transparenz und Mitsprache bekommen, dafür setzt sich die Initiative für einen Publikumsrat ein. Die Verfassungsgerichtsurteile belegen ja die zu große Politik-Nähe der Rundfunkanstalten. Hinzu kommt die Prekarisierung der Kreativen und Kritischen. Wir brauchen eine Verschlankung des Apparats, wobei der nachhaltig finanzierte unabhängige Journalismus gestärkt werden müsste.
UZ: Wie ist dem Problem einer notwendigen Medienkritik beizukommen, ohne sich mit den „Lügenpresse“-Schreihälsen von „Pegida“ gemein zu machen?
Sabine Schiffer: Wer genau hinsieht, kann eine humanistisch geprägte Medienkritik, die Demokratie stärkt und Menschen- und Völkerrecht verpflichtet ist, nicht mit faschistoiden und menschenverachtenden Pauschal-Medien-Verurteilern verwechseln, die noch mehr Rassismus in den Medien fordern. Allein darum schon nicht, weil wir nicht auf irgendwelche Sondermedien ausweichen, denen man dann bedingungslos glauben soll, sondern weil wir Mittel an die Hand geben, wie Beiträge geprüft werden können und müssen – und zwar alle, auch die genehmen.
UZ: Haben Sie fernab der öffentlich-rechtlichen Anstalten den Eindruck, dass die Macht internationaler Großkonzerne im Medienbereich, wie beispielsweise die von Google, in der Bevölkerung noch immer unterschätzt wird?
www.medienverantwortung.de und
www.publikumsrat.de
Sabine Schiffer: Ja, eindeutig. Viele verwechseln die AGB‘s großer Internetkonzerne mit der Idee von Freiheit im Netz. Allein die ICANN-Vergabe (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) von Internetadressen wäre ein eigenes Studium wert, sowie Widerstandsbewegungen dagegen. Aber auch insgesamt scheint das Wissen, um das (klassische) Mediensystem nicht so weit verbreitet, weshalb es schnell zu Pauschalurteilen in Richtung „die Medien“ kommt.
UZ: Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit Ihres Instituts liegt im Kampf gegen den zunehmenden antimuslimischen Rassismus. Inwiefern hängt diese Auseinandersetzung mit der um die Demokratisierung der Medien zusammen?
Sabine Schiffer: Das Islambild in den Medien ist eines unserer Themen, womit wir aber häufig alleine identifiziert werden. Soviel zum Thema Framing (deutsch etwa: Einrahmungseffekt, d. Red.). Das Thema ist exemplarisch für Verzerrungsmechanismen, wie sie die mediale Informationsaufbereitung durch Auswahl und Ausblenden, Wording und Stimmungsmache etwa durch Metaphern, sowie Montage-Kombinationen und die Nahelegung von Zusammenhängen, wo andere vielleicht viel relevanter wären, täglich produziert. Es bildet keine Ausnahme. Die gleichen Mechanismen können bei der Griechenland- und Ukraineberichterstattung, dem Afrika- oder Israelbild, dem Russlandbild, der Finanzkrise und vielem mehr nachgewiesen werden.
UZ: Hat der Terror des selbsternannten „Islamischen Staates“ (IS) die Ausgangslage für Kritik am ausufernden antimuslimischen Rassismus überdurchschnittlich erschwert? Haben Sie Schwierigkeiten Kooperationspartner zu finden?
Sabine Schiffer: Ja, das hat es sicher. Dabei wäre eine Analyse kurz und knapp machbar: Wäre der sogenannte IS ein islamisches Thema, hätte es ihn solange geben müssen wie den Islam. Sein Auftauchen vor einigen Jahren deutet auf geostrategische Zusammenhänge und hier würde dann eine Analyse erst beginnen. Zum Glück befassen sich inzwischen viele mit dem Thema „antimuslimischer Rassismus“, etwa das Zentrum für Antisemitismusforschung, aber auch andere Institutionen und Autoren. Die Existenz der Problematik wird ja kaum noch geleugnet. Die Diffamierung derjenigen, die diesen wie andere Rassismen anprangern, ist aber geblieben, und das soll ja verhindern, dass man sich zusammentut und gemeinsam stärker wird.
UZ: Wie erklären Sie sich, dass die Ursachen des Terrors, nämlich die imperialistischen Angriffskriege der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak und Afghanistan, in der medialen Berichterstattung meist gänzlich außen vor gelassen werden?
Sabine Schiffer: „Gänzlich“ würde ich nicht sagen, sondern unterscheiden zwischen Hintergrundbeiträgen und den Nachrichtenformaten. Man könnte so fragen: Warum bleiben die Nachrichtenmedien bei ihrer stereotypen Sicht der Dinge – so nach dem Motto: Wir sind immer die Guten, die anderen böse Kräfte, die aus dem Nichts heraus, was gegen uns tun wollen – obwohl Magazine teils des gleichen Mediums andere Zusammenhänge aufdecken und gut belegen? Damit meine ich nicht nur die Satire-Formate der Öffentlich-Rechtlichen, die im Moment eine besondere Qualität aufweisen. Wenn man alles betrachtet, findet man differenzierte Berichte, fokussiert man aber die Titelseiten und Hauptsendezeiten, dann lässt sich eine NATO-freundliche Berichterstattung diagnostizieren – und das dürfte stark mit transatlantischen Strukturen zu tun haben, die ja inzwischen in die Kritik geraten.
UZ: Was werden ansonsten die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in den kommenden Monaten sein?
Sabine Schiffer: Unsere Möglichkeiten sind aufgrund fehlender Ressourcen stark eingeschränkt. Wir werden uns weiterhin für das Thema Medienbildung einsetzen, das eigentlich alle hier genannten Einzelaspekte mit umfasst und in meinem Buch „Bildung und Medien“ zusammengefasst ist. Dafür brauchen wir breitere Unterstützung z. B. durch unseren Förderkreis. Denn von offiziellen Stellen aus dem Bildungsbereich und der Politik sowie von vielen Medien erwarten wir nach unseren nun 10-jährigen Erfahrungen nicht mehr so viel.