Als „großangelegte Meldekontrolle“ bezeichnete die Stadt Duisburg eine Razzia, die in der vergangenen Woche am frühen Dienstagmorgen im Hochhauskomplex „Weißer Riese“ im Stadtteil Hochheide durchgeführt wurde. Im Zuge des massiven Einschüchterungsversuches, der vorgeblich dem Abgleich von Sozial- und Meldedaten dienen sollte, kam es zu mehreren Festnahmen. Die Betroffenen gehören zu den ärmsten Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt. UZ sprach mit Shabnam Shariatpanahi, Sprecherin der Initiative Marxloher Nachbarn, über das Vorgehen der Stadt und die dahintersteckende Gesamtstrategie.
UZ: Vor Kurzem fand eine große Razzia in einem Hochhaus des Gebäudekomplexes „Weißer Riese“ statt. Was bezweckt die Stadt mit diesem repressiven Vorgehen?
Shabnam Shariatpanahi: Es ist nicht das erste Mal, dass die Stadt zu solchen Mitteln greift. Seit Jahren gibt es die „Taskforce Problemimmobilien“. Daran beteiligen sich verschiedene Institutionen der Stadt wie Polizei, Ordnungsamt, Wohnungsaufsicht und Jugendamt. In sozial schwachen Stadtteilen wie zum Beispiel Marxloh, Hochfeld, Wanheimerort und anderen werden bei großangelegten Einsätzen Gebäude abgeriegelt und häufig unter dem Vorwand des Brandschutzes oder mit anderen vorgeschobenen Begründungen für unbewohnbar erklärt. Dies geschah auch vor kurzem in Marxloh. Bewohner werden schikaniert, ihr Wohnraum und ihre wirtschaftliche Existenz werden vernichtet. Dahinter steckt unserer Meinung nach eine Strategie, welche Arme bekämpfen soll statt die Armut zu bekämpfen. Damit reiht sich die Razzia in Hochheide in eine städtische Strategie zur Armutsverdrängung ein.
UZ: Welche Behörden waren denn an dem Einsatz beteiligt und wer war davon betroffen?
Shabnam Shariatpanahi: Um 6 Uhr morgens rückten etwa 400 Einsatzkräfte und Angestellte der Stadt an. Sie kamen vom Ordnungsamt, vom Ausländeramt, von der Stadtkasse und der Abteilung Sozialleistungsmissbrauch, aber auch von der Familienkasse und dem Jobcenter. Betroffen waren 320 Wohnungen und 1.414 gemeldete Personen innerhalb des Wohnkomplexes. Hauptsächlich wohnen dort Familien und Menschen mit Migrationshintergrund, die von Armut betroffen sind. Häufig arbeiten sie in prekären Beschäftigungsverhältnissen.
UZ: Laut Oberbürgermeister Sören Link (SPD) wurden nicht alle Mieterinnen und Mieter angetroffen. Sind weitere Razzien zu befürchten?
Shabnam Shariatpanahi: Ja, sicher. Sören Link verkauft diese Verdrängungsstrategie als Erfolg. Von seiner drastischen Kriminalisierungskampagne erhofft er sich Zuspruch bei den anstehenden Kommunalwahlen. Dabei setzt er auch auf Zuschreibungen wie „Clankriminalität“ oder „Sozialbetrug“. Deswegen gehen wir davon aus, dass solche großangelegten, medial begleiteten Razzien in armen Stadtteilen weiter durchgeführt werden.
UZ: Das betroffene Haus war bereits vor einiger Zeit in den Medien. Angeblich seien Paketboten dort nicht sicher. Wie bewerten Sie diese Berichte?
Shabnam Shariatpanahi: Die Stadt kümmert sich schon sehr lange nicht um diese großen Wohnkomplexe. Entsprechend gibt es kaum soziale Unterstützungsstrukturen wie zum Beispiel Beratungsangebote oder Angebote für Kinder und Jugendliche. Selbst der dortige Spielplatz ist umzäunt und kann nicht betreten werden. Natürlich bringt Armut auch Suchtprobleme und psychische Erkrankungen mit sich. Wir allerdings konnten ganz normal in den Wohnkomplex hineingehen, ohne eine negative Erfahrung zu machen. Wahrscheinlich sind einige der Mieter sogar bei den diversen Paketzustellern beschäftigt. Doch anstatt Lösungen für die echten Probleme der Bewohnerinnen und Bewohner anzubieten, werden die Schwierigkeiten medial skandalisiert.
UZ: Welche Auswirkungen hat das Vorgehen der Stadt über den Wohnkomplex hinaus?
Shabnam Shariatpanahi: Die Strategie der Stadt Duisburg führt seit Jahren zur Verdrängung von Armen und zur Verknappung von Wohnraum. Diese Politik wird insbesondere auf dem Rücken von migrantischen Bewohnerstrukturen ausgetragen. Davon sind Arbeitsmigranten aus Bulgarien und Rumänien betroffen, die dann als „problematisch“ dargestellt werden. Die Wohnraumverknappung geht aber zulasten aller armen Haushalte in dieser Stadt. Besonders betroffen sind auch Kinder und Jugendliche. Das geht häufig unter, deshalb ist es wichtig, den Blick darauf zu lenken. Gleichzeitig werden immer mehr soziale Angebote von Stadt, Land und Bund gekürzt oder gestrichen, weil kein Geld mehr vorhanden ist. Das Geld für Razzien ist allerdings vorhanden.
UZ: Zum Gebäudekomplex gehören sechs Hochhäuser. Im nächsten Jahr soll das dritte davon gesprengt werden. Dafür verspricht Oberbürgermeister Link einen Stadtpark. Was halten sie von dieser Ankündigung?
Shabnam Shariatpanahi: Dieses Vorgehen kennen wir schon lange. In den Stadtteilen Bruckhausen und Marxloh wurde bereits vor Jahren Wohnraum zerstört, um dort Parks und Grünanlagen anzulegen. Auch die Zinkhüttensiedlung in Marxloh sollte abgerissen werden, um einem Shoppingkomplex zu weichen. Dort haben sich die Mieter erfolgreich gewehrt. Sie konnten in ihren Wohnungen bleiben. In Hochheide scheint die Strategie zu sein, die Wohnstruktur so herunterkommen zu lassen, dass es keinen Widerstand gegen die Zerstörung des Wohnraums mehr gibt.
UZ: Ihre Initiative ist angetreten, um die Menschen im „Weißen Riesen“ zu unterstützen. Was ist Ihr Ziel?
Shabnam Shariatpanahi: Unsere Initiative Marxloher Nachbarn kämpft mit ähnlichen Problemen in Marxloh, wo wir fest verankert sind. Wir skandalisieren und verurteilen das repressive Vorgehen der Stadt, egal in welchem Stadtteil es gerade stattfindet, weil wir wissen, dass dahinter eine Gesamtstrategie steckt. Wir solidarisieren uns mit den Betroffenen und fordern einen sofortigen Stopp der Razzien durch die Taskforce.