Unter der Vokabel „vereinfachen“ kommt der nächste Angriff auf die sozialen Rechte der Lohnabhängigen daher. Das Sozialgesetzbuch soll an vielen kleinen Stellen verändert werden, insgesamt kommt dabei ein ziemlich drastischer Sozialabbau heraus. Harald Thomé, Fachreferent für Arbeitslosen- und Sozialrecht bringt den Charakter des Referentenentwurfs, der am 9. Dezember vom Kabinett beschlossen werden soll, so auf den Punkt: „Das Sonder- und Entrechtungsrecht soll weiter verfeinert und ausgebaut werden. Das vom Bundesverfassungsgericht garantierte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht wird weiter systematisch ausgehöhlt.“ Schon das Verfahren ist nicht demokratisch. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder tüftelt seit Juni 2013 daran, das Verfahren „störungsfrei“ zu machen. Gewerkschaften, Betroffenenverbände und Wohlfahrtsverbände blieben außen vor, ebenso wie die Öffentlichkeit.
Der vorliegende Entwurf ist ein „Anti-Bundessozialgerichts-Gesetz“, wie Harald Thomé ausführt, denn viele Leistungen, die im Wege der Rechtsprechung zugesprochen wurden, sollen aufgehoben werden. Eine zentrale Änderung zielt auf die am meisten von Armut betroffene Bevölkerungsgruppe: die Alleinerziehenden. Bisher wurde für die Tage, wo das Kind beim anderen Elternteil war, diesem der Regelsatz des Kindes pro Tag des Aufenthalts zugesprochen. Das soll nun komplett aufgehoben werden. Ausnahmen soll es nur für die Kinder geben, die im „Wechselmodell“ leben, also zur Hälfte bei dem einen und zur anderen Hälfte bei dem anderen Elternteil. Das wird dazu führen, dass viele Eltern ihr Umgangsrecht mit ihrem Kind nicht mehr wahrnehmen können, weil sie die Ernährung und Kosten für die Freizeitgestaltung nicht mehr tragen können. Besonders hart ist die Neuregelung für die Sommerferienzeit, da es für Eltern, die ALG II beziehen, nicht möglich sein wird, die Kosten für Ernährung und Freizeit für drei Wochen zu übernehmen.
Ein weiterer drastischer Angriff sind die Kosten der Unterkunft. Die Heizkosten sollen pauschaliert werden, also nicht mehr in tatsächlicher Höhe, sondern nur noch bis zu einer angemessenen Höchstgrenze übernommen werden. Die Prognose der Heizkosten ist aber nicht möglich, die Härte des Winters ist kaum vorhersehbar, ebenso wenig wie die Entwicklung der Energiepreise. Die Höchstgrenze bei den Kaltmieten ist bereits ein großes Problem, das dazu führt, dass Arbeitsuchende in billigen Wohnraum gedrängt werden, dort werden sie nun aber an den Heizkostenwerten guter Wohnungen bemessen. Gute Isolierung und moderne Heizanlagen sind kaum in den günstigen Wohnsiedlungen zu finden. Sollte diese Verschärfung beschlossen werden, wird die Zahl der Obdachlosen steigen ebenso wie die Zahl der Menschen, die in schlechten Wohnungen leben müssen.
Der DGB kritisiert zu Recht, dass keine Änderungen der Sanktionen vorgenommen wird, insbesondere bei den drakonischen Strafen bei unter 25-jährigen. Im Gegenteil wird die Möglichkeit der Kürzung der Leistungen, die eigentlich das Existenzminimum darstellen sollen, massiv ausgeweitet. So sollen in Zukunft bei „Erhöhung der Hilfebedürftigkeit, Aufrechterhaltung der Hilfsbedürftigkeit und nicht erfolgter Verringerung der Hilfebedürftigkeit“ Leistungen zurückgezahlt werden müssen. Dieser „Kostenersatz wegen sozialwidrigem Verhalten“ soll für eine unbestimmte Zeit in die Zukunft gelten und zwar für alle gezahlten SGB II-Leistungen. Alle drei Punkte können vorliegen, wenn man zum Beispiel aus personenbezogenen Gründen ein Arbeitsverhältnis gekündigt bekommt. Die „Aufrechterhaltung der Hilfebedürftigkeit“ trifft auch zu, wenn man eine Ausbildung oder einen Schulabschluss nachholt, statt arbeiten zu gehen. Bildung und Qualifizierung wird bestraft – Hartz IV-Empfänger sollen nichts mehr lernen, sondern arbeiten. Falls diese Verschärfung durchgeht, wird eine große Zahl von SGB II-Beziehern bald über einen langen Zeitraum „Kosten erstatten“ müssen, was nichts anderes als eine lang anhaltende Kürzung der Leistungen bedeutet.
In Zukunft sollen viele Bescheide des Jobcenters nur noch „vorläufig“ erstellt werden. Dann kann die Behörde den Freibetrag auf Erwerbseinkommen nicht anerkennen. Das bedeutet bis zu 230 Euro weniger für „Aufstocker“. Außerdem soll das Einkommen nur noch durchschnittlich angenommen werden, nicht mehr in tatsächlicher Höhe. Das führt zu einer dauerhaften Unterdeckung des Bedarfs. Die Betroffenen müssen dem Jobcenter hinterher sein, um die Rückstände zu bekommen.
Des weiteren soll die Überprüfung von bestandskräftigen Bescheiden des Jobcenters abgeschafft werden und bei einem Neuantrag kein Anspruch auf Vorschuss von Leistungen mehr gewährt werden. Zudem wird die Praxis der Zwangsverrentung (mit 63 und massiven Abschlägen in die Rente) beibehalten.
Diese Entrechtung betrifft nicht nur Arbeitssuchende und Aufstocker, sondern die gesamte Arbeiterklasse, da der Druck jede Arbeit zu jedem Lohn und zu jeder Bedingung anzunehmen, erneut erhöht wird und damit eine Bedrohung auch für diejenigen ist, die gerade Arbeit haben. Notwendig ist die Organisierung derjenigen die schon betroffen sind und derer, die es sein können – zur gegenseitigen Hilfe, zur Aufklärung über die eigenen Rechte und zum gemeinsamen und solidarischen Widerstand als eine Klasse.